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10.03.2013

Liebes Tagebuch,
heute war ich den ganzen Tag mit Luhan unterwegs.
Ich zeigte ihm das erste Mal, wo und wie ich wohnte.
Er schien ziemlich begeistert von meinem großen Zimmer mit den kleinen, blauen Spielzeugsautos auf den Regalen und meinem riesigen Doppelbett, worauf er bestimmt 10 Mal passte.

Wie ein kleines Kind rannte und begutachtete er mein Zimmer mit offenem Mund und süßen Kulleraugen aufgesetzt.
Meine Eltern waren sogar noch so lieb und luden den Chinesen zum Abendessen ein, dadurch ergänzte sich der Tag perfekt.
Ich hatte wirklich viel Spaß und Luhan konnte mich durchgängig von schlechten Gedanken ablenken, bis dahin wusste ich nicht Mal, dass dies eine Person schaffen könnte.

Er wollte ganz alleine im Dunkeln Nachhause rennen, doch das konnte ich nicht einfach zulassen. Ich mache mir ernsthafte Sorgen um ihn, die Welt da draußen ist gefährlich.

,,Warte Lu", funkte ich deshalb im letzten Moment noch dazwischen, als der Chinese soeben das Haus mit dünner Jacke verlassen wollte.
,,Ich komme mit!"
Schnell griff ich nach meinem Schlüssel und warf mir eine Jacke über.
Zu meinen Eltern sagte ich nichts mehr.
Wieso sollte ich denen sowas verständliches erklären?
Ich war alt genug, um selbst zu reagieren und brauchte keine Eltern, die mich vielleicht davon abhalten würden.

Bevor mir Luhan widersprechen konnte, umschlang ich sein Handgelenk und schliff ihn aus der Tür, über die Türschwelle bis nach draußen.
Die Sterne erleuchteten hell in dieser klaren Nacht.
Kein einziger Wolkenfetzen zog über den Himmel hinweg.
Wir schauten beide nicht mehr hinter uns, Luhan wusste genau, dass ich Angst vor der Dunkelheit hatte.
Dennoch wollte ich für ihn den Starken spielen und ihn beschützen, auch wenn ich erst misstrauisch war.

,,Ich bin für dich da", flüsterte ich und blickte ihm kurz in seine kastanienbraunen Augen, die für einen Moment aufleuchteten.
Heller als die hellsten Sterne am Himmel.

Vorsichtig versuchte ich nach seiner Hand zu greifen und unsere Finger miteinander zu verschränken, was mich unbewusst lächeln ließ.

Mit kleinen Schritten liefen wir vorwärts, mit Luhans Hand fest in meiner.
,,Es ist dunkel"
Bestätigend nickte ich, wollte nicht der Schwache sein.
Stark wirken für Lulu. Ich muss den Helden spielen, dieses eine Mal, für Lulu.
,,Ich weiß", hauchte ich zaghaft, ,,Und ich beschütze dich"

Meine Schritte vergrößerten und verschnellerten sich langsam, sodass Luhan es gar nicht bemerken konnte.
Innerlich baute sich Angst in mir auf, da ich diesen ganzen Weg noch zurücklaufen musste, und das alleine.
Immer näher drückte ich Luhan am mich, vielleicht auch wegen meinen eigenen Ängsten, die mich immer mehr plagten und mein Gehirn abschalteten.

Mein Herz schlug immer wilder, höher, schneller.
Mein Puls verdoppelte sich und auch mein Körper begann sich zu wehren.

Endlich kam ich vor seiner Haustür an, weshalb er sich in meine Richtung drehte und tief in meine Augen blickte.
Für diese Zeit wurde es unfassbar ruhig, meine Hand ließ er gar nicht mehr los.
Wir sahen uns nur gegenseitig an und musterten die Schönheit des jeweils anderen - wenn man das so sagen durfte. -

Mit seinem Daumen strich er über meinen Handrücken und lächelte leicht.
Das Lächeln glich eindeutig dem seiner Mutter, sie hatten beide wirklich so viel Ähnlichkeit miteinander, beinahe unnormal.

Ich merkte, wie er mir näher kam, dachte mir rein gar nichts dabei, sondern drückte nur fester seine Hand.
Einige, winzigkleine Blitze schossen durch meinen Körper, sobald er meine Taille berührte und seinen Kopf auf meiner Schulter ablegte.
Scharf zog ich die Luft ein, hinterfragte meine eigene Reaktion.
Ich hoffte nur, dass es normal sei und beließ es dabei.

,,Wir sehen uns Morgen, Hunnie"
Sobald er mich mit diesem Spitznamen betitelte, wurde mir ganz warm an jeder einzelnen Körperstelle, die an mir existierte.
,,Ich hoffe doch", säuselte ich mit erröteten Wangen und drückte den Kleineren etwas näher an mich.
Je mehr ich mich von ihm distanzierte, desto kälter wurde mir urplötzlich.
Mein Körper verlor jegliche Lust und verhielt sich wie ein einfacher Stein.
Noch schlimmer wurde es, als ich Luhan gar nicht mehr vor Augen hatte, sondern längst in die nächste, dunkle Straße einbog.

Möglicherweise hatte ich mich schon so sehr an den Knaben gewöhnt und fühlte mich deshalb jetzt so allein.
Und natürlich schob ich mein Verhalten teilweise auf meine Ängste, die mich bereits zuhause erwarteten, um mich wieder komplett zu zerstören und zu schädigen.

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714 Wörter

Thanatophobie || HunhanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt