35 Aufgeschobene Geheimnisse haben kurze Beine (Harper)

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Verzweifelt durchforstete ich den riesigen Stapel von Unizusagen, auch wenn mein Blick hauptsächlich zwischen zwei bestimmten hin-und-her wechselte: die der Uni, die meinem Zuhause und Ethan am nächsten war, und die der Uni, die mit Abstand am weitesten von dort entfernt war, über das ganze Land und den Atlantik hinweg.

Was sollte ich bloß machen? In vier Tagen brauchte der Dekan eine Antwort, ob ich den Studienplatz annahm oder nicht.

Sicherlich könnte ich frei nach dem Motto vorgehen, dass die Washington University großartig war, besonders für den naturwissenschaftlichen und medizinischen Bereich, und am wichtigsten: Ethan und meiner Beziehung wurde kein Hindernis in den Weg gelegt, inklusive dem Bonus, dass ich ebenso Mom und Cloe in meiner Nähe behielt. Damit wären alle zufrieden. – Wenn diese Entscheidung bloß so simpel wäre.

Seit ich mich für Naturwissenschaften begeisterte – anders gesagt seit meinem fünften Lebensjahr, als mir das erste Mal ein Experimentierkasten untergekommen war –, verfolgte ich neue Erkenntnisse in diesem Bereich. Dass viele dieser in Oxford gemacht wurden, hatte diese Universität in meinen Augen immer mehr wie ein Paradies wirken lassen. Und nun bekam ich die Chance, in diesem Paradies zu lernen.

Würde ich je wieder die Möglichkeit bekommen, mich hierfür zu bewerben? Und selbst wenn, würde ich dann wieder angenommen werden?

Ich wollte reisen, nach Europa allem voran. Mom und ich waren zwar jedes Jahr einmal in den Urlaub gefahren, allerdings nur innerhalb der USA. Ich hatte noch nie die Staaten verlassen. In dem Studium in London sah ich eine Befriedigung für mein Fernweh.

Nein, das war mehr als nur ein Weg, in der Welt herumzukommen: Das war die englische Universität Oxford in London.

England, das Geburtsland von Charles Darwin und Isaac Newton, Propheten meiner Religion, der Wissenschaft.

London, einer der fortschrittlichsten, kulturell vielfältigsten sowie gefragtesten Städte der Welt.

Oxford, die wohl renommierteste Universität Europas.

Und ich vor der wohl schwierigsten Entscheidung meines Lebens.

Ethan hatte ich immer noch nichts vom besagten Brief erzählt. Es war einfach noch nicht die passende Situation gekommen. Entweder mich unterbrach jemand, Ethan sagte etwas, das mein Herz zum Herzinfarkt verführte, sodass ich folglich mit anderen Dingen beschäftigt war, oder ich konnte den Mut im bestimmten Moment nicht aufbringen.

Mom und Cloe hatte ich bereits eingeweiht. Sie sagten jedoch nichts dazu, weil sie mich mit ihrer Ansicht nicht beeinflussen wollten; das war meine Entscheidung, meine großartige einmalige Chance und mein Leben. Warum mussten sie derartig hinter meiner Meinung stehen? War es zu viel verlangt, dass ich nicht allein mit dieser bahnbrechenden Entscheidung dastehen wollte?

„Guten Tag Miss Nickelson. Harper ist doch sicher in ihrem Zimmer. Ich bin mit ihr verabredet." Ethans kräftige Stimme ließ mich zusammenzucken und den Papierstapel reflexartig in dem Schubfach neben meinem Bett verstauen. Schreckt da schon wieder jemand zurück?

„Hallo Ethan. Ich habe dir doch schon einmal gesagt, dass du mich duzen sollst. Ich bin Hailey. Ja, sie ist oben. Euch viel Spaß. Wenn ihr etwas braucht, ruft mich", antwortete Mom.

Heute würde ich es ihm sagen, hundertprozentig. Heute würde ich ihm davon erzählen, dies versprach ich dir schlechtes Gewissen, das mich von Innen auffraß. Es half immer, wenn ich mir etwas selbst schwor und versprach. Versprechen soll man nicht brechen.

Kaum hatte Ethan die Türschwelle meines Zimmers übertreten, sprang Jerry vom Schreibtisch und schmuste sich an ihn. Ethan beugte sich zu ihr herunter und kraulte sie, worauf sie anfing zu schnurren. Währenddessen lenkte er seine gesamte Aufmerksamkeit auf die Katze; mich beachtete er kein Stück.

Nerd vs. Athlete - Geek vs. Player I : Liebe auf den nicht ganz ersten BlickWhere stories live. Discover now