7. Verschlingen

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Es war Montag. Meine erste Arbeitswoche war überstanden und nun waren 7 Tage vergangen, seit ich Manuel das letzte Mal gesehen hatte. Ich hatte mich damit abgefunden, dass ich in seinen Augen wahrscheinlich nur ein Spaß für zwischendurch gewesen bin. Ich würde ihn nie wieder sehen und das machte mich traurig. Ständig musste ich an seine Augen denken, dieses tiefdunkle Braun, das beinahe ins Schwarz überging und welches mich mehr als nur ein Mal zu verschlingen drohte. Auch an seine dunkle, raue Stimme dachte ich, ebenso daran, wie er mich berührt hatte, als ich mich im Wald erschrak. Er tat so wenig und doch so viel, jede seiner Bewegungen hatte eine unglaubliche Wirkung auf mich, selbst wenn es nur ein Zucken seines Mundes war oder ein Blinzeln seiner Augen. Ich wusste nicht, wie ich all das deuten sollte. Ich hatte Bücher gelesen, Lieder gehört und Filme gesehen, doch in keinem wurde Verliebtsein so beschrieben. Es war immer nur von Schmetterlingen und sinnlosem Grinsen die Rede. Doch so etwas merkte ich bei mir nicht. Ich wusste nicht, was ich damit anfangen sollte, also versuchte ich einfach, das alles zu vergessen. Es gelang mir auch relativ gut, abgesehen von meinen Träumen und gelegentlichen Tagträumen dachte ich immer weniger an ihn. Ich versuchte, mich, so gut es ging, abzulenken.

Die Türglocke gab ein sanftes Klingeln von sich und ich spürte, wie sich die Haare auf meinen Armen aufgrund des Windhauchs, der durch den Türspalt hereinströmte, aufstellten. Ein Duft erreichte meine Nase. Er war mir bekannt: Aftershave, Pfefferminz, Mann. Noch bevor ich es realisierte, sah ich Manuel hereinkommen. Ich fühlte mein Herz in der Brust beinahe zerspringen.
Als er mir das Geld für sein gewähltes Buch gab (ein Gedichteband von Heinrich Heine!) und ich es in der Kasse verschwinden ließ, merkte ich, wie sehr meine Hände zitterten. Ich konnte nicht kapieren, was es war, das dieser Mann in mir auslöste. Meine Wangen glühten jedes Mal fiebrig, sofern er sich in meiner Nähe befand.
Ich wollte reden, ihn fragen, warum er mich am Dienstag sitzen lassen hat, warum er nie nach meiner Handynummer fragte und warum er seinen Gedichteband ausgerechnet hier kaufen wollte. Doch meine Kehle war trocken und meine Lippen wie zusammengeschweißt. Meine Augen wanderten hektisch hin und her, sahen sich alles im Raum an, nur nicht ihn. Und da. Mich überkam ein vertrautes Gefühl, eines, nachdem ich mich die ganze Woche über gesehnt hatte. Meinen ganzen Körper überfuhr eine Gänsehaut, ich war wie elektrisiert und erstarrte. Nur wegen dieser kleinen Berührung zwischen seiner rauen Hand und meinem Oberarm. Sein Griff war fest, aber nicht grob und trotzdem sah ich meine Haut unter seinen Fingern weiß werden. Sofort wurde mein Blick auf ihn gerichtet, ich konnte gar nichts dagegen tun, gegen diese Anziehungskraft, stärker als jeder Magnet.
Seine Stimme erreichte mein Ohr wie von weit her, ich war von meinen Empfindungen abgelenkt, sie übermannten mich, meine Gefühle nahmen mich ganz und gar ein und ich konnte mich nicht mehr lenken.
"Wann ist deine Schicht heute zu Ende?", fragte er mich und ich antwortete viel zu spät: "Um 17 Uhr, wie immer."
Ich war nicht diejenige, die sprach, sondern mein Körper mit seiner Stimme, denn ich selbst war viel zu weit weg.
"Dann hole ich dich ab."
An diesem Punkt wurde ich wach. Wut überkam mich. Ich wollte ihn anschreien, ihm klarmachen, dass ich nicht sein Spielzeug war, über das er bestimmen konnte, dass er nicht so mit mir umherspringen sollte. Aber ich blieb still. Stattdessen brachte meine Stimme heraus: "Okay" und mein Mund lächelte. Am liebsten hätte ich mich selbst geschlagen, drei Mal, für die Einwilligung, das Lächeln und den ausgelassenen Wutanfall. Doch das tat ich nicht. Ich sah ihm hinterher, wie er den Laden verließ und zählte seine Schritte: eins, zwei, drei, vier, fünf und jeder einzelne verursachte einen Stich in meine Brust.

Diesmal wartete er tatsächlich auf mich. Ich stieg in sein Auto und er fuhr ungefähr 20 Minuten lang durch die kleine Stadt, bis er vor einer Reihenhaus-Straße hielt. Die Häuser sahen sehr schick und modern, aber trotzdem einladend gemütlich aus.
"Wohnen Sie hier?", fragte ich.
"Ganz genau. Ich möchte, dass du mit reinkommst."
Ich überlegte still. Gerade mal seit zwei Wochen kannte ich Manuel. Er kommandierte mich nur herum, schien keinerlei Gefühle zu haben und ansonsten wusste ich gar nichts über ihn. Es wäre wahrscheinlich eine ziemlich schlechte Idee und absolout dumm von mir, wenn ich mit diesem Mann allein in sein Haus gehen würde. Ich könnte mich nie im Leben gegen ihn wehren und im Zweifelsfall würde mir auch niemand zur Hilfe kommen. Ja, es wäre wirklich sehr dumm von mir, mitzugehen.
Und trotzdem tat ich es.

Vernunft und TriebWhere stories live. Discover now