𝟐𝟗. 𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥 | Streichhölzer

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Sanft fuhr der Polizist mit seiner Hand meinen nackten Arm herunter.

Ich war vor Schmerz wie gelähmt, konnte mich nicht bewegen. Mein Herz schlug viel zu schnell. Seine Finger waren an meinem Handgelenk angekommen. Aber plötzlich war die Berührung nicht mehr sanft, sondern unangenehm. Kalt. 

Es war eine dicke Eisenkette, die meine beiden Handgelenke fest zusammenhielt. Um mich herum war alles dunkel, auch der Schmerz war weg.
Ich befand mich nicht mehr in dem Büro des Polizisten. Ich saß wieder in dem Keller, bei Julien. Und ich war nicht allein.

Erleichterung durchfuhr mich, als ich ihn sah. Ihn endlich wieder sah, in seine leuchtend grünen Augen schauen konnte. Julien. 

Seine Lippen verzogen sich zu einem Grinsen als er mich erblickte, die mir inzwischen nur allzu bekannten Grübchen bildeten sich in seinen Wangen. Aber dann ließ er seinen Blick weiter wandern.

Ich war nicht mit ihm alleine, es waren noch andere Menschen im Raum. Andere Mädchen um genau zu sein. Alle waren gefesselt, trugen diese Eisenketten, die klirrten, sobald sie sich bewegten. 

Wir saßen alle in einem Kreis, Julien stand in der Mitte. In der Hand hielt er etwas. Ich musste ein paar Mal hinsehen, bis ich erkannte, dass es Streichhölzer waren. Gelassen drehte Julien sich im Kreis, sah jedes seiner Mädchen an. Bei mir verweilte sein Blick einen Augenblick länger. Aber vielleicht bildete ich mir das auch nur ein. Julien hob die Hand mit den Streichhölzern hoch.

„Wir spielen wieder ein Spiel", sprach er. Seine Stimme hörte sich seltsam blechern an. Weit entfernt, obwohl er direkt vor mir stand. Ich sah sein Profil, die gerade Nase, die Haare, die ihm leicht in die Stirn fielen.

Sein Brustkorb hob sich, als er einatmete, um weiter sprechen zu können.

„Jeder von Euch nimmt sich ein Streichholz. Eines ist kürzer als die anderen." Er drehte sich langsam noch einmal um die eigene Achse um sich zu vergewissern, dass er die Aufmerksamkeit aller hier anwesenden Mädchen hatte.

„Diejenige von Euch, die das kürzeste Streichholz zieht..."
„Ist frei?", schnitt ihm ein Mädchen das Wort ab, welches links neben mir im Kreis saß. Julien erstarrte und sah sie feindselig an. Aber dann wurden seine Gesichtszüge weicher. Er lächelte sie an.

„Ja, diejenige von Euch wird frei sein. Aber erst, nachdem ich mit ihr fertig bin." Mit der freien Hand fasste er sich hinter den Rücken und zog eine Pistole heraus. Die Mädchen um mich herum keuchten erschrocken auf. Das Bild vor meinen Augen verschwamm langsam.

Auf einmal spürte ich wieder die Schmerzen in meinem Körper, sie kamen inzwischen abgehackter. Waren kurz weg, dann aber mit voller Wucht wieder da. Etwas klopfte.

„Amberson?", hörte ich eine Frauenstimme fragen. Ich lag wieder in dem Büro, aber kniff meine Augen zusammen. Ich wollte die Szene festhalten, die Szene mit Julien. Ich wollte wissen, was er mit den Streichhölzern vorhatte. Nur langsam gelang es mir, das Bild wieder aufzubauen. 

Julien hielt die Pistole immer noch in der Hand.
„Es ist alles Zufall. Es liegt in Eurer Hand, welches Streichholz ihr zieht", versprach er den Mädchen und hielt dem ersten die Streichhölzer unter die Nase.

Ihre Kette klirrte, ihre Finger zitterten, als sie ihre Hand nach den Streichhölzern ausstreckte. Sie suchte sich eins aus und atmete erleichtert auf, als es ein langes war, eines, was nicht vorher durchgebrochen wurde. Julien ging seine Runde, bei jedem Mädchen wiederholte sich das Geschehen.

Das Klopfen wurde intensiver. „Amberson!", schrie die Frauenstimme inzwischen durch die geschlossene Tür.

Die Schmerzen waren wieder da. Vor meinem inneren Auge sah ich Julien an mir vorbei gehen. Ich bekam kein Streichholz. Ich spielte bei diesem Spiel nicht mit.

Broken HeartWhere stories live. Discover now