Kapitel 14

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Draußen blitzte es, bevor ein ohrenbetäubendes Donnergrollen seinen Kopf dröhnen ließ. Normalerweise mochte er Gewitter, aber gerade würde er alles dafür geben, dass der heulende Sturm abebben und die Rollläden in Frieden lassen würde, die unter seiner Wucht klappernd gegen das Dach schlugen. Zu allem Übel hatte er vergessen, die Dinger in seinem Zimmer herunterzulassen und so hielten nur die dünnen Vorhänge das Mondlicht aus seinem Schlafzimmer fern. Vielleicht war es auch das künstliche Licht der Straßenlaternen, die schon vor Stunden begonnen hatten zu leichten. Natürlich könnte er aufstehen und die Rollläden herunterlassen, aber dazu fühlte er sich zu schwach. Wieder blitzte es und er schloss für einen Moment die Augen. Der Wind sauste an seinem Haus vorbei und pfiff durch die Bäume in den umliegenden Gärten, wobei sich nicht nur seine Lautstärke zu verdoppeln schien. Es donnerte erneut und das ganze Haus erbebte. Laut dieser dämlichen Sekunden-Zähl-Methode, war das Gewitter ungefähr vier Kilometer von ihm und seinem Bett entfernt. Doch es fühlt sich so an, als befände er sich direkt in dem tobenden Sturm. Er konnte einfach nicht schlafen, was zum einen an den schrecklichen Kopfschmerzen lag, unter denen er in regelmäßigen Abständen litt, zum Anderen an den Gedanken um sein Gespräch mit Manuel. Irgendetwas war seltsam an ihm gewesen. Noch seltsamer als der schlaksige, leichenblasse Mann es sonst war. Thaddeus wurde das Gefühl nicht los, dass ihm etwas entgangen war, und zwar etwas, das ihm als Psychiater auf keinen Fall hätte entgehen dürfen. Aber was zum Teufel hatte er nur übersehen? Ein weiterer Blitz erleuchtete den Himmel und ließ ihn dann im Dunkeln zurück. Ziemlich passend. Vor lauter Selbstironie entfloh Thaddeus ein leises Auflachen, das in der schwarzen Stille der Nacht sonderbar fehl am Platz wirkte. Einen kurzen Moment lang, verlor er den Gedankenstrang, an dem er gerade knüpfte und er lag schlaflos in seinem Bett, ohne zu wissen, über was er nicht einmal Sekunden zuvor nachgedacht hatte. Dann gelang es ihm, den Faden wieder aufzunehmen, was allerdings nicht bedeutete, dass er nun weniger ratlos als zuvor war. Sein letzter Gedanke, bevor er endlich in das süße erlösende Nichts des Schlafes entschwand, galt der alten Frau, die sich zu Ihnen gesetzt hatte. Und in seinem Kopf entstand die wilde Idee, eben diese Dame zu finden.

Am nächsten Morgen krochen Thaddeus Tjarks, Ardian Bora und Manuel Büttinger zu verschiedenen Zeiten, an unterschiedlichen Orten mit dem gleichen geräderten Gesichtsausdruck aus ihren Betten.
An ihrem Zustand war der Sturm, der in der Nacht gewütet hatte, sicherlich nicht unschuldig, doch alle drei plagten sich mit den diversesten Gedanken herum. Während Ardian auf dem Weg zu seinem Laptop eine Antidepressiva einschmiss, die er von seinem Arzt verschrieben bekommen hatte, zerbrach Thaddeus sich immer noch den Kopf über sein gestriges Treffen mit dem Lektor seines Klienten, der gerade die Zeitung durchblätterte und dabei den letzten Schluck seines Kaffees hinabstürzte.
Thaddeus wusste, wie absurd seine Idee war, die alte Dame zu finden und wie viel unrealistischer es war, dass sie ihm magischerweise verraten konnte, was mit dem Lektor nicht gestimmt hatte. Trotzdem weigerte sich ein kleiner Teil von ihm, der sicher nicht sein Verstand war, dagegen, das Vorhaben komplett zu verwerfen. Er machte sich auf den Weg in seine Praxis, wobei er sich nicht dazu in der Lage fühlte, auch nur mit einem einzigen Klienten zu sprechen.

Ardian starrte seufzend auf die weiße Fläche vor ihm. Seit bereits zwei Stunden versuchte er, einen Satz zu Papier zu bringen, doch es wollte ihm schlichtweg nicht gelingen. Seufzend fuhr er sich durch die Haare und bemerkte dabei, dass diese länger geworden waren. Wieder wanderte sein Blick auf den unberührten Laptop-Bildschirm, der nicht gerade Grund zur Minderung seiner Frustration war. Plötzlich durchfuhr ihn ein heftiger Kopfschmerz pfeilähnlich und er packte sich ächzend an die Schläfen, ehe er begann, diese mit einem enormen Druck zu massieren. Es schien beinahe so, als wolle er die Pein aus seinem Schädel herauspressen, so fest drückte er auf den Seiten seiner Stirn herum. Doch plötzlich hielt er inne. Ein einziges Wort verließ seine Lippen, sein Blick starrte leer über den Bildschirm hinweg.

"Blau."

Und dann begann er zu schreiben.
Seine Finger wanderten wie die eines Bessessenen über die Tastatur, die sein Wohnzimmer nach dieser viel zu langen Zeit endlich wieder mit dem typischen angenehmen Geräusch von schnell gedrückten Tasten erfüllte. Es reizte ihn, einen Moment seine Konzentration auf das Schreiben zu mindern, und diesen Klängen zu lauschen, doch die Angst, wieder in die Lähmung der Schreibblockade zu verfallen, war zu groß. Also tippte und tippte er einfach weiter, bis seine Fingerspitzen wund und seine Kehle ausgedörrt waren. So verbrachte er zweieinhalb Tage, in denen er sein Tun nur unterbrach, um Wasser zu holen oder zu lassen. Er schlief nicht, er aß nicht, er machte höchstens hundert Schritte am Tag und sein Rücken verkrümmte sich immer weiter, bis seine Haltung irgendwann so schmerzhaft wurde, dass der Autor sich zwang, den Text ein letztes Mal abzuspeichern und sich zu erheben. Er schrie auf, als er sich streckte und musste im nächsten Moment über sich selbst lachen. Wie erbärmlich... Wie ein einsames Tier, das sich in seiner Höhle verkroch, weil es die Außenwelt nicht ertragen konnte. Ein wenig stolz auf die Zweideutigkeit seiner eigenen Gedanken, fasste er die nötige Motivation, die es brauchte, um den Telefonhörer zu greifen. Er würde Manuel anrufen. Und dann Thaddeus. Er hatte es geschafft, endlich, nach so langer Zeit. Genervt verdrehte Ardian die Augen, als er bemerkte, dass das Telefon nicht angeschlossen war und er nun in die Hocke gehen musste, um den Stecker, der lose auf dem Boden lag, in die Steckdose zu manövrieren. Gar nicht so einfach im Dunkel seines Wohnzimmers. Als dann endlich das Display seines Telefons aufleuchtete, konnte er nur mit Mühe ein Fauchen unterdrücken. "Warum ist der Dreck denn auch so hell", rechtfertigte er grummelnd sein wenig menschliches Verhalten, während er mit zusammengekniffenen Augen wählte. Niemand hob ab. Als Manuels Stimme ihm erklärte, dass er doch bitte eine Nachricht hinterlassen solle, legte Ardian einfach auf und wählte dann die Nummer der Praxis. Auch hier nur der Anrufbeantworter und wieder legte er auf. Seine Euphorie hatte einen gehörigen Dämpfer erlitten und er saß nun ratlos auf dem Holzboden, den Rücken an ein Bein des kleinen Tischleins gelehnt, auf dem das Telefon seinen Platz hatte. Einen Moment zögerte er, dann wählte er erneut eine Nummer und wartete auf die Piepen, das ihm erlaubte zu sprechen. "Hallo Dr. Tjarks. Ich erreiche sie leider nicht, also wird es gerade mitten in der Nacht sein, aber", plapperte Ardian vor sich hin, wobei er sich lächend eine Strähne aus den Augen strich, "ich wollte ihnen nur mitteilen, dass ich es geschafft habe. Ich habe geschrieben. Mehr kann ich ihnen nicht sagen, da ich schrecklich erschöpft bin. Ich werde wahrscheinlich den ganzen Tag verschlafen, also sorgen Sie sich nicht um mich, wenn sie mich morgen nicht erreichen sollten. Ich werde aber bald zu Ihnen kommen und Ihnen Näheres erzählen." Ardian schmunzelte und wollte bereits auflegen, als er erneut die Stimme erhob. "Achja und noch etwas, Dr. Tjarks: Danke. Ohne Sie würde ich wohl immer noch in meiner Schreibblockade stecken. Gute Nacht."
Dann legte Ardian auf und fiel todmüde in sein Bett, wo er bereits eingeschlafen war, bevor sein Körper auf der Matratze aufkam.

[1213 Wörter]

Seltsames Kapitel. Der erste Teil ist eigentlich nur aus Laune heraus entstanden, weil es bei uns total stürmisch war und ich nicht schlafen konnte.

Hat jemand "Die Physiker" gelesen?

-Ra

missing words - [tardy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt