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Es war ein viel zu kalter Tag, um in die Schule zu gehen, soviel stand fest. Denn genau dann, wenn das Thermometer unter der Null landet, entscheideten sich die Schulheizungen mal wieder spontan dazu, nicht mehr anzugehen und die gesamte Schülerschaft in menschliche Eiszapfen zu verwandeln.

Seufzend wickelte ich mir meinen dicken Wollschal um den Hals und zog mir meine gefütterte Jacke an. Es war gerade mal Mitte Oktober, es war noch kein Schnee vorhanden, und trotzdem fror man bereits, als wären wir im tiefsten Winter angekommen.

"Lucas!", rief ich überrascht, als ich meinen älteren Bruder die Treppe runterrennen höre. Ich war fest davon überzeugt, dass er bereits das Haus mit meinen Eltern gemeinsam verlassen hatte. Der verwuschelte Haarschopf deutete darauf hin, dass er anscheinend verschlafen hatte.

"Hm?", grummelte er, während er sich schnell seine Schuhe anzog. Um die nervige, verwöhnte kleine Schwester raushängen zu lassen, die ich nunmal war, setzte ich das süßeste Lächeln auf und griff nach meiner Schultasche. "Ich dachte, du wärst bereits weg. Es ist so schrecklich kalt draußen, du wirst mich doch bestimmt mitnehmen, oder? Die Busfahrt würde ich nicht überstehen", sagte ich zuckersüß und mein Bruder stöhnte genervt auf.

"Das hast du geplant, du kleine Hexe", meinte er und ich lachte auf. Kopfschüttelnd öffnete ich die Haustüre, während er sich seine Lederjacke anzog, dessen Anblick mich schaudern ließ, ebenso wie die kalte Luft, die in unser Haus drang.

"Ich dachte wirklich, du bist bereits weg. Es war so still und da habe ich nicht damit gerechnet, dass du verschlafen hast", verteidigte ich mich und laufe gemeinsam mit meinem Bruder zum Wagen.

"Ich muss noch schnell zu David. Ich habe gestern mein Handy dort vergessen und deshalb konnte mein Wecker mich auch nicht wecken", erklärte er und ich schnappte nach Luft. Da ich selbst mit dem letzten Bus gefahren wäre, der gerade noch pünktlich kurz vor Beginn der Schule an der Haltestelle ankommt und David, Lucas' bester Freund, am anderen Ende der Stadt wohnte, würde das bedeuten, dass ich zu spät zum Unterricht kommen werde.

"Ich habe in der ersten Stunde Mister Miller, Lucas, da möchte ich ungern zu spät kommen", versuchte ich es ihm zögernd beizubringen. Mein Bruder lacht kurz auf und zuckt mit den Schultern, während wir aus unserer Ausfahrt fahren. "Und ich habe in der ersten Stunde Miss Gerritsen, auch nicht besser, aber da müssen wir jetzt durch. Außer du entscheidest dich dafür, zu Fuß zu gehen." Er warf mir ein zuckersüßes Lächeln zu und ich rollte mit den Augen. Demonstrativ verschränkte ich meine Arme und dachte darüber nach, was für Strafen meine Mitschüler bis jetzt bei Mister Miller bekommen haben, als sie zu spät kamen.

Leise Rapmusik tönte aus dem Radio und ich dachte mit einem Grinsen daran, was Mum und Dad dazu sagen würden, wenn sie wüssten, dass Lucas frauenfeindlichen Gangsterrap hörte.

"Ich hasse den Verkehr in dieser verfluchten Stadt", murmelte er und hielt abrupt an, da ein PKW ihm die Vorfahrt nahm.

"So ein Idiot! Wo hast du deinen Führerschein her? Im Lotto gewonnen?", regte Lucas sich auf und ich konnte mir ein Lachen nicht mehr verkneifen.

"Was ist, wenn ich ebenfalls mal so fahren werde?"

Er warf mir einen Blick zu, als wäre ich ein Alien und schüttelt den Kopf. "Dann werde ich nicht zulassen, dass du jemals in die Nähe eines Autos kommst", antwortete er und ich schüttelte grinsend den Kopf.

Nach einer halben bis dreiviertel Stunde kamen wir vor den Toren unserer Schule an, was bedeutete, mit einer saftigen Verspätung.

"Ich hasse dich", meinte ich seufzend, während ich aus dem Auto ausstieg und gehetzt los lief. "Nein, tust du nicht!", rief er mir hinterher und schien es nicht mal halb so eilig zu haben. Er verpasste oft Stunden, aber mit seiner Charme wickelte er die Lehrerinnen, die er hatte, immer um den Finger. Das hieß aber widerrum, dass er nur Stunden verpassen durfte, in der er eine weibliche Lehrkraft hatte.

Ich rollte mit den Augen und riss die Eingangstür auf. So verlassen und leer wirkte der Schulgang plötzlich unfassbar gruslig und anders. Ohne an meinem Spind vorbei zu laufen, stürmte ich sofort zu meinem Klassenraum. Ich hasste es, zu spät zu kommen.

Alle Blicke lagen auf mir, als ich die Tür aufriss und keuchend zu meinem Platz lief.

"Miss Gray? Kann ich Ihnen behilflich sein?", fragte mein strenger Lehrer mit einem sarkastischen Unterton. Ich schluckte und nickte. "Es tut mir leid. Es wird nicht wieder vorkommen", meinte ich und er durchbohrte mich regelrecht mit seinen Adleraugen.

"Gibt es einen Grund für Ihre Verspätung?"

Hastig erzählte ich ihm die ganze Geschichte und sein Blick wurde immer grimmiger.

"Nun, da Sie sowieso der Meinung sind, dass mein Unterricht Ihnen nicht so wichtig ist, können sie den Raum verlassen. Die Anderen schreiben bitte weiter."

Mit offenem Mund starrte ich hilflos zu Lucie, die nur mit den Schultern zuckte.

"Heute noch, wenn es geht", forderte mich der Lehrer ein weiteres Mal auf und trotzig verließ ich das Klassenzimmer.

Kurz verkneife ich das Bedürfnis, die Tür laut zuzuknallen. Frustriert setzte ich mich auf den Boden neben der Tür und starrte die Wand gegenüber an. Noch mindestens zwanzig Minuten würde der Unterricht dauern. Während ich über Pläne nachdachte, wie ich meinen Bruder am besten umbringen könnte, tauchte auch eine andere Person auf dem leeren Gang auf. Die schweren Schritte hallten im großen Flur.

"Was machst du denn hier?", fragte er spöttisch und ich fühlte mich augenblicklich unwohl, da ich nach oben sehen musste und mich unterlegen fühlte. Mit einem provokanten Grinsen starrte Tyler mich an und schob seine Hände in seine Hosentasche.

"Bin zu spät gekommen. Er hat mich rausgeschmissen", meinte ich seufzend und Tyler blickte zu Tür. "Dann würde es sich für mich wahrscheinlich nicht lohnen, jetzt da rein zu gehen", sagte er schließlich und ließ sich neben mir nieder. Verwundert und skeptisch musterte ich ihn von der Seite.

Er ging nun mehrere Wochen auf unsere Schule und noch immer wusste niemand, was man von ihm halten sollte. Bereits mit vielen Mädchen hatte er etwas angefangen, doch immer wieder schickte er sie nach wenigen Tagen wieder weg. Das merkte man daran, dass die Mädchen meist am nächsten Tag mit verheulten Augen oder vor Wut brennenden Gesichtern in die Schule kamen. Außerdem war er ausgesprochen gut in der Schule, was vor allem die Lehrer provozierte, da er ein nicht dem Ideal entsprechendes Verhalten an den Tag legte. All das hatte ich bis jetzt mitbekommen, aber persönlich konnte ich mir noch nie ein Bild von ihm machen.

"Kannst du aufhören, mich anzustarren? Es nervt mich", meinte er nach einer Weile schlicht. Ich zuckte unmerklich zusammen und runzelte die Stirn. Ich mochte es nicht, wenn jemand andere Menschen überheblich behandelte.

"Wieso denkst du, dass es jemanden interessiert, wenn dich etwas nervt?", fragte ich und er hob eine Augenbraue an.

Ein Grinsen schlich sich auf seine Lippen. "Keine Ahnung. Vielleicht, weil du einen großen Wert auf meine Meinung legst?", gab er abgehoben zurück. Verwirrt sah ich ihn an. "Was? Wieso sollte ich das tun?"

Er lachte. "Weil jedes Mädchen wert auf meine Meinung legt."

Ich lachte hysterisch auf und schüttelte den Kopf. "Ich muss dich enttäuschen, ich gehöre nicht dazu." Ich stand auf und griff nach meiner Tasche.

"Deine Anwesenheit nervt MICH. Und deshalb werde ich jetzt gehen", teilte ich ihm mit und ließ ihn alleine auf dem Boden sitzen. Da wir in der nächsten Stunde Chemie haben würden, machte ich mich auf den Weg zum Chemiesaal.

Das Blut pulsierte in meinen Venen. Ich konnte arrogante Menschen noch nie ab und hätte ich keine gute Erziehung genossen, hätte ich ihm ins Gesicht gespuckt. Im Namen aller Mädchen, die er in den letzten Wochen verletzt hat. Aber ich muss zugeben, selbst mit meiner Spucke im Gesicht und einem wütenden Gesichtsausdruck würde er verdammt sexy aussehen.

left me in piecesTempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang