Niemand widerspricht Mommy Holmes

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Es begann wie so viele Geschichten in diesem Fandom.

Mycroft Holmes hatte in seinem Büro gesessen, kurz nach Ende des einen und ebenso kurz vor Beginn des nächsten, nervtötenden Meetings.
Und genau da war der Anruf gekommen.
Mommy Holmes war es gewesen. Sie hatte Mycroft und Sherlock zum Sonntagsbraten gebeten (nun, gebeten war vielleicht nicht das richtige Wort ...) und Mycroft hatte nicht widersprechen können. Niemand widerspricht Mommy.

Und damit nicht genug.
Wieder einmal hatte sie sich sehr sehr eindringlich darüber geäußert, wie schade es doch sei, dass weder Mycroft noch Sherlock bisher jemanden hatten, denen sie ihr Herz schenken würden ...
Das wäre doch eine Schande ...
Und was Mycroft denn davon halten würde, wenn sie noch jemanden einladen würde ... die Tochter von den McCarsons, erinnerte er sich? Ja? Also die wäre zufällig in der Stadt, und ihre jüngere Schwester auch, beides sehr nette Frauen, und das wäre doch ...

Das war der Moment gewesen, wo es Mycroft gereicht hatte und er hatte sie regelrecht angefahren, das wäre ja wohl nicht nötig, Herrgott noch mal, sie wisse doch nun wirklich genau, dass sowohl er als auch Sherlock kein Interesse an Frauen hätten, tja, und außerdem hätten sie beide da jemanden, den sie daten würden ... doch, doch, das könne sie ruhig glauben ...

Und Mommy hatte die Chance beim Schopfe ergriffen. Er hätte es wissen müssen. Verflixt.
So so, sie hätten also beide jemanden ... na das wäre sehr erfreulich, und sie würde sich glücklich schätzen, die beiden am Sonntag kennenzulernen, es wäre also ausgemacht. Nein, nein, keine Widerrede. Niemand widerspricht Mommy Holmes.

Da hatte er nun gestanden mit seinem Mundwerk und hatte überlegt, was er nun tun solle.
Nun, zuerst einmal hatte er Sherlock seinen Faux Pas gebeichtet. Der hatte die üblichen bissigen Bemerkungen da gelassen und hatte dann gesagt:
„Ich werde John bitten, Mommy gemeinsam mit mir eine romantische Beziehung vorzuspielen. Ich bin sicher, er lässt mich nicht hängen."
Und richtig. John Watson, der sich bisher noch in jedes Abenteuer, das Sherlock ihm zu bieten gehabt hatte, kopfüber hineingestürzt hatte, hatte auch diesmal nicht gezögert, und da er nicht nur ein abenteuerlustiger, sondern auch ein kluger Mann war, hatte er noch ein paar Vorteile für sich dabei herausgeschlagen. So etwas wie keine unverpackten Leichenteile mehr im Kühlschrank und keine Quälerei der armen Violine mitten in der Nacht. Nun, zumindest für die nächsten paar Wochen.

Für Mycroft war die ganze Angelegenheit schwieriger gewesen.
Wen, zum Teufel, sollte er bitten? Er konnte nicht zu irgendeinem Untergebenen gehen und sagen:
„Würden Sie bitte am kommenden Wochenende eine Beziehung mit mir vortäuschen, um meine Mutter zufriedenzustellen?"
Da konnte er sich die Erpresserbriefe auch gleich selber schreiben und als kostenlosen Download zur Verfügung stellen.
Und Anthea, die einzige, der er mit so etwas hätte kommen können, ohne sich zu exponieren, kam nicht in Frage. Das hatte er sich selbst verdorben, indem er deutlich klar gemacht hatte, nicht an Frauen interessiert zu sein. Was im übrigen auch zutraf.
Nein, er brauchte jemanden anderen, und zwar jemanden, dem er vertraute.

Und dann war ein Gesicht vor seinem inneren Auge aufgetaucht.
Ein freundliches Gesicht mit diesen Schmunzelfalten um die tiefbraunen Augen. Mit diesem silbergrauen Haar. Mit diesem sinnlichen Mund ...

Und so war es dazu gekommen, dass sie nun zu viert hier im Auto saßen.
Sherlock mit John Watson auf der Rückbank.
Und er selbst vorn auf dem Fahrersitz und neben ihm saß DI Gregory Lestrade. Er hatte sich tatsächlich bereiterklärt. Der Mann, der schon lange mit Sherlock zusammenarbeitete, und dem er, Mycroft viel zu verdanken hatte. Ohne ihn wäre Sherlock vielleicht schon nicht mehr am Leben oder zumindest aufs schlimmste den Drogen verfallen.
Und darüber hinaus – nun ja, Mycroft mochte Gregory. Sehr. Schade nur, dass ...

Wie es aussah, hatten sie beide kein Händchen für die Liebe, denn Sherlock, auch wenn er das immer abstritt, war durchaus in der Lage, sich zu verlieben, und Mycroft konnte man nichts vormachen: John „I'm not gay!" Watson war für ihn mehr als nur ein guter Freund.
Er selber hatte es mit Gregory „zwanzig Jahre mit einer Frau verheiratet gewesen" Lestrade allerdings auch nicht besser getroffen.
Nun, egal, heute galt es nur darum, Mommy zu täuschen.

* * *

Mommy Holmes empfing sie alle mit großer Freude. Sie strahlte regelrecht, als ihre beiden Söhne, jeder mit einem Mann an seiner Seite, das Haus betraten. John und Greg wurden aufs herzlichste willkommen geheißen.
Anschließend saßen sie gemeinsam im Wohnzimmer und bekamen einen Drink angeboten. Und während Daddy Holmes den guten Whisky ausschenkte, ließ Mommy ihre Blicke schweifen. Ihre durchdringenden Blicke, bei denen die beiden Holmes- Jungs schon als Kinder immer gewusst hatten, dass ihre Schandtaten unweigerlich ans Tageslicht kommen würden.
Mommy Holmes entging nichts.

Es dauerte auch nur ein paar Augenblicke, bis sie aufstand und sagte:
„Mycroft, Sherlock, kommt bitte mit, ich muss mit euch reden."
Und mir ernstem Blick und strammem Schritt führte sie ihre beiden Söhne in ihr Arbeitszimmer.
Dort sah sie die beiden an und sagte:
„Es ist ja kaum zu glauben, dass ihr beide hierherkommt und wirklich und wahrhaftig glaubt, ihr könntet mich hinters Licht führen! Herr Gott noch mal, ich habe euch als Kinder niemals den Hosenboden stramm gezogen, vielleicht war das der Fehler und ich sollte genau jetzt noch damit anfangen!"
Sherlock und Mycroft sahen sich ein bisschen hilfesuchend an.
„Ernsthaft, Jungs, wer von euch steckt dahinter? Mycroft, das hast dich sicher du ausgeheckt?"
„Mommy, ich weiß nicht, was du ..."
„Verkauf mich nicht für dumm, mein Junge!"
Mycroft schwieg. Niemand widersetzt sich Mommy Holmes.

„Also Jungs. Glaubt ihr ernsthaft, ihr könnte mir etwas vormachen? Ich würde nicht bemerken, dass diese beiden so netten jungen Männer nicht eure Partner sind? Dass ihr versucht, mir vorzugaukeln, dass ihr in Beziehungen mit ihnen seid, nur damit ich euch nicht versuche, zu verkuppeln?"
Beide Männer schauten verlegen zu Boden.
„Und glaubt ihr ernsthaft, ich würde darüber hinaus nicht mitbekommen, dass ihr mit ihnen zwar in keiner Beziehung seit, es aber beide gerne wäret?!"
Jetzt verschluckte sich Sherlock und musste husten. Mycroft dagegen sagte gequält: „Mutter!"

Mommy jedoch war nicht aufzuhalten.
„Mycroft, ich sehe doch, wie du Gregory anschaust. Du willst ihn. Und dass du, Sherlock, in Dr. Watson schon lange gern mehr als einen Mitbewohner hättest, ist kein Geheimnis, darüber ist sich wohl jeder klar außer den betreffenden selber."
Sie schüttelte ihren Kopf.
„Ich hätte nicht gedacht, dass meine beiden Söhne solche Dummköpfe sind."
„Mommy!" Diesmal riefen sie es alle beide.

„Und das dümmste an der ganzen Sache ist", sagte Mommy, „dass ihr nicht mal bemerkt, dass die beiden Objekte eurer Begierde euch genau so gerne als Partner hätten!"
„Was?!", jappste Mycroft während Sherlock knallrot anrief und sagte:
„Das kann nicht sein. John ist nicht ... schwul."
Mommy schüttelte voller Verzweiflung den Kopf.
„Mein lieber Junge, dass es auf dem Gebiet der menschlichen Sexualität weit mehr gibt als nur schwarz und weiß sollte doch nun auch dir klar sein!"
Und an Mycroft gewandt:
„Das gilt auch für dich! Was denkst du denn, warum Gregory das hier mitmacht? Sich als dein Freund auszugeben? Man sieht, wie er an deinen Lippen hängt und jede deiner Bewegungen mit Argusaugen verfolgt!"

Sie stemmte die Arme in die Hüften.
„Also. Ihr beide, ihr geht jetzt zurück ins Wohnzimmer. Und dann schnappt ihr euch jeder euren Mann. Und dann führt ihr sie an einen ruhigen Ort ... du Sherlock gehst mit John in den Wintergarten und du, Mycroft, mit Gregory in die Pergola im Garten. Und dann macht ihr die Sache klar. Und wenn wir nachher am Tisch sitzen, dann will ich da vier glückliche Männer sehen mit lächelnden Augen und scheuen ersten Küssen. Ist das klar!!?"

Mycroft konnte nicht anders, er musste schmunzeln.
Sherlock versuchte, beleidigt dreinzuschauen, aber es gelang ihm nicht, und auch auf seinen Gesichtszügen machte sich ein Grinsen breit.

Und so kam es, dass bei der Heimfahrt an diesem Sonntag zwei verliebte Paare im Auto saßen, das eine händchenhaltend, und das andere nur deshalb nicht, weil Mycroft ja immerhin das Steuer in der Hand hielt.
Es war erst der Anfang und bei allen beiden Paaren gipfelte es in einer langjährigen glücklich Ehe.

Und das alle nur, weil Mommy Holmes niemand hinters Licht führen kann.

Und außerdem:
Niemand widerspricht Mommy Holmes!

Sherlock BBC One-shotsOù les histoires vivent. Découvrez maintenant