Kapitel 10

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“Man darf es zwar nicht sagen, aber ich hasse die Regeln hier.“, meint Maximilian und sinkt in den Sessel im Wohnzimmer.
Sobald Alexandra aufgetaucht war, hat sie ihn, Aurora und mich nach oben befördert. Damit wir, ihren Worten nach, nicht störten. Sie hatte entschieden, dem Jungen sein Leben zu retten versuchen. Ich bin mir nicht sicher, ob sie es bei seinem Zustand schaffen wird.
Aurora mustert mich eindringlich. “Mich interessiert mehr, warum dich der Blutgeruch nicht gestört hat, Joshua.“
Für diese Frage habe ich mir schon vor langem eine Antwort überlegt. Ich habe darauf sogar gewartet.
“Mein Erschaffer hat mich so aufwachsen lassen, dass ich die ganze Zeit über den Geruch des Blutes in meiner Nase hatte, das Blut selbst aber nicht anfassen durfte.“
Dabei ließ ich die Einzelheiten aus, dass es gar nicht mein Erschaffer war, sondern Josephine, und dass diese Quälerei aus meiner eigenen Initiative kam. “Wenn du auch nur einen Tropfen davon in den Mund nimmst“, hatte die Vampirin gesagt,  “werde ich dir einige Knochen so klein zertrümmern, dass du sie wieder brechen müssen wirst, um den Körperteil in die richtige Stellung zu bringen.“
Doch ich hatte die Probe nicht bestanden. Und zum zweiten und zum dritten Mal...
“Mein Beileid.“, entgegnet Maximilian und das hört sich sogar ehrlich an.
“Ich hoffe, der Junge überlebt.“, murmele ich nur und schließe die Vorhänge dichter zu. “Wie hat er nur die Villa gefunden...?“
“In seinen Gedanken konnte ich lesen, dass er angegriffen worden ist, als er auf dem Weg in die Stadt war. Und dann hat er unsere Villa gesichtet.“
“Sein Glück, würde ich mal sagen.“, kommentiert Aurora.
Ich schüttele den Kopf. “Seltsame Deutung des Glücks.“
Sie sieht mich hochnäsig an. “Stört dich etwas daran?“
“Aufhören mit dem Streiten.“, ertönt Christophers Stimme aus der Tür.
Wir verstummen und blicken alle drei auf.
“Sie haben noch gar nicht angefangen.“, winkt Maximilian ab.
Er verbeugt sich vor Alexandra, die hinter dem Ältesten das Wohnzimmer betritt. Auch ich beuge mein Haupt nieder.
“Joshua, es freut mich, dass du dich hier eingefunden hast.“, nickt die Anführerin mir langsam zu und lächelt kurz.
“Danke. Mir geht es hier sehr wohl.“, lüge ich.
Aber... das Leben hier kann manchmal amüsant sein. Genau dieses Grundes wegen bin ich noch nicht abgereist.
“Gebt auf den Jungen Acht. Wenn er die Verwandlung übersteht, sollst du, Christopher, ihn trainieren. Und befasst euch nicht so stark mit der derzeitigen Menschenpolitik, das ist nicht unsere Angelegenheit.“
Wir alle nicken unterwürfig und Alexandra verschwindet aus dem Zimmer. Um diesen Effekt bei Vampiren erzeugen zu können, muss man mehr als einfach nur schnell laufen. Und trotzdem finde ich sie nicht bewundernswert. Ich kann Alexandra nicht als Vorbild bezeichnet, denn sie herrscht nicht gerecht. Ich hatte mehrfach die Gelegenheit gehabt, in ihre, ich muss verdeutlichen, abgeschirmten Gedanken einzudringen. Sie hatte Christopher verboten, uns anderen vom Rat zu berichten. Auch dass sie ihn und Aurora dazu bringt, Josephines Leute bei der Jagd zu stören, verschweigt sie. Sie lässt uns also denken, die Gegengemeinde hindert unser ruhiges Leben einfach aus bösen Gedanken und nicht aus Revanche.

Seit mittlerweile 70 Stunden schon werden wir Tag und Nacht von gequältem und schmerzvollem Schreien, Keuchen und Stöhnen gestört. Der Junge hat es wirklich schwer und er tut mir leid. Jede drei Stunden lässt Christopher ihn Menschenschenblut trinken, da bei Verwandlungen nur dieses hilfreich ist. Eigentlich hätte sie nur einen Tag dauern sollen, aber bei Miguel - so lautet der Name des Jungen - müsste wohl oder übel etwas falsch gelaufen sein. Seine Wunde ist geheilt, doch sie blutet manchmal wie aus unsichtbaren Löchern.
“Er ist aufgewacht!“, ruft Aurora erleichtert von unten und ist in nächster Sekunde bei Maximilian und mir im Wohnzimmer. Sie mustert uns fragend. “Wo ist Christopher?“
Maximilian winkt Augen verdrehend ab.
“Wir sind seines Aufenthalts nicht würdig.“, antworte ich nicht begeistert.
“Unwichtig. Ihr müsst mir sofort nach unten folgen. Miguel ist recht... wütend.“
Leicht genervt nicken wir und stehen auf.
Als ich die letzte Stufe der alten Wendeltreppe, die aus dem Erd- in den Untergeschoss führt, überwinde, vernehme ich sofort das laute Hämmern gegen die Tür.
“Lasst mich sofort raus! Ich höre euch da draußen! Lasst mich RAUS!“, brüllt der junge Vampir hinter der verschlossenen Tür.
Maximilian runzelt die Stirn. “Ich glaube, er ist wütend.“
Aurora verdreht die Augen. “Habe ich ja nicht gesagt.“
Innerlich lächele ich.
“Solange du wütest, wird dich keiner herauslassen.“, meint Aurora mit erhöhten Stimme.
“Solange ich hier eingesperrt bin, werde ich wüten!“, entgegnet Miguel.
“Uhhh... So werden wir nie zu einem Schluss kommen...“, seufze ich.
“Aurora, wir sollten dem Jungen vielleicht erzählen, wo er sich befindet und warum.“, schlägt Maximilian nachdenklich vor.
Aurora verschränkt die Arme vor der Brust und schüttelt ihre braune Mähne. “Christopher ist für ihn zuständig. Nicht du.“ Sie zeigt mit einem Nicken auf Maximilian. “Nicht du.“ Nun deutet sie auf mich. “Und auch nicht ich. Oder möchtest du vielleicht bestraft werden, Maximilian?“
Dieser reißt die Augen auf. “Nur weil ich ihn aufklären möchte?!“
“Weil du dich einmischts.“,  verbessert die Vampirin ihn hart.
Ich sage doch, Alexandra herrscht ungerecht. Die Wahrheit ist einer Bestrafung keinesfalls wert!
“Warum hast du uns dann hierher gerufen?“, frage ich sie unzufrieden.
Sie lächelt breit. “Um eure wiedererlangte Ruhe zu stören. Und jetzt dürft ihr Christopher suchen gehen.“
Augen verdrehend und insgeheim fluchend machen Maximilian und ich uns daran, Auroras Anweisung auszuführen.

Zu Hause bei den Vampiren 3Opowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz