19.Kapitel

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„Mama?", hauchte Jo schwach. Sie trat ans Bett und griff nach der freien Hand ihrer Mutter.
Die Königin atmete schwer. „Ja... Sch-Schatz."
Ihre Stimme klang kraftlos und leise, aber wenigstens sprach sie. Wenigstens lebte sie.
Aquarius sah unendlich erleichtert aus, Juli sprang auf und jagte an die Seite ihrer Mutter, ebenso ihre Brüder.
Ich hielt mich im Hintergrund. Ich fühlte mich fehl am Platz, inmitten dieses innigen Familienmoments.
Also schlich ich mich aus dem Krankenzimmer und bat einen Angestellten mich zu Emmas Zimmer zu bringen.
Als ich das Zimmer betrat, saß Emma gerade auf dem Bett und las ein Buch.
Sie sah auf und strahlte mich an. „Lou, da bist du ja wieder! Wo warst du solange?"
Ausführlich erzählte ich ihr die ganze Geschichte und dass die Königin auch noch lebte.
„Wow, jetzt fühle ich mich unproduktiv, weil ich die ganze Zeit rumgelegen bin und gelesen hab.", meinte Emma. „Übrigens... Da drüben liegen deine Sachen. Haben sie dir schon gesagt, dass du jetzt hier wohnst, weil Estelle weg ist?"
Ich schüttelte den Kopf und betrachtete verwirrt die vielen Kartons, die in der Ecke standen. „Wie sind die unbemerkt an meinen Eltern vorbeigekommen und haben mein Zeug gekriegt?"
„Mit derselben Strategie wie bei jedem: Sie schleichen sich in den Zimmer fotografieren alles und stellen Kopien her. Das sind nicht wirklich all deine Sachen, sondern nur neue Kopien. Was bei vielen deiner Bücher vermutlich auch gut ist, so zerfetzt wie die teilweise waren.", erklärte Emma schmunzelnd.
Die nächsten drei Stunden half sie mir meine Sachen auszupacken und am Ende sah ich stolz durch meine Zimmerhälfte.
Die drei Bücherregale waren bis zur letzten Lücke voll und mein Kleiderschrank war dagegen relativ leer. Ich hatte noch nie viele Klamotten gebraucht.
Außerdem hatte Emma zugestimmt, dass wir meine blauen Vorhänge vor die Fenster hängten. Auf meinem Schreibtisch lagen ein Zeichenblock, Stifte und ein normaler Block und die eingerahmten Fotos von meiner Familie und Freunden standen ebenfalls darauf.
Mein Blick wanderte zu einem Bild von Leonie, Emma und mir. Ich seufzte. Leonie vermisste ich schon sehr. Und Mariella, David, Luca und meine Eltern auch.
Auf Melissa und Jessica dagegen konnte ich gut verzichten.
Es klopfte an der Tür und eine vertraute Person steckte ihren Kopf ins Zimmer: Vivian. „Ich soll euch sagen, dass es Essen gibt. Ihr wisst doch, wie ihr zum großen Speisesaal kommt, oder soll ich mitkommen?"
„Nicht nötig, ich kenne den Weg.", antwortete Emma höflich und zog mich an Vivian vorbei aus dem Raum.
Wow, ich würde mich in dem Palast wahrscheinlich niemals auskennen, aber Emma lief zielstrebig die Gänge entlang. Sie wusste genau, wo wir hin mussten.
Und tatsächlich kamen wir 5 Minuten später am Speisesaal an.
Alle Mitglieder der Königsfamilie saßen bereits am Tisch. Aquarius saß am oberen Ende. Rechts von ihm saß seine Ehefrau, die zwar noch schwach und müde aussah, aber bereits an Gesichtsfarbe gewonnen hatte.
Links von Aquarius saß Aydan, neben dem Aaron gerade mit seiner Gabel und einer Tomate Fußball spielte. Gegenüber von Aaron stocherte Aldwyn gerade in seinem Reis rum. Neben Aldwyn strahlte uns Jo entgegen, während Juli gegenüber von ihr an ihrer heißen Schokolade schlürfte.
Emma setzte sich neben Jo, also ließ ich mich auf den Stuhl gegenüber von ihr neben Juli fallen.
Die Königin räusperte sich und sah Emma und mich warm an. „Seid ihr gegen irgendwas allergisch oder mögt ihr irgendein Essen nicht? Oder dürft ihr irgendwas nicht essen, wegen irgendeiner Religion? Ihr seid zwar beide schon länger hier, aber ich bezweifle, dass mein Mann oder meine Kinder aufmerksam genug waren, euch zu fragen.", meinte sie mit einem tadelnden Seitenblick auf ihren Mann.
„Ich esse alles.", antwortete ich.
„Ich auch.", schloss Emma sich mir an.
„Wie ein Müllschlucker.", kommentierte Aydan.
Ach, das Arschloch war zurück?
„Es können ja nicht alle so eine verwöhnte Prinzessin Lillifee sein wie du, Aydan.", erwiderte die Königin scharf.
Oha, jetzt wusste ich, woher Aydan, Aaron und Juli ihre Schlagfertigkeit und scharfe Zunge hatten! Das konnte ja noch witzig werden!
Die Königin bat die Angestellten, uns auch Reis mit Meeresfrüchten zu bringen.
Zuerst beäugte ich es misstrauisch. Hier im Palast gab es schließlich schon mehrere Anschläge.
„Keine Sorge, wir haben Vorkoster.", beruhigte Juli mich leise. Sie hatte offenbar bemerkt, wie ich eine kleine Garnelle herumdrehte und musterte.
Beruhigt nahm ich einen Bissen... Oh mein Gott, das war eines der besten Gerichte, die ich je gegessen hatte.
Auf Emmas Seite war ein unterdrücktes Prusten zu hören. Als ich ihr einen Blick zuwarf, sah ich wie sie sich krampfhaft ein Lachen verkniff.
„Du siehst aus, als würdest du gleich anfangen, dass Essen anzubeten.", antwortete sie auf meinen fragenden Blick.
„Ich fang eher an, die Köche hier anzubeten.", entgegnete ich, während ihr mir die nächste Gabel Reis in den Mund schob.
Die Königin sah zufrieden zu uns rüber. „Geh ich richtig in der Annahme, dass euch das Essen schmeckt?"
„Ja, Eure Majestät.", antworteten Emma und ich synchron.
Die Königin verzog das Gesicht. „Bitte, nennt mich einfach Naima und duzt mich. Ihr seid bereits gute Freunde meiner Kinder und du, Louana, hast dabei geholfen, das Heilmittel für mich zu besorgen. Höflichkeiten sind hier fehl am Platz."
Wir nickten.
Während des Essen entstand ein lustiges Gespräch. Naima wollte alles über Emmas und mein Leben am Land unter den Menschen erfahren. Naima hatte Atlantis nämlich noch nie verlassen dürfen. Ihre Mutter war Beraterin des damaligen Königs gewesen und so war es ihr von Kindesalter an untersagt worden, Atlantis je zu verlassen. So hatte sie auch Aquarius, den damaligen Prinzen, kennen und lieben gelernt.
Die Königin hörte uns aufmerksam zu und stellte neugierig Fragen. Wir erfuhren auch viel über die Königsfamilie.
Juli war zum Beispiel nicht nur einmal von einem Wal überrollt worden, nein, sie hatte sich als Baby auch auf einen - zum Glück - ungiftigen Seeigel draufgesetzt.
Aydan dagegen hatte sich früher immer im Schloss verlaufen.
Es war schöner Abend. Doch leider fand dieser ein jähes Ende.
Plötzlich stürmte eine Wache in den Saal. Der Mann hatte die Augen weit aufgerissen und sah extrem panisch aus. „Wir werden angegriffen, Eure Majestät, Ihr müsst-"
Er verstummte, als ihn plötzlich ein Feuerpfeil von hinten traf und er zu Staub zerfiel.
Wir sprangen auf und Aquarius schob Naima schützend hinter sich.
„Oh shit.", murmelte Emma.
„Ich wusste es!", zischte Aydan. „Diesen Feuer-Elementanern kann man nicht vertrauen!"

Atlantis - Stadt des WassersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt