Kapitel 32

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Fassungslos starre ich in Jakobs ausdrucksloses Gesicht.

 “Keine Angst. Wir werden das nicht zulassen.”

Seine Worte schaffen es nicht, meinen Herzschlag wieder zu normalisieren.

 “Warum?”, schaffe ich es atemlos über die Lippen zu bringen.

 “Du bist die Moonmate, Tala. Es wird vorhergesagt, dass du eine neue Ordnung zwischen Wolf und Vampir herstellen wirst.”

Ungläubig wende ich den Blick ab. Die Last auf meinen Schultern ist so immens, dass ich befürchte, davon erdrückt zu werden. Mein Leben erscheint mir wie eine Abwärtsspirale und der einzige Lichtblick, der mich über Wasser hält, ist Dayton.
Ich will nicht diese Moonmate sein. Ich kann mich nicht verwandeln, noch habe ich irgendeine andere Fähigkeit und ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, das ausgerechnet ich irgendetwas bewirken oder gar verändern solle. Mein Verstand ist nicht in der Lage, den Inhalt dieser merkwürdigen Prophezeiung zu erfassen. Etwas in mir sträubt sich viel zu sehr daran zu glauben, und insgeheim wünsche und hoffe ich ganz einfach nur, dass Awan sich täuscht.
 Allerdings fühle ich mich gerade auch nicht mutig genug mit Jakob über meine Gefühle und Ängste zu sprechen. Er ist unentwegt absolut beherrscht, egal ob es um seinen Sohn oder sein Rudel geht. Daher ist es schwer, sich ihm offen anzuvertrauen.

Also sitze ich noch eine Weile recht schweigsam mit ihm am Tisch und trinke Tee, bis ich mich wieder neben Daytons Bett knie, die Arme auf seiner Matratze verschränkt, und ihn beim Schlafen beobachte, bis mir schließlich selbst vor Erschöpfung die Augen zufallen.

In dieser Nacht schlafe ich sehr unruhig.
All die Ereignisse, die in den letzten Tagen wie eisige Hagelkörner auf mich niederprasselten, verfolgen mich bis in meine Träume. Träume von einer verlassenen Hütte im Wald und wild heulenden Wölfen.
Schatten ziehen blitzschnell an mir vorbei. Ein Wechselspiel aus hell und dunkel.
Plötzlich finde ich mich selbst am Eingang zur Klinik wieder. Mein Puls rast. Ich sehe diesen Unheil versprechenden Ort aus anderen Augen, aus Augen eines Wolfs.
Durch meinen Körper fließt eine ungewohnte Kraft, eine unfassbare Energie. Eine Flut von Geräuschen und befremdlichen Gerüchen schlagen auf mich ein. Meine komplette Wahrnehmung ist geschärft.
Ich hebe den Kopf und schaue zu dem dunklen Fenster meines alten Zimmers hinauf. Es scheint noch unbewohnt zu sein.
Da schießt mir kleine Sophie durch den Kopf. Der Gedanke, dass ihr etwas zugestoßen sein könnte, dass Sophie vielleicht längst nicht mehr, das liebenswerte Mädchen sein könnte, dass sich so schnell in mein Herz geschlichen hat, quält mich.
Ich muss wissen, ob es ihr gut geht.
Ohne darüber nachzudenken, folge ich instinktiv meinem Instinkt.
Langsam schleiche ich um das Gebäude, suchend nach einer Möglichkeit unbemerkt zu Sophie zu gelangen.
Doch plötzlich geht die große Schiebetür am Haupteingang auf. Doktor Pen und Professor Green treten in die dunkle Nacht hinaus.
Eine dunkle Aura umgibt die Beiden, die ich nicht zu deuten weiß. Obwohl ihre äußere Erscheinung noch dieselbe ist, wirken sie dunkler, so düster, als würden sie im Schatten wandeln.
Ein kalter Schauer überzieht mich, gefolgt von einem heißen Brennen in meinem Magen.
Ich sollte rennen aber stehe wie versteinert da, kaum fähig zu atmen. Doctor Pens Gesicht ein ein Anflug von Unbehagen anzumerken und dann geschieht es. Ihr Blick geht direkt in meine Richtung. Ihre Augen sind leer, schauderhaft leblos, doch statt mich zu bemerken, scheint ihr Blick direkt durch mich durchzugehen, als wäre ich überhaupt nicht hier.
Meine angespannten Muskeln beben vor Aufregung.

 “Geh, Tala!”, hallt eine Stimme in meinem Kopf, “Fliehe, sonst werden sie dich bald holen. Sie wissen, wo du bist und sie wissen, wer du bist.”

Ist es Selmas Stimme?
Ist er der Klang von Doktor Penn?
Ich weiß es nicht.
 Ängstlich kneife ich die Lieder zusammen, aber als ich sie wieder öffne, bin ich nicht mehr auf dem Berg vor dem Eingang der Klinik.
Ich kauere auf dem Boden vor Daytons Bett. Meine schwitzigen Hände in sein Laken gekrallt.
Was ist hier los?
Irritiert sehe ich mich um, während ich aufgeregt nach Luft japse. Neben mir liegt eine Decke auf dem Boden, in die mich Jacob wohl gewickelt hätte, während ich schlief.
Wie kann das möglich sein?
Es war kein Traum. Nein, ich war wirklich dort. Ich habe es mir nicht eingebildet, sondern alles wirklich gesehen und gehört.
Meine Arme und Beine schmerzen fürchterlich. Mein Herz klopft unentwegt heftig gegen meine Rippen, die bei jedem tiefen Atemzug quälend brennen.
Völlig gerädert und mitgenommen versuche ich langsam aufzustehen, doch meine Beine sind nicht stark genug, sodass ich kläglich wieder zu Boden sinke. Als ich es erneut versuchen möchte, überkommt mich ein Schwindel. Schnell halte ich mich am Bettrahmen fest.
Plötzlich schlägt Dayton die Augen auf.

“Sie werden kommen.”

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