Kapitel 14

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Der dritte und letzte Tag mit ihr. Heute Nachmittag würde alles vorbei sein, dachte ich. 
Es war Mittwoch und ab morgen haben wir wieder ganz normalen Unterricht. So wirklich freuen darüber konnte ich mich jedoch nicht. Gestern hätten wir uns fast geküsst. Oder ich sie? Ich kann mir das doch nicht eingebildet haben. Sowas kann man doch nicht missverstehen. Zwar sagte Frauke, ich solle ihr mal näher kommen und schauen was passiert, doch das wir uns so nah kommen würden, hätte ich nicht gedacht. Ich dachte noch den ganzen Tag daran. An ihre Worte und unsere Berührungen. Das dürfen wir nicht hatte Frau Hinze gesagt. Ich wiederholte es mehrfach in meinem Kopf. Das.Dürfen.Wir.Nicht. Wir. Sie sagte, wir. Sie meinte damit sie und ich. Meine gesamte Hoffnung wuchs immer mehr und mehr. Doch ich wusste ganz genau, dass die Enttäuschung nicht mehr weit entfernt war. Je mehr Hoffnungen ich mir machen würde, desto größer wäre der Schmerz, wenn ich mir das alles nur einbilde. 

Meine Verwirrung war noch nie größer als nach diesem Moment mit Frau Hinze. Ich beschloss, Frauke eine Nachricht zu schicken. Vor dem Unterricht musste ich unbedingt mit ihr reden. Gestern habe ich ihr davon noch nichts erzählt, schrieb ihr nur, dass alles ok ist, als ich zuhause war.

S.O.S. Vor der Schule treffen.
Emily

Keine zwei Minuten später, kam auch schon ihre Antwort.

Was ist passiert?

Erzähl ich dir gleich. Treffen uns an der Raucherbank. Bis gleich.

Ich konnte ihr jetzt noch nicht erzählen, was passiert war. Außerdem war ich schon spät dran und musste mich beeilen, um nicht auch noch meinen Bus zu verpassen. Denn sonst hätte ich keine Zeit mehr, um noch mit Frauke zu reden.
Die Fahrt verging recht schnell, da ich mit meinen Gedanken ganz woanders war. Ich hatte keine Ahnung, wie ich mich gleich verhalten sollte. 
Um 7.30 Uhr hielt der Bus an der Haltestelle und ich stieg aus. Eilig lief ich meinen Schulweg entlang, den Berg hinab, am Lehrerparkplatz vorbei, wich gekonnt den anderen Schülern aus und lief an ihrem Auto vorbei. Sie war also schon da? So früh? Ich konnte mir jedoch keine weiteren Gedanken darüber machen, denn auf der anderen Straßenseite sah ich Frauke, die mir zurief. 
"Hey. Was ist denn los?", fragte sie mich aufgeregt. 
Völlig außer Atem setzte ich mich zu ihr auf die Bank, zündete mir eine Zigarette an und erzählte ihr alles, was gestern geschah. 
"Ach du scheiße. Ist das dein ernst?", fragte sie mit herunter geklappter Kinnlade.
"Ja. Und ich habe echt keine Ahnung, was ich jetzt machen soll."
"Puh. Das ist ja mal ein Hammer.", schrie sie schon fast.
"Pssst. Mensch, nicht so laut." Ich sah mich hektisch um, doch wir waren allein.
"Entschuldige. Und du bist dann einfach gegangen? Oder hat sie noch was gesagt?", fragte sie mich. Noch immer erstaunt.
"Nein, wie gesagt. Sie hat gesagt, ich sollte besser gehen und das tat ich dann auch."
Wir schwiegen einen Moment. Nach einem kräftigen Zug an meiner Zigarette unterbrach ich die Stille jedoch. "Soll ich so tun, als wäre nichts passiert?"
"Hm. Und dann? Ich meine, willst du es echt auf sich beruhen lassen?"
Ich schüttelte den Kopf. "Das kann ich gar nicht. Ich hab das Gefühl, als wären meine Gefühle quasi übergelaufen. Ich bin total verwirrt, Frauke. Ich weiß echt nicht weiter."
"Okay, pass auf. Eine Frage. Wünschst  du dir, ihr hättet euch geküsst oder bist du froh, dass es dazu nicht kam?"
Darüber brauchte ich mich gar keine Gedanken machen. Was war denn das für eine absurde Frage? Ich würde sie so gerne küssen. Jeden Tag, jede Sekunde. 
"Ich würde sie am liebsten jetzt sofort küssen.", sagte ich also.
"Na dann ist doch alles klar. Gib nicht auf. Versuch noch einmal auf sie zu zugehen. Dann weißt du wenigstens, ob sie es auch will. Aber süße, bitte mach dir jetzt nicht all zu große Hoffnung. Versprich mir das." Wie konnte ich ihr das versprechen? Das tat ich doch schon längst. "Ich verspreche es.", beruhigte ich sie. So war zumindest eine von uns beruhigter. 
Wir gingen zum Gebäude und warteten jetzt darauf, dass Frau Hinze kommt und uns aufschließt. Es war trotzt der frühen Uhrzeit schon sehr warm und der Himmel verriet, dass es ein schöner Tag werden würde. 
"Guten Morgen, Frau Hinze.", riefen ein paar Schüler gut gelaunt, als sie an uns vorbei lief und die Tür öffnete. Doch sie antwortete nur karg mit einem "Morgen" und wirkte sehr abwesend. Ob sie sich auch so viele Gedanken gemacht hat? Wir folgten ihr und sie stand wie immer an der Tür, um uns allen beim reingehen einen guten Morgen zu wünschen. Doch sie sah mich nicht an, als ich vorbei ging. Keiner von uns beiden sagte ein Wort und so setzte ich mich mit Frauke und den anderen beiden Mädchen an unseren Gruppentisch. Frau Hinze ging zu ihrem Pult und stellte ihre Tasche auf den Tisch. Jedoch ohne etwas auszupacken, dann setzte sie sich und notierte etwas. Nachdem wir alle auf unseren Plätzen saßen, stand sie auf. "Guten Morgen, zusammen.", sagte sie. Die Klasse grüßte sie mit einem "Guten Morgen, Frau Hinze" zurück und sie fuhr unbeeindruckt fort. "Da ihr in den letzten zwei Tagen wirklich super mitgearbeitet habt, habe ich mir für heute spontan etwas überlegt. Ich denke, ich habe euch nun genug mit der Mathematik gequält und würde deshalb gerne einen kleinen Ausflug mit euch machen." Lautes Jubeln drang durch den Raum und alle freuten sich wie verrückt. Was denn für einen Ausflug? Frauke und ich sahen uns fragend an. Wir waren weniger aufgeregt, als überrascht. "Ihr dürft gerne eure Taschen hier lassen, wenn ihr möchtet und nur das nötigste mitnehmen. Den Raum schließe ich gleich ab und außer uns kommt hier niemand rein." Wo gehen wir denn hin, Frau Hinze?", rief Nick aus meiner Klasse. "Das seht ihr, wenn wir da sind. Aber wir halten uns draußen auf. Das Wetter soll heute gut werden." 
"Kein Mathe. Wie cool ist das denn?", freute sich Linda. Frauke und ich sahen uns wieder an, diesmal jedoch mit einem Lächeln. Irgendwie hatte es ja auch was gutes. Vielleicht könnte ich mich so besser mit Frau Hinze unterhalten. Es würde nicht so auffallen. Aber worüber bloß? Über gestern? Darüber, was da passiert ist? Ist da überhaupt etwas passiert?

Gefährlicher Kuss (girlxgirl) #Wattys2017Where stories live. Discover now