11 - Gefallen

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„Würdest du mir mal verraten, was gestern mit dir los war?!", faucht Erin dich am nächsten Morgen an, sobald du aus dem Wohnheim getreten bist. Gemeinsam zieht ihr nun zu den Unterrichtsgebäuden,  zwei kleine Punkte im großen Strom aus Schülern, während die Rothaarige dich anklagend anstarrt. „Du hast uns einfach so stehengelassen und bist abgehauen!"
„T'schuldigung", murmelst du geknickt und lässt die darauffolgende Schimpftirade mit halb geschlossenen Lidern über dich ergehen. Du hast gar nicht gut geschlafen. Stundenlang hast du dich in deinem Bett  hin und her gewälzt und dich gefragt, was es mit den Nachrichten, Nat und Emilys Tod auf sich hat. Du hast dir sogar eingebildet, dass jemand draußen vor deiner Zimmertür stehen würde. Gegen Morgengrauen bist du doch noch eingedämmert, bis dich eine weitere SMS - ‚Guten Morgen!' - wieder unsanft aus dem Schlaf riss.

Nun pochen deine Schläfen bei jedem behutsamen Schritt, den du machst, um zu deinem Klassenraum zu gelangen. Mit deiner Erschöpfung nimmt der Ärger in dir zu. Irgendjemand macht sich über dich lustig, indem er dir vorgaukelt, du würdest beobachtet. Die Person hat sich deine Verunsicherung über die fremde Umgebung einfach zunutze gemacht, um dir Angst einzujagen, und du wirst ganz bestimmt nicht einfach so klein beigeben.

„Wo sind denn Nick und Jeff? Schon im Unterricht?", unterbrichst du Erin, sobald sie kurz Luft holt. Die Gefragte schneidet eine Grimasse. „Kannst du es glauben, irgendjemand ist schon wieder in den Geräteraum eingebrochen. Man sollte meinen, dass so geschickte Einbrecher Besseres zu tun hätten, als muffige Wände mit Farbe zu beschmieren."
„Wieso eigentlich nur ihr Basketballteam?", fragst du verdutzt, „Was ist mit den anderen Mannschaften?" „Es ist der Geräteraum der kleinen Halle, da gehen nur die rein", erklärt Erin schulterzuckend. „Ich hoffe, die beiden haben an den blöden Mundschutz gedacht." Ihr betretet das Hauptgebäude, wo ihr euch voneinander verabschieden müsst. Die Rothaarige scheint den gestrigen Zwischenfall längst wieder vergessen zu haben. Unbeschwert winkt sie dir zu und verschwindet zwischen den Grüppchen aus Schülern.

Der Weg kommt dir an deinem dritten Schultag schon deutlich vertrauter vor, als du die grauen Treppen zum zweiten Stock erklimmst und die Klassenzimmer passierst, aus denen der morgendliche Lärm von Stimmen und Gelächter tönt.
Wie Erin bereits angekündigt hat, ist Nick nicht da. Auch von Cion ist keine Spur zu sehen.

Du nickst hier und da einigen bekannt wirkenden Gesichtern von der gestrigen Party zu und setzt dich an deinen Platz. Dort verbringst du die verbliebene Zeit damit, träge auf dein Handy zu starren. Auf deiner neuen Schule hat noch niemand deine Handynummer. Steckt ein alter Bekannter hinter den mysteriösen Nachrichten? Jemand aus deinem alten Freundeskreis? Aus einem Verein vielleicht?
Erst als ein Schatten über deine Sicht fällt, nimmst du die drei Mädchen vor deinem Tisch wahr. Langsam hebst du deine müden Augen.

Als Erstes bemerkst du, wie schön sie sind, auf eine einschüchternde Art und Weise. Ihre Haare sind das Ergebnis sorgfältiger Pflegespülungen, ihre langen, geschwungenen Wimpern machen vermutlich nicht nur dich neidisch. Unter den geübten Schichten aus Make-Up und Puder, welche ihre allmorgendlich disziplinierten Bemühungen vor dem Spiegel offenbaren, wird dir dein eigenes, nachlässiges Erscheinungsbild umso peinlicher bewusst. Mit anderen Worten: Du fühlst dich wie eine Vogelscheuche.

„Hi. (Y/N), richtig?", sagt das Mädchen in der Mitte. Ihre hellbraunen Haare fallen wie ein Wasserfall aus flüssigem Bernstein über ihre schmalen Schultern und verleihen ihr mit dem schmalen, blassen Gesicht eine elfenhafte Ausstrahlung. Noch während du nickst, tritt ein steifes Lächeln in ihre Mundwinkel. „Ich bin Lauren. Nett, dich kennenzulernen." In einer selbstbewussten Geste streckt sie ihre Hand aus. Mechanisch erwiderst du ihr Händeschütteln.

„Wir haben dich gestern auf der Party gesehen und uns gefragt, woher du Nathan kennst", fährt das Mädchen mit dieser aufgesetzten Freundlichkeit fort. In deinem Kopf blitzen Warnlichter auf. Ruckartig ziehst du deine Hand zurück und bringst sie schleunigst hinter deinem Tisch in Sicherheit. Lauren nimmt dies mit einem unzufriedenen Stirnrunzeln zur Kenntnis, bevor sie sich wieder entspannt. Mehr noch, sie lacht. „Keine Sorge, das soll jetzt keine Kampfansage sein." Du blinzelst. „Sollte es nicht?"
Belustigung blitzt in ihren Augen auf, als sie ihre Arme vor der Brust verschränkt. „Eigentlich wollte ich dich um einen kleinen Gefallen bitten."

Das kommt unerwartet. Die Lichter blinken heftiger. „Worum geht's?" Das Grinsen auf Laurens Lippen wird breiter. Vielleicht hättest du doch nicht fragen sollen.

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