Kapitel 6 - Der Da Vinci Code

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Mit großer Schrift schreibt unser Englischlehrer Mr Prinsloo (ja, er heißt wirklich so) Sprachphilosophie an die weiße Tafel mit grünem Edding. Die Klasse stöhnt auf und ich versinke mit meinem Kopf in meinem Englischbuch. Ich wusste, Philosophie steht auf dem Lehrplan, aber es ist sterbenslangweilig und hatte ich schon etliche Male in New York im Religionsunterricht. Auch nach zwei Jahren durchgekauter Philosophie, weiß ich nicht, was Shakespear nun mit Sein oder nicht sein meint oder was er denn letzten Endes wirklich ist oder nicht ist. Oder was ich bin.

„Hey", sagt Mr Prinsloo und legt den Edding weg. „Sprachphilosophie ist noch eines der angenehmsten Themen, die ihr haben könnt. Ihr wollt nicht, dass ich mit Metaphysik oder Ontologie anfange, also schätzt dieses Thema. Außerdem ist es hochinteressant."

„Als Lehrer finden sie alles hochinteressant", stöhnt Conso neben mir und stützt ihren Kopf ab.

„Weil lernen hochinteressant ist, Consolata", sagt unser Englischlehrer mit der Brille halb auf der Nasenspitze. Er ist mir sehr unsympathisch, obwohl er eigentlich ganz nett ist. Mein Vater hat seine Brille auch immer so getragen. „Vielleicht kannst du für uns bis morgen herausfinden, was hinter dem Wort hochinteressant noch alles so steckt? Wieso hoch? Wieso nicht drastischinteressant? Hochinteressante Fragen und du wirst sie beantworten, wie ist das?"

„Klingt echt scheiße."

„Und wieso scheiße? Weshalb benutzten wir die Bezeichnung unserer Fäkalien als Adjektiv und läufiges Synonym? Wieso nicht Das klingt hautschuppe? Morgen hätte ich gerne ihren Aufsatz dazu."

Conso knallt ihren Kopf auf den Tisch und ich lache leise vor mich hin. Sie legt sich täglich mit den Lehrern an und ist somit ein kleiner Lichtblick Unterhaltung den ganzen Schultag über. Ich würde mich nie gegen Vorgesetzte behaupten, aber sie nimmt kein Blatt vor den Mund, wofür ich sie bewundere, gleichzeitig kann es auch ziemlich anstrengend sein, wenn man bedenkt, dass sie mir jeden Morgen ins Gesicht sagt, dass ich scheiße aussehe, nachdem ich übermüdet aufgestanden bin.

„Dennoch." Mr Pinsloo klatscht in die Hände. „Nicht nur Consolata bekommt eine Aufgabe sondern auch der ganze Rest, wer hätte das gedacht? Jeder schreibt zehn Wörter auf, die ihrer Meinung nach hochinteressant sind, damit wir sie uns nächste Stunde ansehen können. Zehn und nicht weniger."

Conso und ich klappen unsere Englischbücher zu und sie murrt: „Ich hasse Philosophen."

Ich zucke nur mit einer Schulter und bringe den Schultag hinter mich, der um drei Uhr endet. Ich hasse es, dass ich nach dem Unterricht immer so müde bin und nichts mehr mit mir anzufangen weiß. Gleichzeitig hasse ich es an manchen Tagen allerdings auch, dass ich noch so voller Energie bin, aber ich sie nicht ausnutzen kann, weil es nichts zu tun gibt. Conso ist die Art von Mensch, die lieber Musik hörend im Bett liegt und sich ab und zu über die Sonne beschwert, die ihr ständig ins Gesicht scheint, und ich bin genau das Gegenteil. Zumindest war ich es in New York. Ich war ständig mit meinen paar Freundinnen unterwegs, es gab immer etwas zu tun und wir hatten dauerhaft Spaß im Gegensatz zu hier. Das einzig Gute an Kalifornien im Moment ist die Aussicht aus unserem Zimmer, das Meer und der Duft nach frisch gemähtem Gras.

Um sechs Uhr abends reicht es mir. Ich schnappe mir eines von Harrys Büchern, melde mich bei Cathy, unserer Betreuerin ab, verspreche ihr, noch vor zehn Uhr wieder auf meinem Zimmer zu sein und laufe vom Campus, über eine Straße, dann zum hölzernen Steg, auf dem meine Sandalen knirschen, weil überall Sand liegt, in Richtung des Meeres. Die Sonne steht bereit zum Abschied, ich gebe ihr noch eine Stunde, dann ist sie weg.

Ich sehe mich um, erkenne ein Pärchen am Strand, das kichernd in Richtung des Meeres sieht und ich lasse mich im Sand fallen, genieße den kühleren Wind und schließe kurz die Augen. Das Meer in Kalifornien bringt mich fast dazu, mich ein wenig in diese Stadt zu vergucken, aber nur fast. Mein Herz bleibt in New York und das auf ewig. Ich mag den Kontrast zu N.Y, denn hier ist es still, zumindest dort, wo unser Internat liegt.

Thanks, LeoWhere stories live. Discover now