Zwölf

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Kaum wurde es Abend, verflog all ihr Kummer. Amani konnte es immer noch nicht glauben. Lucian hatte sie um eine Verabredung gebeten! Vielleicht mochte er sie auch so wie sie ihn. Zumindest war sie sich inzwischen sicher, dass sie ihn sehr mochte.

Einen Moment musste sie an Jessicas Worte denken. 

Vielleicht findest du dort auch deinen Traumprinzen, der dir einen Ausweg aus diesem Leben ermöglicht.

Letztlich war es doch egal, was sich zwischen ihr und Lucian entwickelte. Niemand konnte sie von ihrem Schicksal befreien. Nach achtzehn Jahren hatte Amani es aufgegeben, krampfhaft nach einem Wunder zu suchen. 

Ihre Mutter war tot, genauso wie ihr Vater. Übrig geblieben war eine furchtbare Stieffamilie und eine Arbeit, die ihr alle Hoffnungen und Wünsche austrieb.

Seufzend holte sie eine schwarze Jeans und ein rot-weiß gestreiftes Shirt aus ihrem Schrank. Sie konnte nur hoffen, dass Lucian nichts allzu Schickes geplant hatte.

Sie besaß keine Kleider, Röcke oder Make-up. Und das brauchte sie alles auch nicht. Es war unpraktisch und teuer.

Mit einem Lächeln im Gesicht verließ sie die Villa und ging zum Place Andre Malraux. Lucian saß wie beim letzten Mal am Brunnenrand.

Er hatte sich auch nicht sehr audgebrezelt. Eine Jeans, ein weißes Shirt und eine braune Jacke. So gefiel er ihr. Charmant aber nicht hochgesteckt. "Hey.", begrüßte er sie grinsend. "Hi." Er bot ihr seinen Arm zum Unterhaken an.

"Du siehst wirklich toll aus, aider l'ange." Missmutig betrachtete Amani ihren alten Mantel. Erst als sie den Kopf wieder hob, wurde er bewusst, dass er ihr Gesicht und ihre Augen gemeint hatte. "Danke, du siehst aber auch nicht schlecht aus. Wo gehen wir hin?"

Sein Grinsen wurde breiter. "Lass dich überraschen."

Zu Fuß schlenderten sie ein kleines Lokal in einer engen Straße. Hier war kaum etwas los, aber das Restaurant war absolut zauberhaft. Überall hingen Lichterketten und die Tische waren mit karierten Decken überzogen. Aus einem Vintage-Radio drang leise Musik.

"Und?", fragte Lucian, nach dem sie sich an einen Tisch in der Ecke gesetzt hatten. "Es ist wunderschön hier.", schwärmte sie wahrheitsgemäß.

Der Kellner brachte die Karten. Nachdem sie bestellt hatten, grinste Amani zu Lucian hinüber. "Also, die Musik. Ist das was Ernstes oder ein Hobby." "Leider nur ein Hobby."

"Was meinst du?" Lucian lächelte traurig. "Ich muss mich um die Familiengeschäfte kümmern. Mir bleiben nur noch diese Tage, an denen ich am Place Andre Malraux sitze und spiele. Das ist momentan mein ganzes Leben."

Eher sie genauer darauf eingehen konnte, lächelte er aufmunternd. "Aber das lässt sich nunmal nicht ändern. Was ist mit dir? Ist das Studium das was du willst, aider l'ange?"

Sag es ihm! Das ist der perfekte Moment! Du darfst das alles nicht mit einer Lüge beginnen!

"Ja, ich denke schon. Im Moment jedenfalls. Vielleicht bringt das Leben in fünf Jahren etwas anderes?" "Du versuchst das Leben zu genießen, tust dir aber ein bisschen schwer damit. Nicht wahr, aider l'ange?"

Sie musste schwach lächeln. "Ist das so offensichtlich?" Sein Gesichtsausdruck wurde ernst. "Etwas beschäftigt dich jetzt schon seit Jahren." Amani schluckte schwer.

"Meine ... Eltern sind beide tot. Danach bin ich an eine Stieffamilie geraten, die ... mir das Leben nicht gerade leicht macht." "Das tut mir leid." Sie schüttelte den Kopf, als könne sie ihre Gedanken so vertreiben.

"Muss es nicht. Das Leben ist nun mal, wie es ist. Lass uns über was Fröhlicheres reden."

Den restlichen Abend sprachen sie nur noch über Paris, Musik und machten ein paar Witze. Es tat so gut mit Lucian zu lachen, dass Amani gar nicht mehr wusste, wann sie zuletzt so glücklich gewesen war.

Nach dem Essen gingen sie eine Weile spazieren. Es fühlte sich so ... normal und gut an, dass Amani nicht bemerkte, dass sie über eine Stunde unterwegs waren. Erst, als sie vor dem hell beleuchteten Eiffelturm standen, musste sie lachen.

"Wow, wenn ich nicht bald zurück gehe, dann verbringen wir noch die ganze Nacht damit, durch Paris zu schlendern." Er lehnte sich etwas zu ihr vor, bis seine Lippen fast ihre Haare berührten. "Und was wäre falsch daran?"

Grinsend schaute sie zu ihm. "Dass ich das schön finden würde, aber ich hab morgen viel Arbeit vor mir." Er schmunzelte. "Dann müssen wir das sobald wie möglich nachholen.", raunte er.

"Nichts lieber als das.", flüsterte sie. Er sah sie so liebevoll an, dass sie einen Moment lang dachte, er würde sie küssen. 

Ein klingelndes Handy zerstörte den Augenblick. Sein Handy. Er warf ihr einen entschuldigten und enttäuschten Blick zu, eher er es aus der Hosentasche zog und ran ging. 

Nach ein paar Sekunden der Stille, nahm sein Gesicht einen panischen Ausdruck an. Er drehte sich weg und sie hörte nur einzelne Begriffe wie "Was!?" und "Gleich da" und "Sorge". 

Nachdem er aufgelegt hatte, drückte sie sanft seine Hand. "Alles in Ordnung?" Lucian schüttelte den Kopf. "Mein Cousin hatte einen Motorrad-Unfall. Ich ... ich bin für ihn verantwortlich. Tut mir leid ... ich ... muss..." 

Er sah ehrlich aufgewühlt aus. 

"Schon gut. Soll ich dich begleiten?" "Du hast genug Arbeit. Sehen wir uns morgen?"

"Ja." Mehr brachte sie nicht heraus. Und mehr musste sie auch nicht sagen.

Er küsste sie hastig aber bestimmt auf die Wange. 

"Dann bis morgen.", murmelte er, bevor er in Richtung Metro verschwand.

Aschenputtel (Märchenadaption)Where stories live. Discover now