Chapter 2

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Und jetzt stehe ich hier, mitten im Trubel des Flughafens von L.A., auf der Suche nach meiner altbekannten Betreuerin, Miss Summer.

Und da entdecke ich sie auch schon, wild mit den Armen winkend und alle im Weg stehenden Passanten zur Seite drückend, eilt die etwas ältere, mollige Dame auf mich zu und entlockt mir damit ein leichtes Grinsen. Auch wenn ich es verabscheue, mich anderen Menschen anzuvertrauen und engere Bindungen einzugehen, muss ich mir eingestehen, dass mir Miss Summers in den letzten Wochen gefehlt hat. Sie ist auch der Grund, weshalb ich nun hier stehe: Aufgrund dessen, dass sie in ein Kinderheim nach L.A. versetzt wurde, ist beschlossen worden, dass auch ich in dieses Waisenhaus verlegt werde, da man mich als Problemkind einstuft und mir meine einzige „Bezugsperson" nicht nehmen wollte.

Und glaubt mir, ich bin so froh, dass irgendwelche, hochstudieren Menschen, diese Entscheidung getroffen haben, denn in meiner Heimatstadt erinnerte mich einfach alles an meine Erzeuger, den Verrat durch meine Brüder und an diese eine Nacht, in welcher ich mehr als nur einmal die Hölle durchschritt.

„Oh Claire meine Kleine, ich musste die ganze Zeit an dich denken. Hattest du einen guten Flug? Das Heim wird dir gefallen, zwar bist du dort die Älteste, aber meine Kolleginnen sind wunderbar. Oh und die Schule hat einen sehr guten Ruf, hier wird alles besser. Ach ich freu mich so!", schon werde ich ein Opfer von Miss Summers Überschwänglichkeit und durch ihre kräftigen Arme zerquetscht.

Wie ich diese Umarmungen vermisst habe-nicht!

„Luft,...brauche...Sauerstoff", presse ich mit letzter Kraft heraus, und glaubt mir, Miss Summers Umarmungen sind immer so wunderbar atemberaubend-wirklich immer!

„Und, was sagst du?", erwartungsvoll blickt mir Miss Summer durch ihre dicke Hornbrille entgegen.

„Wozu?"

„Na, zu dem Heim!"

„Ich habe es doch noch gar nicht gesehen?"

„Aber ich habe dir doch eben davon erzählt!", und in Miss Summers Stimme schwingt ein leicht genervter Unterton mit.

„Zu viele Informationen auf einmal.", erwider ich kurz angebunden. Wenn sie genervt ist, soll sie mich einfach nicht ansprechen. Und so schwindet die eben noch für meine Betreuerin empfundene Sympathie. Bei mir geht das immer so schnell, seit dem Vorfall mit...ach, eigentlich geht euch das noch nichts an.

Fakt ist, dass ich dem reuevollen Blick von Miss Summers entnehmen kann, dass sie ihren Fehler bemerkt hat. Tja, Pech gehabt. Sie, als meine angebliche „Bezugsperson", sollte am besten wissen, wie man mit mir umzugehen hat.

„Och Schätzchen, nimm es mir doch nicht übel!"-keine Reaktion meinerseits-„Na komm, dann will ich dir das Heim einmal in real-life zeigen. So nennt ihr das doch heute oder?"

Schweigend, und ihren Versuch mit der „modernen" Sprache ignorierend, bewege ich mich auf den Ausgang zu. Hinter mir ist nur ein leises Seufzen zu vernehmen, bevor mir auch schon ein Koffer aus der Hand genommen und in den Kofferraum eines altersschwachen, klapprigen VW gelegt wird.

~

Wie sich herausgestellt hat, hat Miss Summers nicht gelogen. Das Heim ist tatsächlich recht niedlich, die anderen Betreuerinnen respektieren mich und meinen Launen, die Zimmer sind lichtdurchflutet und bieten Freiraum zum selber gestalten und tatsächlich bin ich mit großem Abstand die Älteste hier.

Nicht, dass mich das stört, ich vermeide aus Prinzip Freundschaften mit anderen Heimbewohnern -zu viel Kontakt und zu wenig Privatsphäre-, aber ihr habt keine Ahnung, wie mega krass diese kleinen, lauten Kinder nerven können! Leute, ich lebe seit nicht mal 24 Stunden in dem Heim und auf meiner Weihnachtswunschliste steht zusätzlicher Lärmschutz für mein Zimmer jetzt schon ganz oben!

Miss Summers hatte bereits einige Tage vor meiner Ankunft erreicht, dass eine meiner Zimmerwände schwarz gestrichen wird und sie hat meinen Box Sack aufhängen lassen. Ansonsten ist mein Zimmer kaum mit persönlichen Gegenständen eingerichtet worden. Meine Bettdecke, auf dem standardmäßigen Stangen-Hochbett des Heimes, ist mit einem schwarzen Bezug bestückt, die Kommode wird von meinen Bandagen und Box Handschuhen geziert und auf dem Schreibtisch stapeln sich Collegeblöcke und Kugelschreiber.

Auf Bilder oder andere Erinnerungsstücke an meine Erzeuger oder meine Brüder hatte ich auch in meinem Heimzimmer in meiner Heimatstadt bereits verzichtet.

Zwar lagern Fotobücher von meinen Brüdern und mir in einer Kiste in den Tiefen meines Kleiderschrankes, jedoch auch nur, da Miss Summers und mein Idiot von Therapeut der Meinung waren, dass ich es später bereuen würde diese Bilder entsorgt zu haben.

Naja, wenn sie meinen...immerhin hatten sie ja auch recht, als sie mir vorschlugen, dass das Boxen mir bei der Bewältigung meiner Aggressionen und Wutausbrüche helfen würde...aber ich weiche vom Thema ab.

Seit dem Verschwinden meiner Brüder ist bei mir irgendwie alles schief gelaufen. Und ganz ehrlich, irgendwo mache ich sie auch für die ganze Scheiße, welche mir seitdem wiederfahren ist, verantwortlich.

Und da meine Eltern sich dazu entschlossen haben mich in meiner schwersten Zeit vor die Türe zu setzen, ist somit auch die letzte Chance auf Informationen über den Verbleib der vier Idioten vergangen –nicht, dass ich je vor hatte mir solche Informationen einzuholen!

Der Öffentlichkeit wurde immer erzählt, dass meine Brüder auf ein Eliteinternat geschickt wurden. Und im Bezug auf mein „Verschwinden" wurde bekanntgegeben, dass ich ebenfalls, aufgrund der großen Sehnsucht nach meinen Brüder, auf dieses Internat gewechselt habe –sind meine Eltern nicht freundlich? Ich hoffe ihr hört die Ironie!

Fakt ist, das nichtvorhandene Eliteinternat meiner Brüder liegt irgendwo im nirgendwo und an Stelle der Elite steht Party und auf einem Internat sind sie garantiert auch nicht, sondern sie sind in irgendeine, mir unbekannte Stadt geflohen und leben ein Leben ohne Sorgen und ohne mich. Und wie ihr vermutlich bemerkt habt, bin auch ich nicht in einem Eliteinternat, sondern wurde in ein Waisenheim gesteckt und von meinen Erzeugern verstoßen.

Tja, ein Hoch auf mein Leben!

See you againWhere stories live. Discover now