I; [remember winter days]

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Seine Ski geschultert und in die dicke, rote Winterjacke eingemummt, schritt er schon fast andächtig den Weg vom Container im Athletendorf zum Lift der Bergiselschanze. Unter der Jacke trug er bereits den Sprunganzug, der an der Vorderseite golden und an der Hinterseite weiß war und in seine schwarzen Sprungschuhe war er auch schon gesteckt. Es war ein ganz normaler Tag in seinem Leben, nicht wirklich anders wie im Jahr zuvor, welches vor drei Tagen sich verabschiedet und vom neuen abgewechselt worden war.

Der bereits vorhergesagte Schneesturm, der sich über Innsbruck breitmachen sollte, war nun in voller Stärke präsent, konnte sich aber nicht entscheiden, ob er stark bleiben oder abklingen sollte. Ein Blick drängte sich durch die vorbeifliegenden Container zur Menschenmenge, die sich vom Wetter wenig abschrecken lässt.

"Hey Kleiner!"

Ryoyu zuckte zusammen und sah zur anderen Seite. Noriaki kam auf ihn zu gerannt und hatte ein breites Lächeln aufgesetzt. Etwas scheint ihm brennend hinter den Fingernägeln zu drücken, doch er war noch nicht in der Kleidung, die ihn eigentlich als Springer ausmachte.

"Bist du heute nicht?", fragte Kobayashi mit einem Hauch Enttäuschung darin. Er verstand sich gut mit Kasai und dieser mit Ryoyu.

Er schüttelte den Kopf und lachte kurz.
"Ich bin am Auslauf, Träger spielen."

Kobayashi schüttelte den Kopf und sie hatten das Athletendorf bereits verlassen. Normalerweise wäre Takeuchi mit ihm zur Schanze gegangen, aber Ryoyu hat ihn seit einer guten halben Stunde nicht mehr gesehen. Sein Bruder war nicht qualifiziert für die Aufstellung am Bergisel und somit blieben nur noch er, Sato und Ito übrig.

"Also, hast du schon mit dem Englisch lernen begonnen?", stupste Noriaki dem jüngeren in die Schulter, der sichtlich zusammenzuckte. Wie schnell sich dieser Vorsatz für das neue Jahr herumgesprochen hatte, war ihm ein Rätsel und zugleich auch erschreckend. Langsam verstand er, dass er seinem Bruder nichts mehr anvertrauen konnte.

Und er wusste auch, welchen Hintergedanken die anderen in diesem Vorsatz glaubten.

"Nein, habe ich nicht", hielt er seine Stimme ruhig und gedämpft. Nur bei dem kleinsten Funken Gedanken an das andere zu verschwenden, nahmen die Wangen eine Farbe wie rosarote Pfirsiche an.

"Du solltest langsam anfangen zu suchen", gab Noriaki ihm einen weisen Rat, der keinesfalls stichelnd gemeint war. "Wir sind fast nie zuhause und du gehst nie aus. Wer sagt, dass es nicht auch eine, ich weiß nicht", dachte er kurz nach und rieb sich das Kinn, als ihm das Wort einfiel. "Es kann auch eine Russin oder eine Slowenin sein."

"Tut mir leid, aber eine Japanerin wäre mir am liebsten", schnaubte er sich die eine kitzelnde Strähne aus dem Gesicht, die er schlussendlich mit der Hand hinter den Helm stopfen musste. "Wenn ich doch schon an Englisch in der Schule gescheitert bin, wie soll ich dann Russisch oder Slowenisch meistern."

Noriaki schüttelte den Kopf und machte deutlich, wie wenig die Sprache zu bedeuten hatte. Er musste nicht gleich die Landessprache in wenigen Wochen fließend beherrschen.

"Wäre doch alles vertreten", schweifte die Hand zu den Containern zurück und Kasai drehte sich einmal um seine eigene Achse, bevor er wieder Ryoyu folgte. "Wie wäre es mit einer Physiotherapeutin?"

Alleine der Blick war ausschlaggebend für Noriaki und er begann zu lachen. Dieses Gespräch musste beendet werden, bevor Ryoyu ihm davonlief, da er es langsam satt hatte, von jedem wegen diesem Thema angesprochen zu werden.

"Ich meine doch nur, wir werden nicht jünger. Bevor du nach einer Verletzung nicht mehr Skispringen kannst und alleine mit deiner Katze in einer kleinen Singlewohnung in Sapporo lebst, solltest du es wenigstens versucht haben und nichts bereuen müssen."

Mit einem letzten Schulterklopfer drehte sich Noriaki um und ging wieder dem Athletendorf entgegen. Schließlich war der erste Trainingsdurchgang abzuwickeln und Ryoyu war in einer nicht so schlechten Form. Für die Weltspitze reichte es kaum und dies war ihm herzlich egal. Er arbeitete daran, wenn auch weniger als den Trainern lieb war, aber er arbeitete an seiner Form. Irgendwann wird er der sein, der lächelnd auf dem höchsten Treppchen stand und eine glitzernde Trophäe in Händen hielt.

Ohne ein Wort sprang er noch in letzter Sekunde in den Lift zu Fannemel und Stjernen. Der Japaner sprach nichts bis kaum mit anderen Springern, da er viel zu schüchtern war. Einerseits dachte er sich, dass dies wohl das beste war, da er nicht wusste über was er sprechen sollte. Andererseits glaubte er zu wissen, was die anderen sich über ihn dachten, wenn er nicht sprach. Manchmal glaubte er, so etwas wie eine angeborene Krankheit zu haben, die seine Eltern nicht erkannt haben, doch Ärzte haben dies in Grund und Boden gestampft.

Mit den sanften Glockenklängen wurde angekündigt, dass sie das gewählte Stockwerk erreicht haben und Ryoyu hastete aus dem Lift. Er war immer noch darauf bedacht, Taku zu finden. Zwar war Yukiya auch noch hier, den er zwischen Freitag und Domen Prevc sitzen sah, doch mit Takeuchi verstand sich der jüngste des Teams einfach am besten.

Vielleicht war es der geteilte Kleiderwahn, den sie besaßen.

Ryoyu suchte sich einen freien Platz und fand einen ganz in der Ecke. Die Plätze neben diesem waren leer, doch für Kobayashi weniger von Besorgnis. Würden sie befüllt werden, würde es so sein und sonst war es ihm auch egal.

Er schüttelte kurz den Kopf und befreite seine Füße aus den Schuhe, um sie mittels Kneten der Hände zu wärmen. Noriaki hat es wieder einmal geschafft, dieses Thema in seinen Kopf zu setzen, dass er kaum ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, daran vorbei kam. In gewisser Hinsicht hatte er doch recht. Aber auf der anderen Seite hatte Ryoyu kaum Lust ein CC zu werden. Ein Campus Couple.

Freunde, die Privatschulen besucht haben, haben davon immer gejammert. Ryoyu hatte sich nie mit so etwas herumschlagen müssen, da er auf eine reine Jungenschule gegangen war. Der Trainingsplan für Mädchen und Jungs war sowieso anders gewesen, worauf es zwei separate Gebäude gegeben hat.

Außerdem, mit einer Ärztin oder einer Therapeutin wollte er auch nichts haben, da er nicht der einzige wäre, denn sie bemüttern würde. Ryoyu würde es mit seiner Eifersucht zutun haben, die schon einsetzte, wenn der kleine Dan einen der anderen Springer lieber mochte, als ihn. Kobayashi hatte seine ziemlich ausgeprägte Eifersucht vom Vater vererbt, wobei der junge Springer nicht wusste, wie er dies einmal mit einer Freundin unter einen Hut bringen sollte.

Das war es, vor dem er angst hatte.

Seine Mutter hatte ihm jedenfalls erzählt, dass er sich bei der richtigen, keine Sorgen um dieses Problem machen musste.

Er schlüpfte in die Schuhe und schürte diese, bevor er zu spät war an den Start des ersten Trainingssprungs zu gehen. Schließlich wollte er etwas auf dieser Schanze zeigen können und die Sprünge nicht wegen so einem Thema zu verpassen.

[ryoyu kobayashi] etānitīWo Geschichten leben. Entdecke jetzt