Kapitel 1 - Flo

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Schwester Aylin klopfte mit dem Knöchel gegen den Türrahmen, um Flos und Naomis Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Naomi grinste, zupfte den Kragen von Flos Jacke zurecht und nickte einmal.

„Kann's losgehen?", fragte Aylin schmunzelnd.

Flo stützte sich am Bettgestell ab und drehte sich zu ihr um. Sie hatte bereits ihre Ausgehsachen an und wirkte ganz anders, ohne den weißen Kittel und die Crocs. Aber Flo sah bestimmt - hoffentlich - auch anders aus als sonst, so mit Lederjacke und Jeans. Zumindest fühlte er sich anders.

„Auf jeden", sagte Flo grinsend und hüpfte zur Tür, wo sein Rollstuhl bereits auf ihn wartete.

„Du siehst sehr schick aus", merkte Aylin an, als sie Flo den Gang entlangkutschierte, in Richtung der Fahrstühle.

„Schick?", wiederholte Flo gespielt beleidigt. „Mann, dabei wollte ich doch zum Umfallen cool aussehen! Aylin!"

Sie lachte, das war gut. Er mochte ihr Lachen.

„Danke, dass du das mitmachst", sagte er, als sie im Fahrstuhl angekommen waren.

Sie winkte ab. „Ist ja schließlich nicht jeden Tag, dass man die Chance kriegt, auf ein Vince d'Amico Konzert zu gehen."

Ob sie Vince d'Amico tatsächlich toll fand oder nur ihm zuliebe mitkam, das wusste Flo nicht so genau, aber dankbar war er auf jeden Fall. Er war jetzt schon so lange im Krankenhaus, dass die Welt außerhalb ihm ganz fremd vorkam. Ob sich viel verändert hatte? Vermutlich nicht. Es fühlte sich nur einfach so an, als wäre alles bunter und größer und intensiver.

„Lass mich dir auf jeden Fall einen Drink kaufen. Als Dankeschön", sagte Flo in der Tiefgarage, wo er auf seinem Bein an die Beifahrertür gelehnt wartete, bis Aylin den Rollstuhl zusammengeklappt und in den Kofferraum gepackt hatte.

Sie schaute auf. „Keine Drinks!" Da war sie wieder, die energische Schwester Aylin, die er so gut kannte. „Du bist immer noch Patient, du Vogel."

Flo seufzte. Das hatte er erwartet. „Aber Aylin", nörgelte er trotzdem. „Ich komme doch sonst nie raus! Bittebittebitte."

Sie machte die Kofferraumklappe zu und schüttelte den Kopf. „Weißt du was? Wenn Vince d'Amico dich auf ein Bier einlädt, dann erlaube ich es dir."

Flo überschlug seine Chancen, Vince d'Amico mit dem Backstagepass in seiner Tasche tatsächlich über den Weg zu laufen - äh, fahren -, ihn anzusprechen und auf die Sache mit dem Bier zu kommen - hoffentlich gab es da überhaupt Bier zu kaufen - und grinste. „Deal!"

Aylin parkte auf einem Behindertenparkplatz ganz nah am Eingang. Flo wartete ungeduldig auf seinen Rollstuhl und sog alles in sich auf.

„Die Luft ist so anders", sagte er. „Kein Desinfektionsmittel, kein Krankenhausessen. Merkst du das, Aylin?"

Aylin seufzte schwer. „Du weißt schon, dass ich jeden Abend nach Hause fahre und außerhalb des Krankenhauses ein Leben habe, oder?"

In ihrer Stimme war ein Lächeln, genau wie in seiner schon den ganzen Tag. „Wie unhöflich", sagte er grinsend und setzte sich in den Rollstuhl. Aylin warf ihm eine dünne Decke über den Kopf. „Musst du nicht Rücksicht auf meine zarten Gefühle nehmen oder so?"

„Du hast doch keine Gefühle", sagte sie staubtrocken.

„Hey! Hab ich wohl!"

„Ach ja?" Sie nährten sich dem Eingang. Leider war die Schlange drinnen, Flo hätte gerne noch ein bisschen mehr Zeit draußen an der frischen Luft verbracht. Aber der Einlass hatte bereits angefangen und bis er Vince d'Amico live zu Gesicht bekommen würde, dauerte es nur noch ein paar Minuten.

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