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Er hatte mich einfach geküsst, und war danach genauso schnell wieder weg wie er gekommen war.

Und seit dem ging er mir einfach nicht mehr aus dem Kopf.

Hatte er das ernst gemeint? Oder war er nur siegestrunken, nachdem seine Football Mannschaft eines der wichtigsten Zwischenspiele  gewonnen hatte?

Sie sollte sich beeilen, wenn sie ihn noch erwischen wollte. Lisa hoffte er könnte ihr das mit dem Kuss erklären.

Das grelle Licht des Korridors blendet ihre Augen, doch sie gewöhnten sich eben so schnell wieder daran.
Zielstrebig steuerte sie ihren Spind an, wo sie die Sachen, welche sie für Zuhause nicht brauchte abladen würde.

Seitdem hatte ich nichts mehr von ihm gehört. Er hat nicht angerufen, mir noch nicht mal eine Nachricht hinterlassen.

Das einzige Mal, dass sie ihn heute gesehen hatte, war als er in den Saal gekommen ist, um der Klasse die nächsten Vorbereitungen für die Abschließenden Tests zu erläutern.

Nächstes Jahr würde sie aufs College gehen, würde dann endlich von ihrem Vater ernst genommen werden- sollte sie bestehen.

In Gedanken ging sie nochmal seinen kurzen Vortrag durch. Hatte er sich ihr gegenüber irgendwie besonders verhalten? Ihr in irgendeiner Art und Weise besonders Aufmerksamkeit geschenkt? Ihr irgendein Zeichen gegeben? Eines, das außer ihr niemand verstehen würde?

Freitag. Wie weich seine Lippen gewesen sind.

Wie er seinen Arm um ihre Hüfte gelegt hatte und den Kopf zu ihr hinunter gebeugt hatte. „Du bist so großartig." Fast hörte sie ihn wieder flüstern, und das wohlige Gefühl, das erneut in ihr aufkommt, lässt sie erschaudern.

Doch jetzt durfte sie nicht träumen, musste sich beeilen.

Mit einer geübten Geste fischte sie den Schlüssel aus ihrer Tasche und schloss auf. Zog nach einem kurzen überfliegen der Bücher ein paar heraus und warf sie in den Spind, knallte die Tür zu und läuft zu den großen Eingangstüren.

Ob er wohl auf sie gewartet hatte?

Sie stößt die Tür auf. Mit einem Ziehen im Magen schaut sie sich auf dem Pausenhof um um. Die Schule liegt mittlerweile so gut wie verlassen vor ihr, die schmalen, quadratischen Kippfenster lagen wie dunkle Augen in dem hellen Grau des Betons.

Er hat nicht auf sie gewartet. Natürlich nicht.

Allein ihr Fahrrad stand in dem unbedachten Ständer, wie ein treuer Gaul. Vielleicht etwas abgegriffen, aber zumindest ein treuer Gefährte.

Wie sollte sie nun herausfinden ob er sie eben nur aus Siegeslaune heraus geküsst hatte?

Zermürbt seufzte Lisa auf und machte sich daran ihre Tasche auf den Fahrradträger zu befestigen.

Wieso hatte ihre Physik Lehrerin sie ausgerechnet heute nochmal nach der Stunde zu sich kommen lassen? Lisa war sich ja durchaus bewusst, dass Physik nicht gerade ihr bestes Fach war.

Plötzlich hörte sie Joy's Lachen. Es klang künstlich. Als würde sie besonders laut über etwas lachen, was sie überhaupt nicht witzig fand. Für wen sie sich bloß so ins Zeug legte?

Lisa beschleunigte ihren Schritt, blieb dann jedoch wie versteinerte stehen. Joy lehnte an der weißen Wand hinter dem Schulgebäude. Neben ihr stand BamBam, redete auf sie ein, stark gestikulierend.

Joy und BamBam?

Was hatte sie sich nur eingebildet? Nur weil sie die beste von allen Cheerleadern war? Weil sie sogar einen Soloteil bekommen hatte- auch wenn sie erst vor kurzem in den den Verein eingetreten war? Weil er sie angelächelt hat, während sie ihn angefeuert hat?

Und der Kuss?

Anscheinend hatte er für BamBam eine andere Bedeutung als für sie.

Oder auch nicht- für ihn hatte er gar keine Bedeutung.

Mit hochroten Wangen musterte sie die Beiden. Wie gut sie doch zusammen passten.

BamBam's durchtrainierter Körper, der unter dem weißen T-Shirt deutlich zur Schau gestellt wurde. Joy's Traumfigur, ihre makellose Haut.

Dagegen war sie nichts.

Joy lehnte an der Mauer, aber auch ohne ihr Gesicht zu sehen, wusste sich, dass sich ihre puppengroßen braunen Augen schier an BamBam's Gesicht festsaugen würden.

Sie drehte sich um, wollte zu ihrem Fahrrad zurück gehen und einfach wegfahren. Wollte die Vertrautheit der Beiden nicht mehr spüren.

Als sie plötzlich schnelle, leichte Schritte hinter sich hörte. BamBam?
Konzentriert richtete sie ihren Blick weiter gerade aus- Bloß nicht umdrehen.

Eine Hand berührte sie an der Schulter.

„Wo gehst du denn hin? Ich hab Joy gerade nach dir gefragt."

Als wäre es das selbstverständlichste der Welt legte er seinen Arm um sie.

Lisa erschauderte.

Das war genau das was sie sich so sehr herbei gesehnt hatte. Sein Arm um ihre Hüfte.

In all ihren Vorstellungen, Tagträumen hatte sie sich an ihn geschmiegt, doch jetzt verspannte sie sich. War in seinen Armen wie ein Stock, steif- und unfähig ihm zu antworten.

Er hatte auf sie gewartet, seinen Arm um sie gelegt- vor Joy.

Lisa wirft verstohlen einen Blick zu ihr und erschrickt kurz. Ihre Augen sind zu schlitzen verengt und die Luft zwischen ihnen scheint wie elektrisiert.

Doch BamBam schien das nicht zu bemerken, Joy schier vergessen zu haben.
Stattdessen beugte er sich zu ihr herunter: „Alles in Ordnung?"

„Ich wusste nicht, dass du auf mich wartest.." brachte sie schließlich hervor.

„Ich hatte gehofft noch ein bisschen Zeit mit dir verbringen zu können..."

Sunrise // Jenlisa Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt