Nr.18

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-Mary-

"Und, Percy?", fragte ich. "Was hast du am Wochenende vor?"

Er musterte mich, seine Augen misstrauisch zu Schlitzen verengt. Dieser Typ war nun schon seit ein paar Wochen in unserer Klasse, und hat nie etwas über sich erzählt. Mir waren schon viele Gerüchte zu Ohren gekommen, dass er ein gesuchter Verbrecher sein sollte und schon einmal seine frühere Schule in die Luft gejagt hat. Aber das war reine Spekulation.

"Nichts", sagte er. "Absolut nichts."

Ich lächelte. Was noch wichtig zu wissen ist: ich bin ein sehr neugieriger Mensch. Und wenn ich etwas wissen will, dann finde ich es auch heraus. Das habe ich wahrscheinlich von meinem Vater gelernt, der als Privatdetektiv arbeitet. Und ich habe mir vorgenommen, mehr über ihn herauszufinden. Bis jetzt wusste ich nur, dass er jedes Wochenende spurlos verschwand. Ein guter Freund von mir kannte sich gut mit Technik aus und hätte sich in sein Telefon hacken können, um ihn per GPS zu verfolgen, aber er besaß kein Handy, was ich äußerst seltsam fand.

Es war nicht so, dass ich ein Stalker war. Es machte mich -und einige Mitschüler, wie ich aus sicheren Quellen wusste- einfach verrückt, nichts über ihn zu wissen. Percy sprach nicht über seine Hobbys, seine Vergangenheit, seine Freunde. Das Ganze war doch auch zu seinem Wohl. Wenn wir etwas über ihn wüssten, könnten wir ihn doch auch besser in der Klassengemeinschaft integrieren, oder?

"Na dann", sagte ich, "ein schönes Wochenende und viel Spaß bei 'absolut nichts'."

"Danke, gleichfalls", sagte er misstrauisch, griff seinen Rucksack und schlich aus dem Klassenraum. Er würde nicht mehr lange der neue geheimnisvolle Typ sein, dachte ich grinsend.

Ehe ich ihm hinterherhuschte, wendete ich mich noch an meine Freundin Anne.

"Mission Jackson beginnt", flüsterte ich.

Sie zwinkerte. "Viel Glück."

Percy fuhr jeden Morgen mit der U-Bahn, wie ich auch. Deswegen kannte ich mich gut mit dem New Yorker Bahnnetz aus und konnte ungefähr abschätzen, wohin er fuhr.

Zu erst wurde ich enttäuscht. Er fuhr ganz normal nach Hause und verschwand für eine Weile. Mit einer Kapuze über meinem Kopf setzte ich mich ein paar Häuser weiter auf eine Bank und beobachtete das Haus. Ich fragte mich, was er wohl für eine Familie hatte. Vielleicht verstand er sich ja gar nicht gut mit seinen Eltern und floh jedes Wochenende vor ihnen. Das würde ja schlimm sein, aber einiges erklären.

Doch als er nach etwa einer halben Stunde wieder aus dem Gebäude kam, schloss ich dies aus. Er kam in Begleitung seiner Mutter. Es sah ganz nach einem Abschied aus, denn beide umarmten sich herzlich. Dann ging er wieder in Richtung U-Bahn-Station. Unauffällig folgte ich ihm.

Kurz zögerte ich, als er in eine Bahn stieg, die aus der Stadt herausfuhr. Ich hatte meiner Mom gesagt, dass ich nach der Schule zu Anne fahren würde. Wenn Percy zu lange unterwegs war, konnte ich sie noch anrufen und sagen, dass ich bei Anne übernachten würde, aber ich konnte nicht das ganze Wochenende weg bleiben.

Wir fuhren lange. Sehr lange. Wir hatten die Stadt schon längst verlassen und waren mindestens schon drei mal umgestiegen, da wurde mir klar, dass wir in Richtung Long Island fuhren. Eine Kappe tief ins Gesicht gezogen hielt ich immer viel Abstand, verlor ihn aber auch nie aus dem Blick.

Irgendwann fragte ich mich, wo zum Teufel er hinwollte. Wenn wir weiter fuhren, würden wir noch in Montauk ankommen, und das war mitten im Nichts.

Ein paar Stationen vor Montauk stieg Percy endlich aus. Er rief sich ein Taxi. So langsam wurde das Ganze gruselig, aber ich kehrte nicht um. Dafür war ich zu weit gekommen. Also besorgte ich mir auch ein Taxi und sagte dem Fahrer, er solle Percys Taxi verfolgen, möglichst unauffällig natürlich. Er schaute mich schief an, sagte aber nichts und fuhr los.

Percabeth aus einer anderen PerspektiveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt