35. Gemeinsam einsam

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Louis:

Müde lehnte er am Fenster.

Sein Hals kratzte immer schlimmer, doch er wollte von Liam trotzdem kein Blut annehmen, obwohl er es ihm immer wieder anbot. Zwar näherten sie sich London immer mehr und die Chance, Harry in der Stadt wieder zu finden, kam immer näher, trotzdem fühlte Louis sich unwohl. Er wagte es nicht, sich allzu sehr auf Harry zu freuen. Was, wenn sie sich doch nicht in der Stadt über den Weg liefen? Dann hatte er sich umsonst gefreut. Daher bröckelte seine Vorfreude, je mehr er darüber nachdachte. Wenn er es sich genau überlegte, dann war es total unrealistisch, Harry in London zu treffen. Wieso hätte er auch ausgerechnet in die Stadt kommen sollen? Viel Wahrscheinlicher war doch, dass er noch immer in Edinburgh war und darauf wartete, dass sie zurückkamen. Oder lag er da falsch? Louis wusste nicht genau, welchen Gedanken er verfolgen sollte und hatte alle Möglichkeiten schon so häufig durchgespielt, dass er selbst nicht mehr wusste, was er noch glauben sollte.

All das sorgte dafür, dass ihm der Appetit vergangen war.

Sie saßen nun schon seit fast 24 Stunden in diesem Zug und er hatte nichts mehr getrunken, sodass er sich zittrig und kraftlos fühlte.

Liam und Zayn hatten ihren Streit im Angesicht von Louis' Zustand kurzzeitig begraben und redeten gemeinsam auf ihn ein, sobald sie das Abteil einmal für sich allein hatten. „Lou, du musst was zu dir nehmen, so geht das nicht weiter. Du siehst schrecklich aus", sagte Zayn, beugte sich vor und nahm Louis' kalte Hände in seine eigenen. „Ich habe aber keinen Hunger", widersprach er und wich Zayns besorgtem Blick aus. „Zayn hat aber recht", fing nun auch Liam an und warf seinem Exfreund einen unsicheren Blick von der Seite her zu. „Wenn wir in London sind, werden wir sicherlich noch eine ganze Weile nach einer Unterkunft suchen müssen und das wird auch Kraft kosten. Wenn du die nicht hast, wird das echt schwer für Zayn und mich, dich durch die Stadt zu kriegen." Um seine Worte zu untermauern, zog er die Flasche wieder aus seinem Rucksack und hielt sie ihm auffordernd unter die Nase und setzte einen Hundeblick auf. Stur verschränkte Louis die Arme vor der Brust und sah wieder hinaus aus dem Fenster. Mittlerweile war es Tag. „Darf ich einen Schluck trinken?", fragte Zayn und es war das erste Mal, dass er Liam ansprach, ohne ihm einen Vorwurf zu machen. Natürlich gab Liam Zayn die Flasche und sah ihm dabei zu, wie er sie an die Lippen setzte und einen großen Schluck nahm. Nachdem er sich über die Lippen geleckt hatte und Liam die Flasche zurückgab, fragte er: „Woher hatte Elisabeth eigentlich das ganze Blut, mit dem sie uns versorgt hat?"

„Ich weiß nicht. Darüber haben wir nicht gesprochen", entgegnete Liam und schraubte die Flasche wieder zu. Louis kam es vor, als hätte Liam ein wenig verlegen dreingeschaut, als er die Flasche von Zayn zurückbekommen hatte. Louis schloss die Augen und lehnte sich wieder die Fensterscheibe, während er dem Gespräch der beiden zuhörte. „Zayn, es tut mir leid, wenn ich dich mit meinem Verhalten verletzt habe", sagte Liam irgendwann unvermittelt und von Zayn war nur ein Ausatmen zu hören, dann schien er sich doch dazu entschieden zu haben, zu antworten und sagte: „Entschuldigung angenommen. Ich habe mich vielleicht auch nicht besonders erwachsen verhalten." Liam knuffte Zayn spielerisch in die Seite und sagte: „Naja, du bist ja auch erst 18 Jahre alt, da kann man kein erwachsenes Verhalten erwarten." Zayn wich Liam aus und lachte kurz auf, dann wurde er rasch wieder ernst, als sei ihm aufgefallen, dass ein so lockeres Verhalten Liam gegenüber nicht angebracht sei und sagte: „Aber es hat mich schon verletzt, dass du Elisabeth so toll fandest." Er klang erleichtert, als er es endlich ausgesprochen hatte. „Wieso?", fragte Liam nach einer langen Pause und Louis hätte ihn in diesem Moment am liebsten gepackt und geschüttelt. War er denn schwer von Begriff, oder tat er nur so? „Ich hätte nicht gedacht, dass ich das mal sage, aber...ich glaube, ich habe noch Gefühle für dich..." Obwohl er sich zittrig und schwach fühlte und eigentlich keinen Nerv dafür hatte, das Beziehungsdrama seiner beiden Freunde mit anzuhören, öffnete Louis ein Auge und lugte zu Liam hinüber, um seine Reaktion abzuschätzen.

Liam saß auf seinem Platz und blickte Zayn ausdruckslos an. Dann öffnete er den Mund, sagte aber nichts. „Du bist da anderer Meinung?" Zayn klang so unsicher, wie Louis ihn noch nie erlebt hatte und das sollte etwas bedeuten, denn immerhin kannten sie sich schon ewig. Er klang, als hätte Liam ihn angeschrien, doch der schien genauso unsicher zu sein und kaum in der Lage, die richtigen Worte zu finden. Er wrang die Hände und nestelte nervös an der Trinkflasche herum, die er noch immer in der Hand hielt. „Ich...nun, wenn du's ehrlich wissen willst, dann weiß ich es nicht so genau", gestand er, während Zayn gekränkt den Blick abwandte. Liam bemerkte sofort, dass er seinen Exfreund verletzt hatte und legte rasch nach: „Ich, ich meine, ich will damit nicht sagen, dass du mir egal wärst, oder so", setzte er an und sein Blick war genauso unsicher, wie er klang.

Die Stimmung in dem kleinen Abteil war mit einem Mal so angespannt, dass die Luft beinahe zu dick zum Atmen wurde. Keiner wusste genau, woran sie waren. Hatte Liam denn nun noch Gefühle für Zayn, oder nicht? War das eine Abfuhr gewesen? Nicht mal Liam selbst schien das sagen zu können und fuhr sich unsicher durch die Haare, während sein Blick immer wieder zu Zayn huschte, der den Blick starr aus dem Fenster gerichtet hatte. Am liebsten hätte Louis ihn jetzt umarmt, denn nachdem er Zayn im Schloss von Elisabeth so verzweifelt gesehen hatte, wusste er, wie er sich jetzt fühlen musste. Gefühle zu haben, von denen man nicht genau wusste, ob sie erwidert wurden, war schrecklich und Zayn war deutlich anzusehen, dass er darunter litt. „Will noch jemand etwas trinken, sonst packe ich die Flasche weg", versuchte Liam die Stille mit gespielt lockerer Art zu unterbrechen und hielt die Flasche hoch, als handelte es sich dabei um Champagner und nicht um Blut. „Pack es weg, oder ich werfe sie sofort aus dem Fenster", knurrte Louis und Liam folgte der Aufforderung schnell. „Hoffentlich sind wir bald in London", fing er wieder an und Zayn unterbrach ihn: „Ja, das hoffe ich auch, denn dann kann ich dieser scheiß Situation entfliehen und ein wenig Abstand von dir kriegen."

„Willst du mir damit unterstellen, ich hätte dich abgewiesen?", empörte sich Liam und blickte Zayn beleidigt an. Der hob den Kopf und blitzte ihn mit seinen dunklen Augen so bedrohlich an, dass Louis an seiner Stelle sofort still gewesen wäre, doch Liam sprach weiter. „Ich habe dich nicht abgewiesen."

„Du hast gesagt, du wüsstest nicht genau, was du für mich empfindest, das kommt einer Abfuhr gleich. Also tu mir den Gefallen und halte während der restlichen Fahrt einfach den Mund, damit ich dich nicht mehr hören muss, das halte ich nämlich nicht aus. Wärst du doch in Blackness Castle geblieben." Zayn zog die Beine an die Brust, drehte Liam den Rücken zu und starrte mit glasigen Augen aus dem Fenster.

In der Ferne konnte man bereits die ersten Gebäude von London sehen. Heute war es diesig und ein feiner Schleier trübte die Sicht ein wenig, und doch war es unverkennbar London, das sich dort am Horizont abzeichnete und immer näher kam.

Umzug mit Folgen IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt