Kapitel 11

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Nach einem langen Bad bequemte ich mich dazu, mich abzutrocknen und anzuziehen. Ich legte noch ein wenig Make-up auf und es konnte losgehen. Ich fühlte mich in meinem knielangen, dunkelgrünen Kleid und den schwarzen, mit Glitzersteinchen besetzten Pumps ziemlich wohl. Fertig für mein Date öffnete ich also die Badezimmertür und trat hinaus in unser Schlafzimmer. Am besten würde ich die ganze Nacht unterwegs sein, denn ich war nicht gerade scharf darauf, mir mein Bett mit Jason teilen zu müssen. Ich überlegte, ob ich einfach bei Harvey schlafen sollte, doch diesen Gedanken verwarf ich schnell wieder. Ich wollte ihm keine falschen Hoffnungen machen und ich war ja nicht wie Püppchen.
Mit meiner Handtasche bewaffnet wollte ich gerade die Tür öffnen, als sie wie von Geisterhand aufschwang. Und davor stand kein Geist, nein, sondern mein Chef. Er scannte mich von Kopf bis Fuß ab und schüttelte den Kopf.
"Sie wollen sich also tatsächlich mit diesem Harvey treffen?" Er sah mich mit einem abwertenden Blick an.
"Ja. Und ihnen würde ein bisschen Spaß sicher auch mal guttun. Fragen Sie doch einfach Ray, ob er mit Ihnen ausgeht, der mag sie nämlich aus unerklärlichen Gründen."
Mit diesen Worten quetschte ich mich an ihm vorbei, wobei mir sein Aftershave in die Nase stieg und ging zu unserem verabredeten Treffpunkt.
Harvey wartete schon auf mich. Er trug eine blaue Jeans und ein grünes Hemd. Also farblich passten wir schon einmal zusammen. Als er mich sah, kam er auf mich zu und umarmte mich. Für einen kurzen Moment war ich etwas überfordert, immerhin kannte ich ihn gar nicht richtig, dann aber erwiderte ich seine Umarmung. Seine gute Laune war ansteckend und wir lachte viel auf dem Weg zum Griechen. Dort angekommen landete etwas für mich undefinierbares auf meinem Teller und ich stocherte lustlos darin herum. Harvey war nett und zuvorkommend, doch er redete einfach zu viel. Ich hörte ihm nur noch mit halbem Ohr zu und nickte hin und wieder. Was würde ich jetzt für eine Currywurst geben...
"Lynn?"
Redete er etwa mit mir?
"Ja?"
"Willst du denn gar nichts mehr essen?"
"Nö. Ich habe keinen großen Hunger."
"Na dann schieb deinen Teller mal rüber."
Es war ja nicht so, als hätte er seinen riesigen Teller schon gegessen, nein, jetzt futterte er meinen auch noch. Igitt. Wie konnte man diesen ekelhaften Matsch überhaupt essen?
Harvey begann wieder von seinem Job als Fotograf zu erzählen und ich schaltete ab. Am Rande meines Bewusstseins schwebte die ganze Zeit ein Bild von Jason, wie er mich missbilligend anstarrte. Ich sah mich im Restaurant um und da war er. Was? Warum war er hier? Und warum hatte ich ihn nicht schon früher bemerkt? Er saß mit Mister and Misses Collins an einem Tisch und starrte zu uns herüber. Als er meinen Blick bemerkte, blinzelte er kurz und sah wieder das Autorenehepaar an. Konnte man denn nie seine Ruhe vor ihm haben? Aber hatte ich nicht eben noch von ihm geträumt? Seine mittel-dunkelblonden Haare waren leicht verwuschelt und man hatte das Bedürfnis, sie ihm aus der Stirn zu streichen. Die leichten Bartstoppeln ließen ihn leicht verwegen aussehen und wie gerne würde ich jetzt in seinen stahlblauen Augen versinken. Er war der Traummann schlechthin, doch leider schwul. Nahm ich zumindest an...
Rums. Harvey war vom Tisch aufgesprungen und hatte dabei seinen Stuhl umgekippt.
"Verdammt Lynn! Wenn Du nicht mit mir, sondern mit ihm," er zeigte auf Jason, "hier sein willst, dann hättest du das von Anfang an sagen sollen. Ich bin nicht dein verfluchter Trostpreis!"
