EINS

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When the snows fall and the white winds blow, the lone wolf dies but the pack survives.

~ GoT

Erren erwachte, als die Sonne hinter den grünen Hügeln aufging und die Flussaue in goldenes Licht tauchte. Er blinzelte müde gegen die Dämmerung an. Ein Morgen wie jeder, und dennoch einzigartig.

Sein erster Gedanke galt Faenja. Er drehte den Kopf zur Seite, aber von seiner Gefährtin fehlte jede Spur. Nicht einmal Sonnenaufgang war ihr früh genug. Es mochte bald Winter sein, aber trotzdem konnte Erren nicht nachvollziehen, wie ein Mensch es fertigbrachte, vor Einbruch des Tages aufzustehen.

Er brummte unzufrieden vor sich hin und kämpfte sich auf die Beine. Lauer Wind fuhr durch die Baumkronen und zauste ihm das dunkle Haar.

Erren war groß und kräftig gebaut, jedoch vom Leben gezeichnet. Narben zogen sich unterhalb seines rechten Wangenknochens entlang, einige über seine muskulösen Arme, andere im Nacken.

Er hatte ein markantes Gesicht, ein wenig kantig und mit harten Zügen. Seine schwarzen Haarsträhnen fielen ihm bis über die Augen.

Verschlafen tastete Erren nach Feuerstreich, dem edlen, scharf geschliffenen Einhänder. Er hatte es damals einem Knappen der Alvarrsritter abgenommen und diesen getötet.

Die Männer des verstorbenen Königs waren nie schlecht ausgestattet gewesen. Eirik hatte nicht einmal an Prunk gespart.

Erren kniff die Augen zusammen. Der Gedanke an den tyrannischen Herrscher und dessen Gefolgschaft hinterließ einen bitteren Nachgeschmack.

Barsch schnallte er sich den ledernen Waffengürtel ums Becken und drehte den Kopf in Richtung Wald. Nichts war zu hören. Nur vereinzeltes Schnauben und Scharren der Pferde hinter ihm durchbrach die tiefe Stille.

Ihn beschlich ein ungutes Gefühl. Wenn Faenja morgens übte, war das meist kaum zu überhören, aber jetzt waren da weder die dumpfen Schläge ihrer Klinge auf Holz, noch das leise Fluchen unter zusammengebissenen Zähnen.

"Faenja!", rief er gedämpft, doch sie antwortete ihm nicht. Er runzelte die Stirn.

Wo steckte sie nun schon wieder?! Erren war nicht leicht zu beunruhigen, aber jetzt war ihm nicht sonderlich wohl zumute.

Die Ruhe, die ihm so friedlich erschienen war, hatte plötzlich etwas Unheilvolles an sich.

Er lief in Richtung des Walds. Es war düster und kalt, das schwache Morgenlicht brach noch nicht durch das dichte Blätterdach hindurch. Und unter jedem seiner Schritte raschelte es am Boden.

Unwillkürlich krallten sich Errens Finger um den Scheibenknauf seines Schwertgriffs. Er war sich sicher, dass irgendetwas nicht stimmte. Es mochte nur ein Gefühl sein, trotzdem war jeder Muskel seines Körpers angespannt und zum Kampf bereit.

"Faenja!", wiederholte er, diesmal um einiges lauter und fester, aber es war, als würde sein Schrei gegen den Wind verebben. Keine Antwort. Errens Magen zog sich zusammen. Er beschleunigte seine Schritte und überflog die Umgebung mit hastigem Blick. Er wusste nur zu gut, wie gefährlich diese Wälder waren. Und wenn Faenja etwas zustieße, würde er es sich nie verzeihen können.

Hinter ihm knackte es im Unterholz. Er zuckte zusammen wie ein aufgeschrecktes Reh und wirbelte herum, aber es war nur ein Eichhörnchen, das in Windeseile auf einen naheliegenden Baum flüchtete. Ärgerlich schüttelte Erren den Kopf. Er benahm sich wie ein Narr!

Mürrisch wandte er sich ab und stapfte weiter durch das Laub. Durch die Zweige schimmerten die ersten Sonnenstrahlen in den Wald und hüllten den nebligen Morgenschleier in ein gespenstisches Licht. Der nächtliche Tau funkelte wie Perlen an den Blättern.

Blut und AscheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt