Die Vergangenheit

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Es war nicht die erste Nacht, die die beiden draußen verbrachten. Aber diese war anders, unterschied sich von den vorherigen und war besonders. Sie saßen einfach zusammen und schauten auf den See. Albus war der erste der zauberte; er erschuf einen kleinen Vogel aus den Blättern, die überall um sie herum verstreut lagen. Der Vogel öffnete seine winzigen Schwingen und flog eine Runde über den See. Albus ließ den Zauberstab sinken und sah dem Vogel hinterher; er musste den Zauber nicht aufrecht erhalten, denn die Blätter hatten von ihm genug Magie bekommen, um selbst zu fliegen. Dennoch wurden sie von ihm weiterhin kontrolliert. Kurz bevor der Vogel sich in den See stürzen wollte, kam ein neuer, größerer Vogel ebenfalls aus Blättern hinzu und hielt ihn davon ab; Gellert hatte ihn erschaffen. Jetzt zogen sie zu zweit ihre Runden über den See und verfolgten sich oder griffen sich spielerisch in der Luft an. Albus und Gellert erschufen immer neue Vögel und lachten dabei, bis irgendwann ein Schwarm über ihren Köpfen herumschwirrte. Dabei zauberte Albus mit der linken und Gellert mit der rechten Hand. Ihre jeweils andere Hand hatten sie zwischen sich auf den Baumstamm gelegt, nur Zentimeter von einander entfernt. Die beiden wussten, dass der jeweils andere immer wieder ein kleines Stück mit seiner Hand zum anderen rutschte. Die Vögel über ihnen sah wunderschön aus. Auch wenn es ein ziemliches durcheinander war, sah es beeindruckend aus, wie die kleinen Kreaturen sich umkreisten, angriffen, aber niemals verletzten. Das Licht des Mondes ließ jeden Vogel anders erscheinen, in anderen Braun-, Grün- und Rottönen durch den Himmel fliegen und doch waren sie alle gleich. Irgendwann konnte Albus die Wärme der neben sich liegenden Hand spüren. Er überbrückte die letzten Millimeter zwischen ihnen und legte seine Hand auf die von Gellert. Im selben Moment, stoppten die kleinen Gestalten aus Blättern scheinbar in der Luft, so langsam flogen sie und umkreisten sich. Zusammen wurden sie zu einer großen Spirale, die atemberaubend schön im Mondlicht ihre Bahnen zogen. Er hatte erwartet, dass Gellert ihm seine Hand entziehen würde, oder aber seine Vögel abstürzen würden, weil ihr Erschaffer abgelenkt war; nicht jedoch dieses wundersame Schauspiel. Albus wurde schwindelig bei diesem Anblick, was wohl auch daran lag, dass Gellert nun seine Hand in die eigene nahm und ihm Mondlicht drehte, als würde er Albus' Finger untersuchen wollen. Er hob ihre Hände an seinen Mund und küsste jeden einzelnen von Albus' Fingerknöcheln, nur um ihm danach in die Augen zu schauen und zu lächeln, wie Albus noch nie jemanden hatte lächeln sehen. Gellert machte den Eindruck, als wäre er der glücklichste Junge der Welt, im Frieden mit sich und allem und im Besitz des kostbarsten, was es für ihn gab.
Albus wusste nicht was er tun sollte, er konnte nur in die braunen Augen vor sich schauen. Er war nie zuvor in solch einer Situation gewesen; in seiner Schulzeit konzentrierte er sich auf seine Studien und lernte fleißig. Er hätte sich sowieso nicht mit der Liebe beschäftigen können. Für ihn war klar, dass er sich zu seinem eigenen Geschlecht hingezogen fühlte und doch sprach er nie darüber. Sowas galt damals als Schmach für den Zauberer selbst und seine Familie, war sogar beinahe schlimmer als von Muggeln abzustammen.
Und doch saß er hier auf diesem Baumstamm, mitten in der Nacht und schaute in die Augen, die ihm so vertraut erschienen. Er lehnte sich nach vorne, im selben Moment in dem Gellert sich zu ihm beugte und ihre Münder waren nur noch Millimeter voneinander entfernt. Keiner der beiden bewegte sich, sie verharrten in dieser Pose und sahen sich unter halb geschlossenen Lidern weiterhin an. Gellert begann zu grinsen, ein schelmisches kleines Grinsen, das auch Albus dazu veranlasste zu grinsen. Schließlich beugten sich wieder beide gleichzeitig zueinander und ihre Lippen trafen aufeinander. Kaum einen Moment später stürzten all ihrer kleinen Vögel ab, denn ihre Erschaffer konnten sich nun nicht mehr genug konzentrieren, um sie in der Luft zu halten. Es gab nur noch sie beide, auf einem Baumstamm am See, umringt vom leisen Plätschern des Wassers und Rauschen der Baumkronen über ihnen.
Der Kuss war aufregend, langsam und aufreibend, ungeübt und doch gekonnt, als hätten sie das hier schon ihr ganzes Leben lang gemacht. Es war so echt.

