Nr. 9

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-Lillian-

Es war ein wunderschöner Tag. Die Sonne schien und zum ersten Mal in diesem Sommer waren es über dreißig Grad. Zum Glück hatten mich meine Freunde überredet, heute mitzukommen. Wir lagen nämlich gerade am Strand und lauschten den Wellen. Ich wunderte mich, dass so wenig los war. Vielleicht war diese kleine Strand auch so was wie ein Geheimtipp, den nicht viele kannten. Nur wir vier, eine andere Gruppe in ungefähr unserem Alter von acht Leuten und ein paar einzelne.
Ich atmete lächelnd tief ein.
Schon seit Wochen versuchte Jessie mich aufzumuntern, denn ich hatte eine schwere Trennung hinter mir. Heute morgen habe ich dann nachgegeben - ich bereute es nicht.
Es tat gut, wieder unter die Leute zu kommen und das Leben zu genießen. Ich glaubte, meinen Liebeskummer überwunden zu haben.

"Komm ins Wasser, Lil", rief Sean mit zu, der auf das Meer zulief. Er war auch Student und hatte sich relativ schnell mit uns befreundet.

"Ja, Moment!", schrie ich und rappelte mich auf. Ja, jetzt war endgültig Schluss mit Trauern. Schließlich hatte ich doch nicht zum faul rumliegen meinen besten Bikini angezogen!

Ich nahm Seans Hand und lief mit ihm in die Fluten. Jetzt, wo ich wieder Solo war, konnte vielleicht mehr als nur Freundschaft zwischen uns sein. Immerhin war er nett, hatte einen tollen Körper und sah gut aus. Wir schwammen zusammen weiter hinaus und lachten.

"Zum Glück bist du wieder die Alte", sagte er und trat etwas näher an mich heran. Ich wusste nicht was das sollte, bis er sich etwas zu mir hinunterbeugte. Er schaute mir tief in die Augen. Ich streckte mich etwas, um seinen Lippen etwas Nähe zu kommen.
Doof nur, das wir plötzlich unterbrochen wurden. Ein paar Meter entfernt tauchte ein dunkelhaariger Junge aus dem Wasser auf. Er gehörte zu den acht anderen, die auch noch an diesem Strand waren. Da war nur etwas merkwürdig. Wir waren wirklich weit vom Strand entfernt und ich hatte ihn garnicht kommen sehen. Der konnte doch nicht den ganzen Weg getaucht sein!

"Wer mich fängt, der bekommt ein Eis von mir!", rief er seinen Freunden zu.

"Das ist nicht fair!", rief ein blondes Mädchen vom Strand her. Ich musterte ihn und nahm seinen durchtrainierten Körper wahr. Ich hasste es, wenn Typen jeden Tag ein paar Stunden im Fitnessstudio verbrachten, Gewichte stemmte und mit Muskeln vollgestopft waren. Dieser hier sah wirklich nicht so aus. Er war einfach durchtrainiert. Er bemerkte wohl, dass er dezent gestört hätte und drehte sich um.

"Sorry", sagte er und tauchte wieder unter, um weiter ins Meer hinaus zu schwimmen. Ich war kurz davor, ihn zu warnen, da die Gewässer hier ziemlich gefährlich sein konnten, aber er hatte unseren romantischen Augenblick zerstört!

Eine peinliche Stille breitete aus. Wir konnten ja schlecht weitermachen, wo wir eben aufgehört hatten. Ich verfluchte diesen Typen innerlich. Sean schien diese Situation genauso unangenehm zu finden. Seine blauen Augen waren nach unten gerichtet und er kratzte sich räuspernd am Hinterkopf.

"Ähm, ich denke dann gehen wir mal zu den anderen zurück", murmelte er.

