17 - Selbstzweifel

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„Einen Moment, ich hol' nur meine Jacke", rufst du über deine Schulter, während du die Tür zu deinem Zimmer aufschließt und ins Innere huschst. „Nur keine Eile. Du wolltest ja essen gehen." Cions nonchalante Antwort lässt dich aufseufzen. Keine fünf Minuten später bereust du es schon, ihn gefragt zu haben, aber solange du jetzt nicht alleine sein musst, ist dir jede Gesellschaft Recht.

Du lässt deine Schultasche auf den Boden fallen, reißt deinen Kleiderschrank auf und ziehst wahllos eine Jacke hervor. Als du dich wieder umdrehst, bemerkst du am Rand deines Sichtfelds einen hellen Fleck auf dem Boden. Stirnrunzelnd kommst du näher und hebst den kleinen pastellfarbenen Briefumschlag hoch, welcher vor der Türschwelle lag. Sein Papier ist hauchdünn und knistert leise unter deinem Griff. Prüfend wendest du es, aber eine Beschriftung fehlt.

Mit ungeduldiger Miene taucht Cions Gesicht hinter der Tür auf. „Musst du die Jacke vorher noch zusammennähen?", fragt er spitz, aber du hast nur Augen für deinen Fund. Ohne Zweifel ist er für dich bestimmt. Was wird darin stehen? Deine zitternden Finger werden immer hastiger bei dem Versuch, den Umschlag zu öffnen, bis er mit einem leisen Ratsch nachgibt. Zum Vorschein kommt ein ordentlich zusammengefaltetes Blatt Papier.
Mit einem unguten Gefühl im Magen streichst du es auseinander und erblickst eine wunderschön geschwungene, akkurate Handschrift. Ebensogut könnte sie gedruckt sein, wären da nicht die einzigartigen Wirbel am Ende jedes Buchstaben, welche auf ein unvergleichliches Fingerspitzengefühl ihres Verfassers hinweisen.

Hoffnung, Instinkt, Chaos.

Ich warte und rufe dich,'

Perplex starrst du auf die Worte, die so ernst klingen und doch keinerlei Sinn ergeben. Absurd. Das ist absurd. „Was liest du da?" Neugierig streckt Cion seinen Kopf, um den Inhalt des Briefes entziffern zu können, dann legt er seine Stirn kraus und beäugt dich skeptisch von der Seite. „Tja, wer hätte gedacht, dass du dich für Wortspiele interessierst? Und dann auch noch so subtile." „Wie bitte?" Irritiert über seine Aussage drückst du den Zettel an dich und weichst vor seiner großen Gestalt zurück. Zur Antwort bedenkt der dunkelhaarige Junge dich mit einem überheblichen Blick. „Wie meinst du das?" „Das erzähl ich dir im Restaurant, oder wir kommen nie von hier fort."

Mit einer knappen Kopfbewegung in Richtung deines Zimmers verschwindet Cion wieder im Flur und lässt dir keine andere Wahl, als hinterherzulaufen. „Was weißt du über diesen Brief?", fragst du bestürzt, und als er daraufhin nur bedeutungsvoll feixt: „Bitte, du musst es mir sagen!" „Ich weiß, dass ich vor einer halben Stunde meine Bestellung aufgegeben hätte, wenn wir nicht für deine - Jacke - wieder umgekehrt wären", grummelt dein Begleiter verdrießlich und beschleunigt seine Schritte, sodass du Mühe hast, mit seinen langen Beinen mitzuhalten. „Weißt du denn nicht, dass ab neun Ausgangssperre herrscht?"

Eine blöde Ausgangssperre ist nun wirklich dein letztes Problem! Frustriert zerbeißt du deine Lippen, siehst aber wohl oder übel ein, dass er dir vorerst nichts verraten wird. Schließlich ist es Cion, der wieder das Wort ergreift, sobald ihr euch draußen auf dem Weg zur Stadt befindet.
„Aber wenn du es so dringend wissen musst, darfst du mir vorher verraten, wieso du dich heute so paranoid benimmst. Du siehst dich die ganze Zeit um wie eine in die Enge getriebene Katze." Ertappt richtest du deine Aufmerksamkeit wieder nach vorne auf den schattigen Gehweg zu deinen Füßen. „Es ist nichts." „Tatsächlich nicht? Das fällt mir schwer zu glauben."

Wie denn auch, du kannst selbst hören, wie hölzern du klingst. Aber wird er dir Glauben schenken, wenn du ihm von deinen jüngsten Erlebnissen berichtest? Wird er dich ernst nehmen oder für verrückt erklären? Voller Selbstzweifel blickst du in sein dir zugewandtes Gesicht. Selbst in der anbrechenden Dämmerung sehen seine grauen Augen so unbeirrbar und entschlossen aus, dass du dich unweigerlich fragst, ob du dir die vergangenen Tage nur eingebildet hast. Cion wirkt stets so distanziert und bedacht. Als wäre seine bloße Präsenz ein Anker, der dich immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholt, sobald die brodelnden Fluten aus Verwirrung und Angst dich wegzuschwemmen drohen.

Als du ihn weiterhin nur schweigend anstarrst, zieht er unzufrieden seine Mundwinkel nach unten. „Ich bin nicht blind, (Y/N). Etwas bereitet dir Sorgen, und es hat mit diesem... Brief zu tun", stellt er im nüchternen Tonfall fest und zieht dich in letzter Sekunde sachte aus dem Weg eines schwatzendes Pärchens in Abendkleidung, welches an euch vorbei schreitet, ohne dich zu bemerken. Reichlich verärgert blickt er den beiden Passanten hinterher, bevor er sich wieder dir zuwendet. „Sieh dich doch an, du bist völlig neben der Spur. Du kannst mir nicht erzählen, dass das nur am Schulwechsel liegt."

„Tut mir Leid", murmelst du kleinlaut, woraufhin der Junge schnaubt: „Hör auf, dich zu entschuldigen, sag mir lieber, was mit dir los ist." „Es ist... kompliziert." Unbehaglich linst du in beide Richtungen des Gehweges. Auf offener Straße darüber zu reden, gibt dir das Gefühl, das Unheil geradezu heraufzubeschwören. Wer sagt, dass der Unbekannte nicht irgendwo zwischen den Häusern lauert und euch belauscht? Seufzend legt Cion seine Hand gegen seine Schläfe. „Möchtest du lieber beim Essen davon erzählen?", schlägt er schlussendlich vor und marschiert angesäuert weiter, als du deinen Kopf auf und ab bewegst.
„Dann komm. Wir haben schon genug Zeit vertrödelt."

|=| Wird Zeit, dass wir uns Hilfe holen, nicht wahr?! Naja, ich wär auch sauer, wenn mich jemand zum Essen einlädt und dann die ganze Zeit abgelenkt wirkt. Wobei Cion ja immer schlecht gelaunt zu sein scheint. 😒

• Wenn ihr eine Minute Zeit habt, lasst mir doch Kritik oder Korrekturen zum Kapitel und zu meinem neuen Buchcover da! \Q...Q/ Vielen Dank!

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