Hatte ich Jason etwa so auffällig beobachtet. Na super, alle im Restaurant starrten uns an. Alle einschließlich Jason. Er hatte alles mitbekommen. Und ich konnte es noch nicht einmal leugnen.
"Harvey. Es tut mir leid. Ich weiß auch nicht, was ich mir dabei gedacht habe." Mit diesen Worten erhob ich mich von meinen Stuhl und verließ das Hotel. Harvey und Jason starrten mir beide ziemlich verdattert hinterher. Was hatten sie erwartet? Dass ich ausrastete und hier rumschrie? Ich hatte einfach keine Lust, mich zu streiten und außerdem hatte Harvey ja recht.
Ich stöckelte einsam durch die Gegend und da war er, meine Rettung. Der Imbiss. Ich betrat die kleine Frittenbude mit leerem Magen und verließ ihn mit einer Currywurst, Fritten mehr auf den Rippen.
Ich wollte Jason noch nicht unter die Augen treten, also ging ich in die erstbeste Kneipe. Ich wusste, Alkohol war keine Lösung, aber besser als nichts. Also nahm ich an der Theke Platz und bestellte mir einen Whistkey nach dem anderen. Um 2 Uhr machte ich mich dann doch auf den Weg zum Hotel, immerhin hatte ich morgen wieder ein Meeting. Warum waren die Straßenlaternen denn so gebogen?
Schließlich erreichte ich das Hotel. Der Mann an der Rezeption, der diese Nacht wohl Dienst hatte, hielt mich auf.
"Wo wollen Sie denn hin? Wir sind ein angesehenes Hotel."
"Ich möchte auf mein Zimmer. Das muss ich mir nämlich mit meinem Arschloch von Chef teilen. Kennen Sie meinen Boss?" Lallte ich.
"Nein, ich kenne ihren Chef nicht. Wer ist denn ihr Chef, dann kann ich anrufen und ihn bitten, Sie holen zu kommen."
"Mein Chef ist Jason Clark. Der, der so verdammt sexy ist." Ich lallte noch mehr und begann zu kichern. "Ich geh dann mal in mein Zimmer." Mit dieser Aussage marschierte ich los.
"Moment. Da geht es in den Keller. Warten sie kurz."
Ich wollte mich nicht streiten und da sich ohnehin alles drehte setzte ich mich einfach hin. Der Boden war so bequem. Ich legte mich ganz hin und sah an die Decke.
"Wo sind denn die Sterne?"
"Lynn?" Jemand lachte. "Hier sind keine Sterne."
Ein wunderschönes Gesicht beugte sich über mich.
"Und was macht Gott dann hier?"
"Ich bin Jason." Warum lachte Gott mich denn jetzt aus.
"Also für mich bist Du Gott. Guckst Du mit mir die Sterne?"
"Nein. Du musst ins Bett. Was hast du dir nur dabei gedacht, so viel zu trinken?"
Ich schwebte über dem Boden.
"Ich kann ja fliegen." Ich wackelte wie eine Bekloppte mit den Armen.
"Lynn. Halt still, sonst lass ich dich noch fallen." Er trug mich in den Aufzug.
"Drück mal auf die Elf, ich hab' keine Hand frei."
Ich drückte einfach alle Tasten. Woher sollte ich auch wissen, was eine Elf war?
Gott schüttelte den Kopf. Ich hatte das Bedürfnis, ihn anzufassen. Ob er wohl echt war?
Ich tatschte ihm ins Gesicht.
"Bist du echt? Du bist so weich."
"Ja ich bin echt." Warum lachte Gott mich denn schon wieder aus. Der Aufzug öffnete sich wieder und ich flog hinaus, landete kurz auf dem Boden und wurde wieder hochgehoben. Gott setzte mich auf das Bett und zog mir meine Schuhe aus. Was für ein Service. Der Himmel war wohl doch nicht so scheiße, wie ich gedacht hatte.
Ich wurde ganz ins Bett gelegt und zugedeckt. Kurze Zeit später senkte sich die Matratze auf der anderen Seite. Was war das? Ich steckte meine Hand aus und spürte wie eine andere warme Hand sie ergriff. Mir war kalt.
"Ich will kuscheln," nuschelte ich und schon rückte ich auf die lebende Wärmequelle zu, die mich in den Arm nahm. In nüchternem Zustand hätte ich mich mit Sicherheit nicht an meinen Chef gekuschelt...

Love the Boss or not Where stories live. Discover now