S U R V I V E

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"Survive"
[ser-vahyv]
to remain alive after the death of someone, the cessation of something, or the occurrence of some event; continue to live

Wie die Tage zuvor vergeht das Training ohne weitere Ereignisse. Der einzige Unterschied ist, dass ich heute endlich an der Station trainierend kann, die Cato die letzten zwei Tage so gut wie blockiert hat. Nach einigen Stunden, als ich gerade mein Training mit der Station beenden wollte, mit der ich auch begonnen habe, heißt mit Schießen, höre ich die weibliche Stimme der Betreuerin. Das Training ist vorbei. Nicht nur für heute, sondern ganz. Ab jetzt können wir uns nicht weiter auf die Arena vorbereiten. Ich atme tief durch und blicke noch einmal durch die Halle. Ein bisschen ähnelt sie doch unserem Trainingscenter in Distrikt 1. Zwei warme Hände reißen mich aus meinen Gedanken. „Na, Marvel", sage ich ohne überhaupt nachzuschauen zu wem die Hände gehören, wer soll es immerhin sonst sein, keiner hier würde mir einfach so die Hände auf die Schultern legen. Ohne ein Wort zu sagen verlagert er seine Hände auf meine Schulterblätter und schiebt mich in den Aufzug. Er grinst mich kurz an und drückt dann auf den obersten Knopf der Stockwerkanzeige. Auf meinen fragenden Blick hin, nimmt er, als sich die Aufzugtüren geschlossen haben, meine Hand und schaut mich an „Ich will dir was zeigen". Kaum beendet er seinen Satz öffnen sich die Türen und wir befinden uns im Freien. Schnell erkenne ich, dass es wie eine kleine Dachterrasse ist. Doch hier befinden sich keine Möbel oder sonst irgendetwas. Der Boden ist der gleiche wie in unseren Stockwerken. Die kühle Luft strömt durch meine Haare. Ich fröstle ein wenig, es ist doch kälter als erwartet. Um uns herum stehen unzählige Hochhäuser, soweit das Auge reicht. Weiter hinten ragen die Berge, die das Kapitol umgeben, aus dem Boden heraus und reichen bis über die Wolken, so das man die Spitzen nur vereinzelt erkennen kann. Der Himmel über uns ist allerdings klar und man kein ein paar Sterne sehen.
Ich atme tief aus. Sowas schönes hat nicht mal Distrikt 1 zu bieten. Aber wie ironisch ist es, dass hier oben alles so still und friedlich aussieht und in Wirklichkeit Panem "Frieden" am seidenen Faden hängt.

Als mir erneut kalt wird und ich mich ein wenig schüttle, realisiere ich die warmen Arme die mich umgeben. Marvel steht hinter mir.
Ich entspanne mich ein wenig, weil er mich zum Glück wärmt. „Ist schön hier, oder? Joe meinte heute morgen zu mir, dass du das umbedingt sehen solltest." Ich lege meine Hände an seine Arme und fange an zu lächeln. Joe weiß, dass ich solche Ausblicke liebe und er muss sich etwas dabei gedacht haben, wenn er es Marvel gesagt hat. „Hat er noch was gesagt in dieser Richtung?" Ich schau ein Stück an der Seite zu ihm hoch. Unerwartet dreht Marvel mich mit einer Handbewegung um und nimmt meine Hände. Er legt seine Stirn an meine und spricht auf einmal sehr leise, als könnte uns jemand hören. In gewisser Weise könnte das sogar stimmen, immerhin gibt es hier kaum noch einen Ort an dem nicht eine Kamera oder ein anderes Überwachungsmittel ist. „Wir sollen bis zum Ende durchhalten. Er will mit Cashmere einen Weg finden, uns beide da raus zu holen."
„Wow, das wird schwer", gebe ich zurück und schaue auf den Boden. „Joe könnte dadurch wirklich in Schwierigkeiten geraten und Cashmere auch. Wir alle."
„Ich weiß, aber wir müssen daran glauben", sagt er mit immer noch gesenkter Stimme.

In vollkommender Ruhe stehen wir einen Moment da, bevor er mir zart einen Kuss auf die Lippen haucht. Er lächelt noch einmal und dreht mich wieder so, dass ich wieder freie Sicht auf die Häuser habe. „Und? Gut vorbereitet auf morgen?", sagt er während er mich weiterhin umarmt. „Nein, ich hab die letzten Tage nur so trainiert und werde morgen die arme, schwache aus Distrikt 1 spielen, so wie Johanna Mason", lache ich zu ihm. „Okay, so eine sarkastische Antwort hätte ich fast erwarten können". Sein Blick richtet sich nun ebenfalls auf die Stadt. „Was ist eigentlich mit den Interviews?"

Ich drehe mich um „Was soll mit den Interviews sein?" Seine Augen wenden sich von den Gebäuden zu mir und er legt seinen Kopf in die Schräge. „Na was wohl, Gem. Was ist wenn Caesar irgendetwas bezüglich dem anderen fragen sollte?" Ich überlege einen Moment. Einerseits wäre es für uns beide hilfreich, wenn wir das „ach so tragische Millionen Dollar Paar" aus Distrikt 1 sind, da dieser kleine Vorteil uns vielleicht weit nach vorne bei den Sponsoren bringen könnte, aber andererseits lassen Gefühle in dieser Richtung sofort Schwäche durch scheinen und das kann sich weder Marvel noch ich leisten. „Ich glaube es reicht, wenn Joe und Cashmere Bescheid wissen, oder?" Er nickt und dreht sich kurz um. „Wollen wir wieder ins Gebäude? Langsam wird selbst mir kalt und ich will grade wirklich in mein Bett", grinst er mir entgegen. Ich stimme ihm zu und umarme ihn noch einmal bevor wir uns auf den Weg nach unten machen. Er umschlingt mich förmlich mit seinen Armen und auch wenn es nur für einen kurzen Moment war, kommt es mir vor wie eine Ewigkeit. Irgendwann höre ich ihn kurz seufzen, bis er langsam seinen Kopf ein Stück neigt und geschlagene 20 mal hintereinander mir „Bett" zuflüstert. Ruckartig lasse ich ihn los. „Okay, hab verstanden, dann gehen wir eben", lache ich mit beleidigtem Unterton. Marvel schmunzelt und bewegt sich in Richtung Tür, während er meine Hand nimmt und mich hinterher zieht.

Die Aufzugtüren haben sich noch nicht einmal in unserem Stockwerk ganz geöffnet, als Lillian genau vor uns auftaucht. „Wo bitte seid ihr gewesen?"
„Ganz ruhig, Lillian", höre ich Marvel neben mir entspannt sagen. „Wir waren auf dem Dach und haben noch ein wenig über das Training und unsere Strategien gesprochen" Sie schaut prüfend zwischen uns hin und her „Aha", murmelt sie uns bewegt sich zum Wohnzimmer.

Ohne weiter nachzudenken gehen Marvel und ich zu unseren Zimmern. Auch mich überkommt nun schleichend die Müdigkeit und ich gähne kurz bevor wir die Türen erreicht haben. Während ich mir die Hand vor den Mund halte, ist Marvel dabei mich hochzuheben. Wie am Abend zuvor wünscht er mir eine gute Nacht und küsst mich und mir fällt auch, dass es so nur noch morgen sein wird und ab übermorgen wir diesen Gang nicht mehr entlang laufen und nicht mehr abends in unsere gemütlichen Betten fallen können. „Gute Nacht", sage ich während er mich wieder runter lässt. Er lächelt ein letztes Mal bevor er hinter seiner Tür verschwindet. Kurz bevor ich meine Tür ebenfalls schließe, höre ich wie er sich wie ein Sack Wasser aufs Bett fallen lässt.

ᴍɪʟʟɪᴏɴ ᴅᴏʟʟᴀʀ ᴄᴏᴜᴘʟᴇ ⏤ the hunger gamesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt