Heimwärts

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"Arianna?" Ich schrecke zusammen. Meine Fäuste liegen geballt rechts und links neben meinen stocksteifen Beinen, die kraftlos und scheinbar völlig dagegen sind, das ich mich vom Boden erhebe. Ich bringe nur ein krächzen zu stande, als die Stimme erneut ruft "ARIANNA? SCHATZ? BIS DU DAS?" Die Stimme gehört meiner Mutter. Mir wird schwindeliger als ohnehin schon "J-ja M-m"...
Ich höre hastige Schritte, dann fliegt die Tür auf. "Oh mein Engel! Was ist nur geschehen? Wo bist du gewesen?" Die Augen meiner Mutter füllen sich mit dicken Tränen, während sie mich in eine geborgene Umarmung zieht.
"Luft!" Krächze ich. Ich würde gern länger so verweilen, aber ich bin völlig verschmutzt, mein Hals tut weh und die Umarmung presst mir alles ab was ich noch übrig habe. Meinen Atem. Mit schmerzerfülltem Gesicht entlässt meine Mutter mich aus ihren schützenden Armen und ich sehe sie aus verzweifelten Augen an. "Mama, ich hab dich lieb... aber bitte, lass mich kurz allein!" Meine Stimme hört sich an wie eine ungeölte alte Tür. Alt... das Wort setzt neue Erinnerungen in mir frei und ihre Last lies mich noch tiefer auf den Boden sinken. Meine Mutter erhebt sich aber verlässt nicht den Raum. Sie stellt sich direkt vor mir und sieht zu mir runter. Mit fester Stimme sagt sie: "Kind, ich weiß weder wo du warst, noch was du durch gemacht hast. aber all die Zeit, all die lange Zeit die du verschwunden warst habe ich dich für verloren geglaubt. Egal was du sagst, ich lass dich nichtmehr allein!" Ihre Tränen waren versiegt. Ich habe sie noch nie so aufgewühlt und dennoch so stark gesehen. Als sie mir ihre Hand entgegen streckt greife ich zu. Sie zieht mich hoch und küsst mich auf die Stirn. Mit zusammen gebissenen Zähnen hilft sie mir mich zurück in mein Bett zu hiefen, wobei ich mehr auf ihr liege als laufe. "Ich lasse dir ein Bad ein" Erklärt sie, nachdem ich noch immer nichts gesagt habe. Ichcwürde gerne. aber mein Hals fühlt sich so rau an... Schokolade... ja, heiße Schokolade wäre jetzt toll! Und während ich meiner Mutter dankend zulächele wird mir klar das ich das Bad hier nicht erleben würde. Denn in diesem Moment begann meine Haut zu flimmern und eine leichte goldene Schicht legte sich auf meine Arme. Es wurde kalt und windig. Eisiger Schnee strömt auf mich herab. Ich erhasche kurz einen Blick auf riesige endlose Berge und dann schlage ich unsanft auf dem Boden auf. Mitten im kalten Schnee. Mitten in Schottland und mir gegenüber waren all die Häuser an denen Joel und ich vor vier Tagen vorbei geritten waren. Verflucht. Ich will mir die Seele aus dem Leib schreien, aber in meinem Kopf hämmert es und mein Hals fühlt sich immer noch nicht besser an. Was für einen Schock meine Mutter wohl erlitten hatte. Ihre eigene Tochter mit eigenen Augen verschwinden zu sehen...
Ich schließe die Augen. Ich hatte mal gehört wenn man erfror würde einem irgendwann warm. Und diese Wärme geleitete dich in den Tod. Ich konnte nicht aufstehen, nicht schreien und ich wollte nicht riskieren den kalten Schnee erneut in meine Augen fallen zu lassen. Und so lasse ich mich einfach fallen. In den willkommenen, bald warmen Tod.
Eine Stimme riss mich aus den Gedanken. "Kind? Oh mein Gott! Du gehörst doch zu Joanna? Sie sucht dich schon überall? Was machst du denn hier draußen mitten im Schnee?" Eine weibliche Stimme...
"Hmm..."
Die Frau blickte entsetzt zu mir herab.
"Joanna? JOANNAAAAA? Komm raus, komm raus! Beeilung!" Ich hörte neue hastige Schritte. Eine Frau in bunte Kleider gehüllt eilte durch den Schnee auf mich zu. Ich sah den Verband an ihrem Fuß, ja... sie war wegen mir gestürzt...

Ich will gerne sagen das sie nicht so einen Wirbel machen sollen, das ich sterben will, mich damit abgefunden habe. Dann endlich keinen Schmerz mehr spüre... Und dann rennt eine weitere Person aus dem Haus, ein Junge in meinem Alter, halblange Haare flogen hinter ihm durch den Wind, eine lustige, und doch schöne Frisur... Und dann erkenne ich sein Gesicht. Joel. Ich DARF nicht sterben verdammt! Ich muss diesem Arsch doch noch die Leviten lesen!!! Scheiße, was hab ich mir nur gedacht?!
"Joe-l..." der Junge blieb keuchend vor mir stehen und die junge Frau auf meiner anderen Seite sah ihn erstaunt an. Ich hätte auch nicht gedacht das der rennen konnte... ich dachte immer außer seinem losen Mundwerk und gutem Aussehen wär er einfach ein fauler Sack. Joels Mutter, Joanna hieß sie also, ist noch recht weit weg, ihre Verletzung macht ihr sichtlich zu schaffen...
Joel dreht sich um und ruft ihr etwas zu, in dem laiten Wind hört es sich nach "Go info se h-se, I ill arry er home!" an, aber ich glaube sie versteht es trotzdem, denn sie dreht sich um und läuft zurück in die Richtung aus der sie gekommen war. starke Arme legten sich um mich und ich wurde in die Luft gehoben.
Ächzend lasse ich es geschehen. Die Frau neben mir nickt Joel zu und beeilt sich nun selbst nach Hause zu gelangen. Joels Körper wärmt mich auf wärend er mich behutsam an sich gepresst ins Haus trägt. "Noch hab ich ein schlechtes Gewissen wenn ich dir in deinem Zustand die Leviten lesen würde, aber mach dich darauf gefasst dass das noch kommt!" Flüstert er mir ins Ohr, wärend er mich wieder auf seinem Bett ablegt. Wie bekannt mir diese Situation vorkommt, als er mir eine heiße Tasse Kakao ans Bett bringt und mir in die Hände drückt. Er hat mir noch nicht einmal ins Gesicht gesehen und tut es auch jetzt nicht. Schnell dreht er sich um und eilt in die Küche aus der nun die gedämpften Stimmen Joannas und Joels klingen.
Ich schließe die Augen. Ja... ich habe meine Mutter lieb, aber das hier ist viel mehr mein Zuhause geworden, trotz der im Vergleich so kurzen Zeit die ich hier verbracht habe...

Ich weiß nicht wie ich eingeschlafen war, aber als ich aus dem Fenster blicke sehe ich das es schon Nacht ist. Aus einer Ecke des Zimmers funkelt mich ein gefärlich funkelndes Augenpaar an. Ich senke schnell meinen Blick. Joel. Mein Herz schlägt mit einem Mal schneller und pumpt mir Adrinalin durch die Adern. Was will er? Warum sieht er mich so lauernd an? Ich schaudere und das Augenpaar bewegt sich auf mich zu.
"Arianna..." mein Name klingt ganz sanft und weich aus seinem Mund. Als er noch näher auf mein beziehungsweise sein Bett zukommt gefriert das Blut in den Adern, doch mein Herz pocht fleißig weiter.
Er lässt sich auf die Kante seines Bettes sinken und sieht mich an. "Dum bist wach, das kannst du nicht bestreiten! Arianna... ich, ich will endlich eine Erklärung von dir! Für... du weißt schon!"
Ich sehe ihm wütend in die Augen.
"Was willst du hören? Oh Joel, du siehst ja so gut aus deswegen wollte ich unbedingt mal ausprobieren wie es wohl ist so einen suuuuper tollen Typen wie dich zu küssen?" Er antwortet sofort, lässt mir keine Zeit noch etwas hinzu zu fügen. "Ja, das wär garnicht so schlecht, also ohne den triefenden Sarkasmus!"
Ich schnaube. "Anna, ICH habe dich nicht geküsst und DICH danach nicht mehr mit dir gesprochen, also tu nicht so als wäre es so gewesen! Weißt du wütend du mich damit machst?!" Fragt er ungehalten. Und ich lasse die Tasse fallen. Er bemerkt es garnicht, während ich die Zähne zusammen beiße, da mir brühend heißer Kakao über die Obeschenkel läuft. Seine vorherigen Worte haben mich getroffen. Und seine zärtliche Anrede... noch nie hatte jemand meinen Namen zu einem so schönem Spitznamen umgwandelt...Und dann kommt er richtig in Fahrt. "Ja stimmt" er schnaubte. Wie ich zuvor... "Was für eine dämliche Frage. Klar weißt du es. Es ist dir nur scheißegal wie ich mich dabei fühle! Weil es für dich ein gar so tolles Gefühl ist wenn deinen Sarkasmus und deine ständigen Beleidigungen um dich wirfst! Ich habe dich zwei Mal gerettet und du wirfst es mir vor, ich hab mir wirklich Sorgen um dich gemacht, aber das erste was du machst ist wütend und genervt auf alles zu reagieren was ich sage! Was zur Hölle soll ich tun damit du endlich damit aufhörst?!" Seine letzten Sätze schrie er beinahe heraus. Er scheint sich all die aufgestaute Wut von Wochen, Monaten, wer weiß, von der Seele zu reden, zu schreien. Mir rollen dicke Tränen übers Gesicht. Gut das es so dunkel is und er sie nicht sehen kann... "Ich, Also du, ich meine Ich weiß nicht was..." Ich breche ab, ein fetter Schluchzanfall bahnt sich an. Und ich will nicht das er es merkt, doch scheinbar hat er es längst mitbekommen denn er erhebt sich. "Tut mir leid, ich wollte dich nicht... naja, ich werd jetzt jedenfalls gehen. Gute Nacht..." Jetzt strömen mir die Tränen haltlos übers Gesicht. "J-Joel warte bitte!" Er dreht sich nicht um und geht einfach weiter. Dabei fällt es mir immernoch schwer zu sprechen! Jedes Wort fällt mir schwer...
"Joel! Ich, ich wollte nicht..." er scheint mir einfach nicht zuzuhören. Völlig abgeschaltet zu haben. Er öffnet die Tür. Jetzt habe ich wirklich Angst das er etwas dummes macht. Ich weiß nicht was er hat, nicht was passiert wenn ich schaffe was ich vorhabe, nicht wie er reagiert. Dennoch raffe ich mich auf und renne zu ihm als ich bei ihm ankomme breche ich fast zusammen. Nur der Halt den es mir gibt mich an seinem Körper festzuhalten, hält mich auf den Beinen. "Joel... ich habe dich vermisst! Ehrlich, ich weiß ich bin eine Kratzbürste und ich weiß das ich es auch bleiben werde, egal was passiert, egal was jemals passieren könnte, aber ich hab dich vermisst! Und ich will das du bleibst!" Ich presse meinen Kopf an sein Shirt und schluchze hinein. Er dreht sich zu mir um und seine Augen funkeln.
"Du... hasst mich vermisst?" Ich werde rot, aber nicke dennoch. Woraufhin er lächelt und mich in seine Arme zieht. "Ich dich auch kleine Kratzbürste, ich dich auch..." Und dann half er mir zurück ins Bett, strich mir über die Stirn und verließ trotzdem das Zimmer. Der heiße Kakao auf meinen Beinen und der Decke ist vergessen, aber er geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Obwohl ich immernoch gerne wüsste wer er ist...

Der Gegenwartsdieb - Jagd auf die vergangenheitWhere stories live. Discover now