Baumarktbesuch

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Der SUV hielt in der Parklücke. Jensen zog die Handbremse an und machte den Motor aus, bevor er ausstieg und schwungvoll die Autotür zuknallte. Währenddessen war ich schon ausgestiegen und kramte in meiner Handtasche nach dem Einkaufszettel.
„Na dann komm, kleine Künstlerin.", neckte mich Jensen, schloss den Wagen ab und lief Richtung Baumarkt. Mit eiligen Schritten folgte ich ihm, während ich in Gedanken durchging, ob ich auch alles aufgeschrieben hatte. Aber selbst wenn, fällt das einem immer nur ein, wenn es bereits zu spät ist.
Wie ein Gentleman öffnete Jensen mir die Tür und ließ mich als erstes in den vertrauten Baumarkt eintreten. Mit einem sanften Lächeln atmete ich den Geruch von Sägespäne, Farbe und Gummi ein. Als ich meinen Blick so durch die Gänge schweifen ließ, während der Schauspieler und ich alle aufgeschriebenen Sachen suchten, fiel mir auf, dass alles genauso aussah wie früher. Es waren Jahre vergangen seit ich das letzte mal hier gewesen war. Das letzte Mal war wahrscheinlich als ich Großonkel Rolf das erste Mal (nach der ganzen Ausreißerei) besucht hatte und er sich dringend diesen Unterstand für die Holzscheitel bauen wollte. Unglaublich wie schnell die Zeit verging!
„Wie wär's mit der hier?", riss mich Jensen aus den Gedanken und deutete auf eine viel zu große Farbrolle. Mich überforderte die riesige Auswahl. Wer braucht schon so viel? Und außerdem war dieser Baumarkt der einzige in der Stadt – da brauchte man nicht viel Sortiment, da eh jeder gezwungen war dort einzukaufen, wenn man nicht unbedingt in die nächstgelegene Stadt fahren wollte.
Ich schüttelte den Kopf. „Die ist viel zu groß.", erklärte ich. „Die ist schon besser.". Zufrieden hielt ich eine kleinere Rolle hoch und legte sie dann in den Einkaufswagen, den Jensen fröhlich weiterschob, als ich noch einige Pinsel hineingelegt hatte.
Schließlich kamen wir an die größte Herausforderung: Der Farbenkauf. Ich konnte mich nie so wirklich auf wenige Farben einigen. Schon immer mussten es tausend verschiedene Farbvarianten sein, die ich ständig neu kombinieren und zusammenmixen konnte. Doch ich nahm mir vor, mich heute im Zaum zu halten. Immerhin war es nicht mein Geld, sondern das Geld des Schauspielers, auch wenn die paar hundert Dollar, die dabei verloren gehen würden, ihn sicherlich nicht unglücklich gemacht hätten.
„Das sind aber ganz schön viele Farben.", staunte Jensen nichz schlecht, als er das riesige Regal betrachtet, das voller großer und kleiner Farbtuben war. Die Farben waren dabei ordentlich sortiert, so wie ich es von diesem Laden gewohnt war.
Ich griff nach zwei riesigen Tuben mit schwarz und weiß – das würde ich auf jeden Fall brauchen. Mein Blick ging höher zu den Blautönen. Da Jensen gerne eine wäldliche Landschaft mit Bergen und einem See haben wollte, kamen wir um diese Farbe nicht herum. Überraschend schnell legte ich die braune, gelbe und blaue Farbe in den Korb und sah mich dann um.
„Was suchst du?", fragte Jensen.
„Grün.", antwortete ich und durchforstete mit meinen Augen die vielen aufeinanderfolgenden Regalschichten.
„Da oben.", hörte ich Jensen sagen und folgte mit dem Blick seinem Finger. Tatsächlich. Die grüne Farbtuben standen ganz oben auf dem Regal. Ohne dass ich lange überlegen musste wusste ich, dass ich mit meinen zarten 1,65m nicht an das oberste Regal kommen konnte, so sehr ich mich auch gestreckt hätte. Nun war Jensen an der Reihe, doch auch dieser berührte die Tube gerade einmal mit seinen Fingerspitzen, als er sich auf die Zehen stellte. „Komm her.", meinte er und machte eine auffordernde Handbewegung. „Ich heb dich doch.".
Mir wurde schlagartig kochendheiß, als ich mich mit dem Rücken zu dem himmlisch-duftenden Schauspieler stellte und merkte, wie sich seine starken Arme um meine Taille schlossen. Ich stellte mir vor, wie es wäre jetzt seine kratzigen Bartstoppel an meiner nackten Schulter zu spüren, die er mit tausend, federleichten Küssen übersähte – aber nein, wir waren in der Realität! So hob mich Jensen spielendleicht hoch und presste so meinen Rücken etwas gegen seine Brust. Flink wischte ich den Gedanken beiseite und griff nach der moosgrünen- und hellgrünen Farbtube.
„Hab's.", meinte ich zu Jensen und im gleichen Moment riss mich eine vertraute Stimme aus den Gedanken.
„Ophilchen!".
Während mich Jensen noch hochhielt, wirbelte ich meinen Kopf herum und mein Blick traf auf den jungen Mann, der mit einem breiten Grinsen auf uns zugesteuert kam. Als dieser fast bei uns angekommen war, setzte mich Jensen behutsam ab und nahm mir die Tuben vorsichtig aus der Hand, damit ich meinen alten Freund begrüßen konnte.
„Daniel.", sagte ich freudig und schloss ihn in eine Bärenumarmung.
Daniel war der Sohn des Besitzers des Baumarkts und seit seinem siebzehnten Lebensjahr Angstellter. Ich kannte ihn schon seit meiner Kindheit, hatte ihn aber schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Äußerlich hatte er sich kaum verändert. Hätte er nicht seine orangene Arbeitsuniform an, so hätte vor uns ein bunter Pfau gestanden. Seine Haare waren in Regenbogenfarben hochgestylt. Seine Fingernägel hatten die gleiche Farbe wie seine Haare und ein schwarzer Eyeliner, hob seine dunkelbraunen Augen hervor.
„Das ich dich hier noch einmal sehe, Schätzchen.", lachte er und legte seine Hand auf meinen Oberarm, um mich dann von oben bis unten anzusehen. „Du siehst gut aus, Süße. Bist du etwa noch dünner geworden?".
Etwas verlegen sah ich auf den Boden und lächelte breit. Daniel's Blick fiel daraufhin auf Jensen, der etwas unschlüssig neben dem Einkaufswagen stand und das ganze Schauspiel neugierig beobachtet hatte. Mein alter Freund hob eine Augenbraue und musterte den Schauspieler genau. „Mhmmm.", machte Daniel mit einem belustigten Lächeln. „Und das muss dann wohl dein Ehemann sein. Wegen diesem Schnuckelchen hätte ich auch das Land verlassen, Süße. Glückwunsch.".
„Oh.", sagte ich schnell und machte etwas große Augen. Ich deutete mit dem Finger auf den erröteten Schauspieler, dem das Kompliment des Homosexuellen wohl mehr als peinlich war. „Wir sind nicht verheiratet.".
„Nicht?", fragte Daniel stirnrunzelnd. „Na dann wird's aber Zeit.".
„Wir sind auch nicht zusammen.", widersprach ich rasch und merkte, wie auch mir eine Röte ins Gesicht stieg. „Wir sind einfach nur-.", ich stoppte kurz. „Freunde.". Kurz war ich irritiert von dem tiefen Blick, den der Schauspieler mir zuwarf, gab mir dann aber einen Ruck und stellte sie einander vor. „Äh... Daniel, das ist Jensen. Jensen, das ist Daniel. Seinem Vater gehört der Baumarkt.".
Beide gaben sich die Hand. Ich wusste nicht wieso, doch es kam mir so vor, als ob Jensen ziemlich eingeschüchtert wirkte, während wir wenig später Richtung Kasse gingen und uns Daniel mit jedem Schritt begleitete. Der Schauspieler schob den Einkaufswagen stillschweigend hinter uns her. Ein paar Mal drehte ich mich zu ihm um, um sicherzustellen, dass er überhaupt noch hinter uns war. Jedes Mal warf er mir ein leichtes Lächeln zu, das mir immer wieder den Atem verschlug.
Als wir dann schließlich die Sachen bezahlten und Daniel gerade dabei war alles in einer Plastiktüte zu verstauen, meinte Jensen, dass er schon einmal die Sachen in den SUV bringen würde, damit Tommy und ich uns noch weiter ungestört unterhalten konnten. Kaum hatte er die Tüte in der Hand, verabschiedete er sich von meinem alten Freund und schob den leeren Einkaufswagen wieder hinaus.
Sowie Daniel, als auch ich sahen ihm hinterher.
„Also deeer ist doch mal ein Leckerchen.", meinte Daniel und riss sich sichtlich von Jensens Anblick los, um mich anzusehen. „Wie lange bleibst du eigentlich noch in North Bay?".
„Nicht ganz zwei Monate.", entgegnete ich und erwiderte seinen Blick.
„Da kannst du mich ja mal besuchen.", meinte Daniel. „Ich habe eine ganz schnuckelige Wohnung in der Nähe vom Baumarkt... Ach und wo wohnst du eigentlich? Dieses Hotel soll ja schäbig sein, habe ich gehört.".
„Ähm... bei Jensen.", antwortete ich kleinlaut, weil ich sogleich Daniel's vielsagenden Blick erntete.
„Ach, wirklich?".
„Er hat Dustins Haus gekauft.", fügte ich rasch hinzu. „Und er war ein guter Freund von ihm. Wahrscheinlich macht er es nur, weil er Mitleid mit uns hat.".
„Das glaubst du doch selbst nicht, Süße.", entgegnete Daniel. „Dieser Mann will dich, das sieht ein Blinder.".
„Quatsch, nein. Wir sind zu unterschiedlich. Praktisch leben wir in verschiedenen Welten und ich bin mir sicher, dass seine Eltern nicht gerade begeistert wären, wenn er mich als seine Freundin vorstellt.".
„Wieso sollten sie?", meinte Daniel und rollte mit den Augen. „Du bist humorvoll, wunderhübsch, klug und-.".
„Und arm.". Ich seufzte. „Du hättest seine Familienfotos sehen sollen, Daniel. Alles nur wohlhabene Menschen, die im Luxus ertrinken. Und dann komme ich, das arme Mädchen aus Dallas, das in einer winzigen Zwei-Zimmer-Wohnung lebt und in einer unbedeutenden Bibliotheke arbeitet.".
„Hör auf, so über dich zu denken, Süße. Reich sein ist nicht alles. Und außerdem, was kümmert es dich, wenn seine Eltern dich nicht mögen? Die musst du ja auch schließlich nicht heiraten.".
Ich seufzte und blickte nach draußen zu Jensen, der sich gegen die Fahrertür des SUVs gelehnt hatte und geduldig wartete. Scheinbar hatte er schon die ganzen Sachen ins Auto geladen und den Einkaufswagen wieder zurückgeschoben. Dann riss mich Daniel wieder aus den Gedanken.
„Wenn du dir diesen Mann nicht schnappst, macht es eine andere. Also sei schnell, Süße.".

Wie Rome und JuliaWhere stories live. Discover now