in den Armen des Königs

68 14 1
                                    

Emilia Zorzi sah mich wertend an. Ihre Augen funkelten als hätte sie schon lange auf diesen Augenblick gewartet.
Die Stille, die von ihr ausging war verzehrend, schien endlos. Doch dann endlich öffnete sie ihren Mund: "Arianna Frattini, Königin von Rom. Es ist schön euch wiederzusehen."
Meine Miene blieb trotz ihrer gespielten Höflichkeit ernst.
"Ich kann dies nicht erwidern", antwortete ich schroff.
Emilia lachte auf. "Ihr seid in Sicherheit bei mir, das wisst ihr doch oder?"
"So lange bis ihr mich an Leonardo übergebt."
"Fürchtet ihr ihn noch immer in solchem Ausmaß?", fragte sie mitfühlend.
"Ich glaube ich habe aufgehört mich zu fürchten.", entgegnete ich ohne mir darüber sicher zu sein, "Ich weiß einfach, was auf mich zukommt und das würde ich gerne vermeiden."
"Habt keine Sorgen.", meinte Emilia, "Ich habe nicht vor euch auszuliefern. Zu eurem Glück bekam ich den Brief eher in die Hände als der König, da ich noch immer die königlichen Finanzen verwalte. Ich habe ihm nichts von euch gesagt. Ich erklärte ihm lediglich das ich die Festung überprüfen wolle, da unsere Geldmittel noch immer hier hinein fließen."
Ich atmete tief aus, voller Erleichterung.
"Ihr gehört also noch immer zur Fratellenza?"
Emilia nickte: "Nach wie vor, Sì. Meine Meinung mag sich nicht verändert haben, doch vieles andere tat es. Leonardo regiert mit Zorn und Wut in seinem Herzen. Er wütet durchs ganze Land um euch zu suchen. Er hat schon viele ermordet, nur weil sie geglaubt hatten, dich gesehen zu haben, man dich dann allerdings nicht fand. Er richtete sie hin, so brutal wie ich es noch nie in meinem Leben gesehen habe. Und er erfuhr von Michelangelo. Seit einem halben Jahr hungert er in den Verließen des Schlosses. Arianna, ihr müsst etwas tun!"
Das hatte ich mir geschworen. Ich wollte etwas tun.
Doch ich wusste, was sie fordern würde und das war Selbstmord.
"Nein!", sagte ich deutlich, "Ich werde mich diesem Monster keine hundert Meter nähern! Ihr wisst nicht wie es war jede Nacht Schmerzen zu erleiden, geschändet zu werden! Manchmal blutete ich am nächsten Morgen aus meinen unteren Regionen, manchmal konnte ich tagelang nicht laufen! Noch heute spüre ich die Schmerzen an meinen Körper, wenn ich nur daran denke. Er hat mich gebrochen, Emilia!" Ich begann zu weinen. Es schwächte mich darüber zu reden. Nein, die Furcht war noch lange nicht vergangen. Wenn ich auch alle meine anderen Ängste besiegen konnte, diese würde ich wohl niemals bezwingen.
Er hatte mich zu etwas gemacht, dass ich niemals war. Ein feiges, weinerliches Mädchen, dass tat, was von ihm verlangt wurde.
Doch jetzt hatte ich mich verändert. Jetzt hatte ich wieder zu mir selbst gefunden. Aber ich wusste, wenn ich nur in seine Augen sehen würde, wenn ich nur sah, wie er seine Hand erhob, würde er mich erneut zerstören können und dann wäre die jahrelange Arbeit umsonst gewesen. Dann würde ich innerlich vollkommen verrotten, wie eine Untote ohne Wille, ohne Herz ohne ein wirkliches Leben.
"Arianna.", sagte Emilia zart und hob mein Kinn, so dass ich gezwungen war, ihr in die Augen zu sehen.
"Ihr seid unsere einzige Chance, seht ihr das nicht? Ihr seid dem König am nächsten, nur ihr seid fähig ihn zu töten. Und tötet ihr mit seinem Tod nicht auch den Dämon in euch, der euch so lange plagte? Dann könnt ihr frei sein, Arianna! Ihr könnt endlich leben ohne euch zu fürchten vor einer Bestie, die es nicht verdient zu leben!"
Ich sah sie an, verfing mich in ihren hoffnungsvollen Augen.
"Arianna", wiederholte sie, "Ihr könnt sein wie Aurora Pollina. Ihr könntet eine Heldin werden! Die Geschichte wird euch zu Füßen liegen. Man wird von euch berichten, in den fernsten Teilen der Welt."
"Das interessiert mich nicht", zischte ich, "Ich will doch nur ein glückliches Leben."
"Und das werdet ihr haben.", erwiderte Emilia, "Ihr seid eine Königin! Regiert das Land oder rennt davon und lebt ein glückliches Leben weit weg vom Hofe. Die Entscheidung liegt ganz bei euch!"
Ich atmete tief durch.
Vielleicht war die Ermordung an Leonardo Frattini das einzige, dass mir noch fehlte zu meinem entgültigem Frieden. Vielleicht war wahrlich er der Schlüssel zu einem einfachen Leben. In dem ich nicht verfolgt wurde, in dem ich keine Angst haben musste, dass er mirirgendwo auflauerte. Ein Leben in dem ich wirklich lebte.
"Ich werde es tun.", sagte ich und sah aus der Kutsche, "Doch danach bin ich entbunden von allen Pflichten! Danach möchte ich nie wieder ein Wort über diese verfluchte Fratellanza hören! Danach bin ich frei!"
"Natürlich!", erwiderte Emilia Zorzi sofort, "Ihr werdet frei sein, wie ein Vogel."
"Wie also gehen wir vor?"
"Es ist simpel.", erklärte Emilia, "Ich werde einen Boten vorrausschicken, der euer Kommen verkündet. Wir bleiben weites gehend bei der Wahrheit. Ich besuchte die Festung, der Junge verriet euch. Dann bekommt er das Lösegeld und geht und steht uns nicht länger im Weg herum."
Ich dachte kurz an Marco, doch es schmerzte zu sehr.
"Noch am Tag euer Ankunft sollt ihr gekrönt werden. Erst dann ist eure Stellung offiziell. Sobald der Bischof seine letzten Worte gesagt hat, könnt ihr Leonardo töten!"
"Verzeiht mir, Emilia.", hauchte ich, "Ich bezweifle, dass Leonardo mich so einfach krönen lassen wird. Vorher bringt er mich wahrscheinlich um."
Emilia schüttelte mit dem Kopf. "Wie ich sagte, er ist wahnsinnig. Er erläuterte mir ausgiebig, was er mit euch vor hat, wenn ihr wieder da seid. Er will euch nicht töten ... er will euch quälen. Bis zum Ende eures Lebens, sagte er."
Ich nickte langsam. "Das glaube ich euch sogar."



Einige Tage waren wir unterwegs.
Immer wenn wir rasteten, hielt ich nach Marco Ausschau, doch er war stets bei den hintersten Wachmännern, ihm war es nicht erlaubt näher an mich zu treten.
Doch ich spürte wie er mich stets beobachtete.
Und ich spürte wie ich ihm zu vergeben begann.
Etwas, dass ich ganz und gar nicht empfinden wollte.
Er hatte mich so sehr verletzt, mehr als jeder Hieb es tun konnte, mehr als jede Verbrennung, jede Krankheit es konnte.
Doch ich liebte ihn so hingebungsvoll und intensiv, dass ich nichts tun konnte.
Meine Liebe übertrumpfte jegliche Wut.

Nach schlaflosen Nächten und unendlichen Tagen erreichten wir Rom.
Doch trotz das nur ein Jahr vergangen war, hatte es sich verändert.
Es wirkte wieder wie das Rom, dass mir immer beschrieben wurde.
Überall herrschte Treiben, die Straßen waren brechend voll, überall hasteten Menschen umher.
Kinder spielten auf den Pflastersteinen, Männer und Frauen verkauften und kauften die unterschiedlichsten Waren, junge Mädchen plapperten aufgeregt.
"Wundert euch nicht.", sagte Emilia, "All das ist ein Trugbild. Jeder weiß von eurer Ankunft. Ich bin mir sicher Leonardo hat ein großes Fest vorbereitet."
Ich schluckte schwer. Es war fraglich, welche Art von Fest.
Am ehsten traf es wohl ein Schlachtfest und ich war das dicke Schwein, an dem sich später alle laben würden ohne Rücksicht und Rückhalt.
Plötzlich hielten wir. Ich schluckte schwer und sah das große Tor, dass hinein in den Schlosshof führte.
Die Türen der Kutsche wurden geöffnet. Zwei Diener halfen uns hinaus.
"Wartet hier.", sagte Emilia, "Ich werde mich um alles kümmern."
Die Wachen machten ihr Platz und ließen sie hindurch.
Meine Hände wurden schwitzig. Es war eine Qual dort zu stehen und zu warten, allein gelassen, mit all meinen Gedanken.
Plötzlich nahm jemand meine Hand.
Ich zuckte zusammen und sah neben mich.
Es war Marco. Er sah mir mit einem zarten Lächeln entgegen. Seine Haare wehten im Wind, so dass sie seine braunen, treuen Augen freie Sicht gewährten.
Endlich fasste ich mich wieder und entriss ihm meine Hand.
"Es tut mir Leid.", flüsterte er, "Ich weiß was ihr denkt. Ihr denkt ich hätte euch verraten, für ein wenig Geld und dem Dank des Königs, aber du bist klüger als das. Denk nach."
Ich sah ihm wütend entgegen. "Was auch immer deine Intention war", keifte ich, "Egal welche! Es war falsch! Du hast mich verraten!"
Er atmete tief durch. "Ich habe dich gedrängt, dich etwas tun lassen, was du nicht wolltest, das ist wahr. Und es tut mir im Herzen weh. Ich hasste mich, während ich den Brief schrieb für den König, ich hasste mich während ich darauf wartete, dass sie dich holten, ich hasste mich während der gesamten Fahrt hier her und wahrscheinlich werde ich mich noch bis ans Ende meiner Zeit hassen. Doch ihr sagtet selbst. Nur der Tod von Leonardo kann uns zusammen bringen."
Entgeistert sah ich ihn an. Das war sein Grund gewesen? Deswegen lieferte er mich dem König aus? Vielleicht dachte er es sei romantisch, doch es war genauso selbstsüchtig wie jeder andere Grund, den er hätte nennen können.
"Ihr habt mir den Tod beschert, Marco", flüsterte ich während mir eine Träne über die Wange lief, "Ihr riskiert mein Leben und hofft, dass ich es eventuell schaffe ihn zu töten nur damit ihr mich dann vielleicht heiraten könnt, wenn ich es denn überlebe!"
"So ist es nicht, Arianna! Ich-"
Doch er konnte seinen Satz nicht mehr beenden. Die Tore öffneten sich und hindurch trat Leonardo. Er hatte sich kaum verändert. Seine weiß silbernen schulterlangen Haare waren zu einem halben Zopf gebunden, seine grünen Augen waren zu Schlitzen zusammen gezogen, seine Gesichtszüge wirkten noch härter, noch brutaler als zuvor.
Er trug ein smaragdgrünes Gewand und einen goldenen glänzenden Umhang.
Sofort verspürte ich die Angst, in einem Maße, das ich nicht für möglich gehalten hatte.
Meine Beine zitterten, meine Hände wurden schwitzig.
Doch entgegen all meiner Erwartungen veränderte sich Leonardos Erscheinungsbild mit einem Mal, als er mich sah.
Seine Augen wurden groß, sein vorher schmaler Mund verzog sich zu einem breiten Lächeln.
"Arianna.", hauchte er und rannte plötzlich auf mich zu.
Er packte mich an den Hüften und schleuderte mich durch die Luft, so dass mein Kleid im Wind wehte.
Kaum hatte er mich abgesetzt, küsste er mich voller Liebe als könne er nicht genug von mir haben.
Dieses Bild umschrieb keineswegs den König, den mir Emilia aufgezeigt hatte.
Doch ich wagte es nicht, ihre Umschreibungen in Frage zu stellen, denn ich kannte Leonardo und seine tausenden Facetten.


Fratellanza - Die BruderschaftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt