Josh und Avery waren noch einige Stunden in meinem Zimmer, bis sie von einer aufgebrachten Schwester heraus geworfen wurden – durch den steigenden Lärmpegel. Wir hörten nämlich die Musik von Josh, welche nicht gerade leise war.
Ich war noch hundemüde, als ich durch meine halb offenen Augen sah und die ersten Sonnenstrahlen durch mein Fenster vernehmen konnte. Der Winter war nun auch bei uns eingezogen und gewährleistete der Sonne nur schwache Strahlen. Die Dächer der Häuser, die neben der Psychiatrie gebaut worden waren, waren vollkommen mit Schnee bedeckt. Scheinbar hatte es in der Nacht nun das erste Mal in diesem Winter geschneit. Ich mochte den Anblick der weißen Landschaften. Ich mochte auch die Kälte.
Den Anblick durch mein verstaubtes Fenster konnte ich nicht mehr lange genießen, da wie fast jeden Morgen eine aufgebrachte Schwester an meiner Tür klopfte. »Ethan? Zimmerdurchsuchung!« Ohne auf eine Antwort zu warten, riss sie schon die Tür auf. »W-Was? Wieso denn?«, fragte ich mit Begleitung eines herzhaften Gähners. Sie fing bereits an, durch meinen Schrank zu wühlen und nuschelte vor sich hin. »Wo ist er?«, fragte sie und schlug die Schranktür zu. »Wo ist wer?«
»Na, der Hund! Du weißt, dass Haustiere in einer Psychiatrie nicht erlaubt sind.« Ich starrte sie bloß verwirrt an. Ich hatte weder eine Ahnung, was abging, noch, wieso ich einen Hund besitzen sollte. »Jetzt tu nicht so unschuldig! Wo ist er?« Sie stampfte dabei laut mit ihrem Fuß auf. »Ich denke, sie müssen sich im Zimmer vertan haben. Hier ist kein Hund und ich weiß auch nicht, was sie von mir wollen.«
»Manche deiner Flur-Nachbarn haben sich bei uns beschwert, dass aus dem Zimmer 27 ein unaufhörliches Gejaule in der Nacht zu vernehmen war. Es besteht kein Zweifel daran, dass du im Zimmer 27 bist. Ethan, wo ist der Hund?«
Ich war zwar noch im Halbschlaf, aber dies verstand mein träges Gehirn sofort. Nachdem mir gestern gesagt wurde, dass man Lykanthropie bei mir festgestellt hat, konnte ich diese Tatsachen direkt verbinden. Es war kein gelangweilter Schoßhund, der vor sich hin gejault hat, es war ein Werwolf, der nach seinem Rudel rief – und dieser Werwolf war ich.
Die Tatsache, dass ich heute morgen trotz ausgiebigen Schlaf müde war, hatte wohl damit zu tun, dass ich die ganze Nacht durchgejault hatte, anstatt zu schlafen. Ich konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. »Was ist daran so lustig, Mr Hodge?« Ich kratzte mich am Hinterkopf und senkte den Kopf. Mir tat es zwar in keinster Weise leid, dass ich mich über die »ernste« Angelegenheit lustig machte, aber ich wollte bloß, dass diese schrille Alte mein Zimmer verlässt. Als ob sie meine Gedanken hören konnte, schüttelte sie den Kopf und zog mit einem gewaltigen Knall die Tür hinter sich zu. Ich brach in ein lautes Gelächter aus, als die Frau draußen war und mich nicht mehr hören konnte.
Ich saß während des Gesprächs bloß in Boxershorts und Unterhemd auf meinem Bett und hatte jetzt erst die Gelegenheit, mich umzuziehen. Ich sprang noch schnell unter die Dusche, da mich das nächtliche Gejaule scheinbar ins Schwitzen gebracht hatte.
Ich trottete gelassen in die Cafeteria und gesellte mich zu den Anderen. Es war schön, mal wieder Noah und Madison zu sehen, welche mir ein fröhliches Kopfnicken zu wandten. Ich hatte mich nicht beeilt, da ich sowieso nicht essen wollte. Ich hatte heute etwas vor, woran mich ein voller Magen hindern könnte.
»Kommst du nach dem Essen auf mein Zimmer?«, fragte Avery, wofür sie einen eifersüchtigen Blick von Madison erhaschte. Man könnte meinen, dass selbst etwas Neid in Noahs Augen aufblitzte. Doch ich lehnte das Angebot ab. »Später vielleicht.« Avery runzelte die Stirn, aber zuckte dann gleichgültig mit den Schultern.
Als das Frühstück beendet war, liefen Noah und Madison den rechten Gang und Avery und Josh den linken Gang entlang – jeder zur seiner Station. Doch ich blieb stehen. Ich wollte nicht, dass die anderen merkten, wie ich mich auf den Hof schleiche. Sie sollten nicht fragen, wieso ich freiwillig in die Kälte ging und nicht das warme Zimmer bei Avery bevorzugte.
DU LIEST GERADE
Psychopath
WerewolfWenn sich das Leben in wenigen Minuten von Grund auf ändert, dann fällt es einem schwer, das Ganze zu verarbeiten. Ethan Hodge beging im Alter von 17 Jahren seinen ersten Mord an einer jungen Schülerin, da er sich in einem unkontrollierbaren Zustand...