Die Frau der goldenen Rosen

69 12 1
                                    

"Ich war eine der engsten Vertrauten von Aurora Pollina.", sagte die blonde Schönheit in einem ruhigen Ton während sie ausdruckslos in das knisternde Feuer starrte, "Vielleicht war ich sogar ihre engste Vertraute, ich weiß es nicht. Sie sprach nicht besonders oft über ihre Gefühle."
"Darf ich euch etwas fragen?", hauchte ich in die Stille, die ihre nachdenklichen Worte hinterließen. Ich sah die Trauer in ihren Augen. Egal wie Aurora ihre Beziehung empfunden hatte, Signora Catalano hatte augenscheinlich viel von der Revolutionärin gehalten.
Signora Catalano sah auf. "Natürlich. Alles was ihr wollt. Ich bin da um euch zu unterstützen."
Ich schluckte schwer. "Wie nur schaffte sie es ein ganzes Volk zu versammeln? Mit den wenigen Anhängern, die sie besaß?"
"Man mag es nicht glauben.", erwiderte die Frau, "Sie selbst glaubte es nicht, doch sie besaß einen starken Charakter und das Feuer, das in ihr brannte war so deutlich zu sehen wie der helle Mond an einer wolkenlosen Nacht. Einen jeden hatte sie in ihren Bann gezogen, Arianna. Sogar ihre Feinde konnten sich nicht gegen ihre beeindruckende Ausstrahlung währen."
Ich nickte nachdenklich. Sie besaß Eigenschaften, die ich wohl niemals in mir tragen würde.
Weder ein Feuer brannte in mir, noch konnte ich Menschen in meinen Bann ziehen.
Ich war schlichtweg langweilig, ängstlich und dachte nach während ich eigentlich handeln musste.
Signora Catalano schien meinen Blick zu bemerken. Sie lächelte mir mitleidig entgegen.
"Nachdem was ich alles weiß, erinnert ihr mir stark an sie", stellte sie fest, "Ihr werdet zurück in die Mauern der Hohen gezwungen um den Volk zu dienen. Ihr gebt eure Freiheit für die des gemeinen Volkes. Ich weiß nicht genau was eure Aufgabe ist, doch so wie ich verstand ist es eine wirklich wichtige. Wie Aurora seid ihr eine Schlüsselfigur."
"Ich halte lediglich die Augen auf.", sagte ich, "Ich bin nicht wichtig in diesem Krieg."
"Das dachte Aurora auch.", hauchte sie bedeutend, "Jeder machte ihr weiß ihre Aufgabe sei eine einmaliger Besuch bei dem königlichen Ball, doch bevor sie sich versah sollte sie den barbarischen König heiraten. Macht nicht den selben Fehler, Arianna. Ich glaube es steckt mehr hinter eurer Rückkehr am römischen Hof als ihr vielleicht denken mögt. Folgt niemals blind Befehlen. Das könnte euer Untergang sein. Ihr habt ein Recht zu wissen, zu was ihr bestimmt seid. Und ihr habt ein Recht, dem zuzustimmen oder zu verweigern, zu was man euch zwingen will."
Ich atmete tief aus und dachte über ihre Worte nach.
Ab dem Augenblick an dem mir Michelangelo angeboten hatte ein Teil dieser Bruderschaft zu werden, war mir wohl bewusst, dass er etwas plante. Das ich wichtig sei.
Doch er hatte seinen Standpunkt gut begründet. Bald würde ich die einzige am Hof seien, wenn seine Lüge aufflog. Und ab dem Zeitpunkt war meine Rolle tatsächlich wichtig.
Vorerst wollte ich mir darüber kein Sorgen machen.
Führte er etwas im Schilde, war ich mir sicher es zu erkennen bevor es zu spät war.
„Warum seid ihr hier in Rom, Signora?, fragte ich bedächtig nachdem einige Minuten vergangen waren, „Warum seid ihr nicht in Venedig geblieben? Braucht man euch nicht dort?"
Signora Catalano lächelte bitter. „Man möchte es glauben, nicht wahr? Das wir die größte Bruderschaft haben. Doch die Menschen sind wohl minimalistisch. Kaum war der König gefallen, waren sie zufrieden mit seinem Nachfolger. Ein extrovertierter Edelmann, der sich ausgab als einer von uns. Er regiert nicht mehr so forsch wie es der barbarische König tat, doch er stoppt weder den Hunger, noch die Willkür oder die Armut. Wir hätten so viel mehr erreichen können, wenn wir es nur gewollt hätten. Zumindest nahmen sich andere Städte ein Beispiel daran. Mittlerweile erwarb die römische Fratellanza weitaus mehr Anhänger als jede andere Stadt in Italien. Rom soll nicht den selben Fehler machen wie es Venedig tat und sich mit weniger zufrieden geben."
Ich nickte nachdenklich. „In euch sehe ich, wie Aurora war", hauchte ich, „Ich sehe wie die ganze Fratellanza sein sollte. Gütig, weise und bedacht. Michelangelo und seine Anhänger wirken extremer, radikaler."
Die blonde Dame vor mir schmunzelte. „Auch wir waren radikal, glaubt mir. Wir töteten den Hauptmann der Wache als ein simples Zeichen, wir schickten viele hunderte, tausende Menschen in den Tod, die an unserer Seite in den Kampf gegen den König zogen. Die Kunst besteht darin zu erkennen, wann man gnädig und freundlich sein sollte und wann man brutal gegen jemanden vorgehen muss. Ihr müsst nur erkennen ob der Tod einer Person der Mehrheit hilft oder nicht. Tötet niemals nur weil es jemand sagt, tötet niemals aus eigenem Antrieb, aus Rache oder aus Wut. Manche Menschen müssen in diesem Kampf sterben, Sì, doch ihr entscheidet für welchen Preis."
Ich sah ihr ernst entgegen und rutschte unruhig auf meinem Platz hin und her. „Ich werde niemals jemanden töten.", sagte ich schnell, „Ich habe keine Ahnung wie man besonders schnell rennt, oder kämpft, ausweicht oder zielt."
„Das kann niemand von Geburt an", erwiderte Signora Catalano, „Wir sind unseres Glückes eigener Schmied."
„Ich will es gar nicht können.", meinte ich, „Der Tod ist mir zu wider."
„Man gewöhnt sich daran.", sagte sie mit einem schmerzlichen Unterton, „Früher oder Später kommt er uns alle holen."
Stille trat ein. Wir beide gaben uns unseren Gedanken hin.
Signora Catalano dachte wohl erneut über ihre einst beste Freundin nach.
Ich hingegen erinnerte mich an meine Eltern. Auch sie waren gestorben kurz nach dem ich Leonardo zum Mann nahm. Meine Mutter hatte schon länger an einer starken Grippe gelitten, die sie irgendwann in die Ewigkeit geleitete. Mein Vater hingegen starb bei einem brutalen Krieg in den weiten Wiesen Italiens irgendwo im Osten.
Trotz meiner Sensibilität schmerzte mich ihr Tod wohl nicht so wie er es hätte tun sollen.
Vielleicht hatte ich es einfach kommen sehen. Nichts war unendlich. So auch meine Liebe zu ihnen nicht. Sie waren freundliche Eltern, behandelten mich mit Respekt und Freundlichkeit, doch meine Hebamme stellte eine wahrhaftigere Mutterrolle für mich dar.
Sie war immer bei mir gewesen, nicht nur aus Höflichkeit. Sie liebte mich und ich liebte sie.
Ihr Tod war wohl der schlimmste, den ich miterlebt hatte. Irgendwann, an einem schönen Märztag, als ich mir bereits ausgemalt hatte, was wir alles tun könnten, kam sie einfach nicht ins Schloss.  Am Tag darauf erschien eine neue Zofe, die mir dienen sollte, doch auch wenn Mutter es nicht interessierte, auch wenn sie dachte mit einem Ersatz wäre es getan, mich erschütterte es in meinen Grundfesten als mir dämmerte, dass ich die Hebamme Frieda wohl nie mehr wieder sehen würde.
Ich hatte lange geweint. Monate, bis mich mein Vater über die Knie legte und es mir verbot zu tun, weil ich am nächsten Tag jedes Mal verheult drein blickte. Er sagte, so wolle mich kein Mann haben, doch Leonardo nahm mich. Genau an dem Tag, vor dessen Nacht ich mich wieder einmal nicht beherrschen konnte und weinte. Er blickte mir in meine verquollenen Augen, streichelte über meine sanfte Haut, betrachtete meine rabenschwarzes Haar und machte mir einen Heiratsantrag.
Wie war ein so liebevoller Mann in der Lage solche Bösartigkeiten in sich zu wecken?
Plötzlich klopfte es an der Tür.
Signora Catalano und ich schienen im selben Moment aufzuschrecken und versuchten uns von unseren Gedanken los zu reißen.
Der Page, der mich zu ihr geführt hatte, lugte bedächtig durch den Spalt in der Tür.
"Signora Catalano, Signora Frattini, vergebt mir, dass ich euch unterbreche. Der König lädt zum Essen.", sagte er und verschwand schnell wieder.
Signora Catalano sah mich freundlich an bevor sie sich erhob und ihr wunderschönes Kleid richtete. "Ich sollte wieder aufbrechen.", sagte sie, "Kontaktiert mich wann immer ihr wollt. Ich heiße euch stets herzlich Willkommen."
Ich verneigte mich vor ihr. "Das weiß ich zu schätzen. Vermutlich werde ich eure Hilfe brauchen."
Sie lächelte ein letztes Mal und wandte sich dann zum Gehen.
"Signora Catalano?", fragte ich kurz bevor sie die Tür hinter sich schließen konnte
"Nennt mich Mia.", sagte sie und drehte sich noch einmal um.
"Mia.", widerholte ich, "Wie seid ihr ins Schloss gelangt? Wie konntet ihr so einfach eine Audienz mit mir erlangen?"
Sie schmunzelte. "Oh, ich bin nur eine Schneiderin mit der ihr gerade euer nächstes Kleid besprochen habt. Außerdem ist es nützlich, wenn die Königin selbst Teil unserer Fratellanza ist. So erlangt man deutlich schneller eine Audienz."
Sie zwinkerte mir zu und schloss die Tür.
Erstarrt blieb ich wie angewurzelt stehen und dachte über ihre letzten Worte nach.
Die Königin selbst? Emilia Zorzi sollte eine Anhängerin der Bruderschaft sein?
Kurz dachte ich darüber nach, ob es ein Scherz gewesen sei? Doch sie wirkte auf mich nicht wie eine Person, die scherzte.
Wenn dies wahr war, dann hatte Signora Catalano Recht gehabt.
Wenn Emilia tatsächlich eine Spionin für die Fratellanza war, dann war sie die wohl beste Wahl für die Position am Hofe. Sie erhielt bessere Informationen als ich.
Außerdem würde Michelangelos Position durch diese Tatsache ebenfalls nicht in Frage stehen. Es würde ihr leicht fallen die Gelegenheit zu vertuschen, dass ein fremder Mann in den Mauern des Schlosses umherstreifte und sich als Christian ausgab.
Es wäre eine Leichtigkeit mögliche Briefe vor ihrem Gemahl zu verheimlichen, da war ich mir sicher.
Doch welche Informationen sollte ich ihnen geben können, die sie nicht schon selbst besaßen?
Wütend griff ich nach einem Topf und feuerte ihn gegen eine Wand.
Michelangelo hatte gelogen. Mein Gefühl hatte mich nicht getäuscht. Er benutzte mich. Irgendetwas an mir war wertvoll. Und ich musste so schnell wie möglich herausfinden, was es war.



Fratellanza - Die BruderschaftWhere stories live. Discover now