"Ja, ich denke auch", antwortete ich und wir schwammen zurück. Als wir wieder am Strand waren, sah ich die Freunde des Jungen eben. Ich fand es merkwürdig, dass sie sich garnicht fragten, wo er denn sei. Schnell blickte ich mich um und suchte den Horizont ab. Ich starrte bestimmt eine Minute auf das Meer hinaus, aber ich konnte ihn nicht sehen. Wahrscheinlich war ein Unfall passiert und er trieb schwer verletzt - vielleicht sogar bewusstlos hier irgendwo herum!

Panisch lief ich auf sie zu. Ich hatte richtig gezählt und es waren insgesamt acht, doch sie saßen nur zu siebt hier auf dem Sand herum. Sie lachten und erzählten sorglos vor sich hin.

"HEY!", rief ich und fuchtelte wild mit den Armen in der Luft. "Euer Freund! Er ist weg!"

Ein blonder Mann mit stechend blauen Augen fing an zu lachen. Er hatte seinen Arm um ein braunhaariges Mädchen mit dunklem Teint gelegt, das eine wunderschöne Flechtfrisur trug. Alle grinsten irgendwie oder lachten mit.

"Nein, Nein, ihr versteht nicht", sagte ich und zwang mich, etwas ruhiger zu sprechen. "Er war eben dort draußen und isst weiter hinaus geschwommen!"

Das blonde Mädchen erhob sich von ihrem Platz.

"Beruhige dich erstmal. Wir wollen doch nicht, dass hier irgendein Bademeister aufmerksam wird." Sie schaute mich eindringlich an und ich bemerkte ihre grauen Augen, die mich etwas nervös machten.

Energisch schüttelte ich meinen Kopf.

"ER IST IN GEFAHR", sagte ich langsam und deutlich. Ich sprach doch kein chinesisch!

"Nein, alles gu-"

"Oh Götter, egal wo er ist, ich hoffe er bringt mir ne Pizza mit ... ich hab Hunger!", unterbrach sie ein südländisch aussehender Junge mit einem koboldähnlichen Gesicht.

"Klappe, Valdez", sagte das Mädchen zu ihm gewandt.

"Wir lange ist er jetzt schon weg?", fragte ich genervt.

"Nicht lange genug, um sich Sorgen zu machen. Nach spätestens neun Monaten wird's kritisch."

"Ich rufe den Notarzt, wenn ihr nicht sofort etwas unternehmt!", brachte hervor.

"Sie ist aber ganz schön um die Sicherheit deines Allerliebsten besorgt", grinste der Kobold. Das müsste ich schon sagen: er wusste, wie man provoziert.

"Noch ein Wort und ich schneide dir persönlich die Zunge aus dem Mund", zischte das Mädchen. Auf der anderen Seite wusste sie auch, wie man sich verteidigt.

Ich machte eine abwertende Handbewegung und drehte mich um. Was waren denn das für Freunde?
Fest entschlossen drehte ich mich um und stampfte durch den Sand.

"Hey!", rief die Blonde mir hinterher. "Wo willst du hin?"

"Ich werde ein die Polizei verständigen! Irgendjemand muss es ja tun!", rief ich über meine Schulter. Unerschrocken trampelte ich weiter. Ich sah mich schon als Heldin, wie ich einen ahnungslosen Touristen vor dem Tod rette.

"STOP!", rief plötzlich eine andere weibliche Stimme.
Ich wusste nicht recht, was mit mir los war. Als ob jemand im meinen Kopf eingedrungen wäre und meine Gedanken manipulierte, denn abrupt blieb ich stehen.

"Du wirst jetzt zurück zu deinen Freunden gehen und so tun, als ob nichts geschehen ist, okay?", sagte sie sie mit einer ruhigen Stimme und ich drehte mich um. Das Mädchen mit den braunen Haaren stand auf. Verwirrt blickte ich in ihre Augen.

"Okay?", wiederholte sie. Ich nickte langsam mit dem Kopf und drehte mich wieder um, um langsam zu den anderen zurückzugehen.

Percabeth aus einer anderen PerspektiveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt