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Mein Großvater war derjenige, der mir sagte, dass leben nicht immer gleich leben bedeutet. Er erklärte mir aber nicht, was genau er damit meinte, als er meine großen, fragenden Kinderaugen sah.

Er war ein weiser Mann, jedenfalls für mich. Meine Eltern hielten ihn für nicht ganz 'richtig'. Doch ich habe zu ihm aufgesehen, da er immer von seinen verrücktesten und spannendsten Erlebnissen erzählt hatte.

Einmal, da saßen wir alle gemeinsam an Heiligabend im Wohnzimmer und mein Großvater hatte wie üblich seinen Platz auf einem alten, braunen Ledersessel eingenommen. Er hatte schon seine fünfte Flasche Bier und fing an von seiner Expedition zur Spitze vom Mount Everest zu erzählen.

Mum und Dad sagen, ich hätte ihm jedes mal mit strahlenden Augen zugehört und gejammert, wenn wir gehen mussten.

Er starb kurz vor meinem siebten Geburtstag an Herzversagen. Für mich brach eine Welt zusammen, weil er in meinen Augen der größte Held war, sogar noch größer als Superman und die anderen Typen in diesen komischen Kostümen.

Er hinterließ mir seinen Kompass, der ihn durch den tiefsten Teil des Regenwaldes geführt hatte. Darauf hatte er immer geschworen und ist wütend geworden, wenn seine Familie ihm das als Lüge unterstellte. Ich dagegen habe keine einzige Sekunde an seinen Geschichten gezweifelt.

Seit seinem Todestag trage ich das goldene Erbstück immer in meiner rechten Brusttasche.

Verstanden hatte ich erst neun Jahre später, was er damals gemeint hatte.

Mein Großvater hatte gelebt und ich will das auch.

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"Jede Reise muss ein Ende finden, andererseits gäbe es keine Zeit mehr, über die Abenteuer und Momente zu erzählen, die gelebt worden sind."

I LivedWo Geschichten leben. Entdecke jetzt