Der Gefallene Unsterbliche

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„Also bedeutet „Liebe“ auf Spanisch….Kelly?“, fragte meine Spanischlehrerin und deutete mit dem Zeigefinger auf das Wort an der Tafel.

Well, Shit.

„Ähmm also, das fällt mir sicher gleich ein…“

Fieberhaft kramte ich in  meinem Gedächtnis nach der passenden Antwort. Fehlanzeige.

Seufzend holte ich mein Vokabelheft.

Doch plötzlich begannen die Buchstaben des Wortes „Liebe“ sich zu verändern. Dann stand da nicht mehr „Liebe“.

Amor.

„Ähmm, Amor?“

Meine Spanischlehrerin war anscheinend wirklich überrascht, dass es mir tatsächlich noch eingefallen war und nickte anerkennend.

Noch total verwirrt von diesem  Durcheinander der Buchstaben ging ich in die Pause. Meine beste Freundin Leslie war heute krank, weshalb ich die Pausen meistens alleine verbrachte. Alle in meiner Klasse gehörten irgendwelchen Gruppen an:

Die Skater, die Streber, die Kiffer…

Und dann gab es noch Killer.

Den Spitznamen bekam sie in der siebten Klasse. Damals hatten wir ein Klassenmaskottchen gehabt, einen Hamster Namens Bob. Als Killer an der Reihe war, auf ihn aufzupassen, war von dem einen auf den Nächsten Tag verschwunden. Niemand weiß, was mit ihm geschehen ist.

Deshalb Killer.

Ich weiß ehrlichgesagt gar nicht mehr, wie sie in Wirklichkeit heißt. Ich glaube Mara oder so…

Plötzlich klopfte mir jemand auf die Schulter: Killer.

Ein kalter Schauer durchströmte mich. Ich (und sehr viele andere auch) hatte eine Scheiß-Angst vor ihr. Sie blickte mich mit ihren schwarzen Augen an und ich fühlte mich automatisch an die Augen einer Spinne erinnert.

Aber das war natürlich Unsinn.

Ich straffte die Schultern und hob fragend eine Augenbraue hoch.

„Die Schule ist aus. Du musst gehen.“, meinte sie mit einem spöttischen Lächeln.

Erst jetzt bemerkte ich, dass wir die Einzigen waren, die noch da waren. Alle anderen waren schon abgehauen. Die Skater in den Park, die Streber in die Bücherei, die Kiffer in einer Lounge.

Hastig stopfte ich sämtliche Spanisch-Utensilien in meine Tasche und warf diese mir über die Schulter. Dann schnappte ich mir meinen iPod, drehte die Lautstärke hoch und machte, dass ich aus dem Schulhaus kam.

Es war Freitag, eine Woche vor den Sommerferien. Heute Abend würde die Party des Jahrhunderts bei Noel starten.

Als ich zuhause (eine kleine Wohnung in London) ankam, war niemand zu hause. Meine Mutter arbeitete, mein Vater war tot, Geschwister hatte ich nicht.

Ich war, ehrlichgesagt ein klein wenig einsam.

Aber das machte mir nichts, solange mein iPod Akku und ich eine Enrique Iglesias-Playlist hatte. Laut singend knallte ich die Wohnungstür zu und tänzelte zu dem Kleiderständer und hängte meine braune Lederjacke auf, die-laut Leslie- wundervoll zu meinen blonden Haaren passte.

„Baby I like it, the way you move on the floor…!”, sang ich lauthals mit.

“Baby I like it, come on and give me some more…!” Mittlerweile war ich in der Küche.

„Baby I like it…I I I like it!”  Ich musste eine Pause einlegen um einen Schluck Wasser zu trinken, aber das war gar nicht mal so schlecht weil jetzt dieser Rap-Part von Pitbull kam, den ich nicht konnte.

Ich legte ein Tiefkühl-Baguette in unsere Mikrowelle und drehte den Zeiger auf drei Minuten. Dann warf ich einen prüfenden Blick auf die Uhr, die an der Wand hing und seufzte erleichtert.

14:30

Noch 5 Stunden bis zu Noels Party.

Ah, der Rap-Part war vorbei.

„Baby I like it, the way you move on the flo-“

Hatte ich gerade ein Geräusch gehört? Nein, war nur der Beat.

„Baby I like it, come on and give me some mo-“

Doch da war irgendetwas!

Ich pflückte die Kopfhörer aus meinen Ohren und lauschte.

Nichts.

Ich sollte vermutlich leiser iPod hören.

„Baby I like-“

Okay, entweder hatte ich einen Schaden, oder da war wirklich ein leises, kehliges Lachen.

„Hallo?“, fragte ich leise und schüchtern. Meine Party-Sing-Stimmung war verflogen.

Wieder dieses Lachen.

Scheiße, es war tatsächlich jemand hier.

„H-Hallo?“, fragte ich wieder, diesmal ein klein wenig lauter.

Wieder ein lachen. Aus dem Wohnzimmer. Scheiße, jemand war in meinem Wohnzimmer. Meine Mutter konnte es nicht sein, sie kam erst um 21 Uhr.

Okay, alles cool, Kelly…Da ist niemand, versuchte ich mich zu beruhigen, doch es klappte  nicht so wirklich. Es gab genau eine Sache zu tun:

Ich musste nachsehen, wer da drinnen war.

Oder ich könnte auch abhauen.

Ach quatsch, verwarf ich den Gedanke schnell wieder. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es extrem wichtig für meine Zukunft war, jetzt die Tür zu öffnen.

Und ich meine, ich war Kelly Parker. Und ich war fantastisch.

Entschlossen straffte ich die Schultern und wollte gerade die Tür öffnen, als ein

Piep

Ertönte. Vor Schreck zuckte ich zusammen, und das wiederhallende Lachen trug jetzt auch nicht großartig zu meiner Beruhigung bei. Wieder:

Piep

Doch das Geräusch kam mir bekannt vor. Das Mikrowellenbaguette.

Ich gab mir innerlich eine Ohrfeige für meine Angst und riss entschlossen die Tür zum Wohnzimmer auf.

Ach du Scheiße.

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