Minerva kommt zurück in die Halle und reißt ihn damit unsanft aus der Vergangenheit zurück in die Gegenwart. Die neue Couch nimmt sie mit einem leisen Murren zur Kenntnis, sagt aber nichts weiter und setzt sich zu Albus. Dankbar nimmt sie das Glas Feuerwhisky entgegen, das er ihr entgegenhält und nimmt einen Großzügigen Schluck.
"Ich hab die Briefe abgeschickt. Ich habe einen an Mutter und einen an Dougal geschrieben", erklärt sie, als sie Albus' fragenden Blick sieht. Als er sie weiterhin fragend ansieht, fährt sie fort: "Meiner Mutter habe ich geschrieben, dass ich doch nocheinmal zurück gekommen bin, weil ich etwas vergessen habe. Und ihm habe ich geschrieben, dass ich doch gerne mit ihm sprechen würde und ob er mir meine vorzeitige Flucht verzeihen kann."
"Ich muss sagen, ich bin wirklich stolz auf dich Minerva", sagt Albus mit einem winzigen Lächeln auf den Lippen, "ich weißt nicht, ob ich so etwas geschafft hätte."
"Naja, das werden wir ja bald sehen, nicht wahr? Und fang jetzt bitte nicht wieder mit einem anderen Thema an. Wir haben noch genug Zeit um über Merlin und die Welt zu sprechen", sagt sie mit bittendem Unterton.
"Du fliegst nicht heute zurück, oder? Du hast den beiden geschrieben du würdest in ein paar Tagen kommen", stellt Albus nüchtern fest und obwohl ihm nicht danach zumute ist, muss er lachen. Auch Minerva fängt an zu lachen, doch die freudige Stimmung hält nicht lange.
Sie ergreift als erste wieder das Wort: "Also, Albus, was machst du? Besuchst du ihn?"
Er seufzt. So oft an einem Tag seufzt er eigentlich nur, wenn er Prüfungen korrigieren muss. 
Minerva sieht ihn einfach nur an, mit einem Gesichtsausdruck der Mitleid und Verständnis zugleich zeigt. Sie nimmt seine Hand in die ihre und drückt diese. Die kleine Geste treibt ihm die Tränen in die Augen. Denn selbst wenn die beiden nach außen einfach nur wie Kollegen scheinen, verbindet sie doch eine tiefe und innige Freundschaft. Schon als Albus Minerva unterrichtete, erkannte er das Potential in ihr und versuchte sie zu fördern. Sie nahm diese Hilfe dankbar an und erkannte in ihm einen Mentor. Dies führte zum Beispiel auch dazu, dass er ihr half, die Verwandlung in einen Animagus durchzustehen. Oft, öfter als er sich eingestehen will, saßen sie in diesem einen Monat zusammen und sprachen über die kommende Verwandlung, ihre Angst, dass sie sie nicht schaffen würde und auch über die Tierform, die sie würde annehmen wollen.
Und als sie dann schließlich zurück nach Hogwarts kam um zu Unterrichten, wurden seine Tage etwas heller und leichter.
"Ich habe Angst", sagt Albus mit leiser, brüchiger Stimme.
"Aber wovor Albus?", fragt sie mit traurigem Gesicht und drückt seine Hand noch fester. Seine Antwort besteht aus nur einem Wort: "Ariana."
Nun laufen ihm die Tränen in kleinen Flüssen über das Gesicht.

Dumbledore's TrauerWhere stories live. Discover now