Kapitel 2

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Der kalte Lederbezug des Automobils ließ mich frösteln, als ich mich von der Hand des Chauffeurs löste und hinten in den Wagen einstieg. Der Staat hatte eine riesige Kolonne an Autos herangeschafft, die die heimgekehrten Soldaten sicher nach Hause bringen sollten. Neben mir saß Skay, die immer wieder neugierige Blicke auf den Beifahrersitz warf, wo Marcus Platz genommen hatte. Er hatte mir ein paar kurze Worte zur Begrüßung geschenkt, war aber dann in Schweigen verfallen, dem ich mich sehr gerne fügte.

»Willkommen zu Hause! Geehrt seien die Männer, die Agalega zum Sieg geführt haben«, rief der Fahrer aus, ehe er seine Position einnahm und den Motor startete, woraufhin ein kleiner Knall  zu hören war. Der Antriebsstoff der Autos war eine künstlich geschaffene Chemikalie, da natürliche Brennstoffe schon seit langem nicht mehr existierten.

»Wir stehen in tiefster Schuld und haben Hochachtung vor all den Männern, die unser Land verteidigt haben«, fuhr der Mann seine Lobesrede an Marcus gewandt fort. Dieser genoss die Worte sichtlich.

»Agalega haben wir mit tiefstem Herzen verteidigt«, erwiderte er.

»Wenn wir zu Hause sind, musst du mir so viel erzählen«, drängte sich Skay in die Unterhaltung der beiden Männer. »Ich bin so gespannt darauf, alles über dich zu erfahren.«

»Natürlich, das werde ich«, antwortete Marcus in fürsorglichem Tonfall. Ich hob daraufhin nur meine rechte Augenbraue und schüttelte innerlich mit dem Kopf. 

Tja, es gab wohl keinen Mann in ganz Agalega, der mehr Geheimnisse in sich trug als Marcus. Und von denen du das Schrecklichste von allen kennst, fügten meine Gedanken hinzu.

Die jubelnden Menschen an den Straßenrändern sorgten dafür, dass wir nur langsam voran kamen. Heimlich beobachtete ich den Mann meiner Schwester von der Seite. Seine steinerne Miene machte mir immer mehr deutlich, dass er sich keineswegs geändert hatte. Mein Blick streifte den Autospiegel und mir wurde bewusst, dass auch Marcus mich die ganze Zeit über musterte. Schnell wechselte ich meine Sicht und starrte die restliche Autofahrt über aus dem Fenster. Immer wieder winkten uns fremde Menschen zu, damit  wollten sie ihre Glückwünsche für den heimgekehrten Soldaten ausdrücken. Für einen Moment schoben sich die Bilder jener Nacht in mein Gedächtnis zurück. In den letzten Wochen waren sie immer häufiger in meinen Träumen aufgetaucht und hatten mir jeglichen Schlaf geraubt. Hatte er mich damals bemerkt? Eine Frage, die ich mir immer wieder stellte und vor dessen Antwort ich mich mehr als alles andere fürchtete. Der Himmel war noch immer verhangen und ließ keinen einzigen Sonnenstrahl durch die Wolkendecke dringen. Ein Nebelteppich hatte sich über die Landschaft gelegt. Mir erschien die Welt in diesem Moment so grau und düster wie seit langem nicht mehr. Vor unserem bescheidenen Wohnhaus angekommen, begleitete uns der Fahrer noch zur Wohnungstür, da er es sich nicht hatte nehmen lassen, den Koffer von Marcus höchstpersönlich zu tragen. Und dann war ich mit Skay und Marcus alleine.

In der Diele streifte ich meinen Mantel von den Schultern und hing ihn an die spärlich behangene Garderobe. In der Schublade kramte ich nach einem Anzündholz und erleuchtete den an der Wand angebrachten Kerzenhalter. Einst hatte es elektrischen Strom gegeben, wie es in Büchern aus der Alten Welt stand. Ein einfacher Knopf an der Wand hatte angebrachte Lampen zum Leuchten gebracht, ohne dass brennendes Feuer nötig gewesen war. Doch der Staat hatte solche Art von Strom verboten. Die Luft war erfüllt mit Elektrizität und durch Strom ausgelöste Funkenschläge konnten unbeherrschbare Brände verursachen. Lange vor der Zeit meiner Großeltern hatte es noch elektrische Apparate gegeben. Darunter Dinge wie Maschinen, die Teller spülten oder die Wäsche per Knopfdruck strahlend rein waschten. Ich kannte solche Dinge nur aus Erzählungen meiner Großeltern und fand die Vorstellung sehr suspekt.

»Ailina macht heute mein Lieblingsessen«, gab Skay stolz von sich und schob zögernd die Worte »Ich hoffe du magst Pfannkuchen genauso gerne wie ich«, hinterher. Hoffnungsvoll blickte sie Marcus an, der inzwischen so gut wie jedem Gegenstand in unserer kärglich eingerichteten Küche einem prüfenden Blick unterzogen hatte.

Die BlutspenderinWhere stories live. Discover now