Teil 3 der Leseprobe

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Mit skeptischer Miene und verschränkten Armen beobachtete ich meinen Vater, wie er meinen Koffer im Kofferraum betrachtete.

„Lass uns erst einmal reingehen, deine Sachen holen wir dann später", schlug er vor. Er richtete sich auf, sah den Ausdruck auf meinem Gesicht und erklärte mir seufzend: „Komm, die beißen sicher nicht. Und wenn, dann würdest du ja wohl kaum zögern zurückzubeißen."

Als Antwort warf ich ihm einen giftigen Blick zu und drehte mich dann zur Schule. Oder sollte ich besser zum Schloss sagen?! Als wir um die letzte Kurve gefahren waren und das Internat schon von weitem hatten sehen können, hatte Papa mir eröffnet, dass dieses ultrakrasse Gebäude die Schule war.

„Im Ernst jetzt?", war mein Kommentar gewesen, denn ich musste zugeben, dass das mit Abstand die atemberaubendste Schule war, die ich jemals gesehen hatte. Sie sah aus wie aus einem alten Film entsprungen. Ein kleines Schloss konnte man schon wirklich sagen! Überall ragten kleine Türme hinauf und die Fenster in allen vier Stockwerken waren riesig.

„Kommst du?", riss mich Papas Stimme aus meinem Staunen.

Das Internat selbst hatte mich so sehr eingenommen, dass ich mich noch nicht einmal auf meiner eigenen Augenhöhe umgesehen hatte. Wir hatten auf dem kleinen Parkplatz des Internats geparkt, der sich neben dem Fußballfeld seitlich des Internats befand. Um zum Haupteingang zu kommen, mussten wir nun den Pausenhof überqueren – und es schien genau jetzt gerade Pause zu sein, sodass der Großteil der Schüler hier draußen war.

„Jassy, jetzt komm, es regnet sicher gleich, schau dir die dunklen Wolken an", trieb Papa mich an und war schon auf dem Weg Richtung Eingang, womit er alle Blicke auf sich zog.

Na super.

Ich senkte den Blick auf den Boden und hastete Papa hinterher. Für den Bruchteil einer Sekunde sah ich mich schnell um, bevor ich wieder auf den feuchten Asphalt starrte. Der Platz war genau so schön wie das Internat. Es gab kleine Beete mit Büschen und Sträuchern an den Seiten des geteerten Platzes. Im Sommer wuchsen hier bestimmt viele bunte Blumen. So ein Mega-Internat hatte sicher seine eigene Gärtner-Armee, die sich um alles kümmerte.

Als wir drinnen angekommen waren, atmete ich erst einmal erleichtert aus. Ich hatte nicht gemerkt, dass ich die Luft vor lauter Aufregung angehalten hatte. Bevor ich mich von dem Schreck, dass mich jeder angestarrt hatte, erholen konnte, hatte Papa schon eine Frau begrüßt, die in der riesigen Eingangshalle schon auf uns wartete.

Das war hundertprozentig die Rektorin. Es war, als hätte sie sich mit einem Parfüm namens ‚Autorität' eingesprüht. Ich sah sie mir genauer an. Sie war groß und schlank mit hellbrauen, hochgesteckten Haaren und außerdem auffallend hübsch. Und wenn ich es mir recht überlegte, sah sie eigentlich sehr nett aus. Sie musste starke Nerven haben, ein Internat zu führen, war bestimmt keine einfache Aufgabe. Vor allem nicht, wenn einem so Problemfälle wie ich untergejubelt wurden.

„Hallo Jasmin, hallo Herr Graf, herzlich Willkommen im Internat Ludenburg! Ich bin Rektorin Schattauer", stellte sie sich lächelnd vor und streckte mir ihre Hand entgegen.

„Hallo", erwiderte ich murmelnd und schüttelte ihr sehr kurz die Hand.

Ich fühlte mich gerade sehr unwohl in meiner Haut. Papa hatte ja sicherlich mit ihr telefoniert und ihr von mir und meinen Aktionen in meiner alten Schule erzählt.

In den letzten anderthalb Tagen hatte ich mich verändert, bemerkte ich jetzt. Ich hatte begonnen, über das letzte halbe Jahr nachzudenken, und hatte wohl realisiert, was für peinlichen Scheiß ich gebaut hatte.

Sei mir nicht böse, aber ich bin froh drüber, dass du das merkst. Und auch stolz auf dich, es wurde endlich mal Zeit, sagte meine innere Stimme sanft.

Riptide [LESEPROBE]Where stories live. Discover now