◆16| N e w R u l e s◆

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«Mir... mir gefällt es hier nicht.»

Ich schluckte, wollte nicht nachgeben und in Tränen ausbrechen, da mich Raúl in jeder sich dazu ergebenen Situation damit ärgerte, indem er mich eine Heulsuse nannte. Ich war keine Heulsuse, ich war ein starkes Mädchen.

Benommen von den starken negativ pulsierenden Gefühlen blinzelte ich, weil ich befürchtete, dass Raúl in irgendeiner Decke herum lauerte und jederzeit irgendwo auftauchen und mich in diesem Zustand vorfinden würde. Doch er tat es nicht, er war nirgends zu sehen. Nur Elias stand mit mir in diesem großen leeren Haus, der mich einschüchterte und einen unbehaglichen Unmut in mir hervorrief. Ich versteckte mich unauffällig hinter seiner großen Statur, denn obwohl er nur 15 Jahre alt war, war er bereits jetzt schon größer als Papá und Onkel San, wobei Raúl hinter seinem Rücken Faxen vollzog und ihn ein Riese nannte. Daraufhin konterte Elias damit, dass Raúl ein Zwerg sei, denn schließlich war es kein großes Geheimnis, dass Raúl einer der kleinsten Personen in seiner Klasse war.

Ich hatte gehört wie er einmal zu Mamá ins Bett gekrochen und aus diesem Grund geweint hatte. Sie hatte ihn aber mit ihrer engelsgleichen Stimme besänftigt und gesagt, wenn er viel Milch trinke, dann würde er ein großer starker Mann, wie Elias werden. Seit dem sah man jeden Morgen und Abend eine Milchspur, die, wie ein Schnurrbart, seine Oberlippe zierte und mich zum Kichern verleitete.

Jetzt gerade war mir aber nicht nach Kichern zumute. Ich wollte nichts dergleichen machen und noch weniger wollte ich hier bleiben. Hier, in London. Ich wollte zurück nach Madrid zu Señor Gonzalez, dem alten Onkel am Warenstand, der mir immer Süßigkeiten schenkte. Außerdem regnete es hier ständig und ich würde nicht wie in Madrid jeden Tag draußen spielen können.

Elias, der meine Verzweiflung bemerkte, strich mit sanft die kurzen beiden Zöpfe zur Seite und legte seine großen Hände auf meinen Schultern ab, die sich schwer anfühlten. Dann kniete er sich runter und war in dieser Position genauso groß wie ich.

«Hey... No estés triste, por favor. Quiero ver tu linda sonrisa.»

Er pickte mir mit den Fingern an beide Wangenseiten rein.

«Komm schon. Ich weiß doch, dass dein Lächeln das Schönste ist. Es versteckt sich nur da irgendwo.»

Ich wollte nicht lachen, aber dann hörte ich meine eigene Stimme an den Wänden widerhallen.

«Hermano, hör auf das kitzelt», brachte ich zwischen meinem Lachen hervor und auch Elias nahm daran teil.

«Na so will ich dich sehen, mein Schokokuchen. Es steht dir nicht, wenn du das Gesicht verziehst.»

Bei dem Wort 'Schokokuchen' musste ich auch wieder kichern. Ich hatte dunkle schokobraune Augen, weshalb Elias mir den Kosenamen Schokokuchen gegeben hatte.

«Aber ich mag es hier nicht. Ich will zurück nach Hause !», stampfte ich trotzig und blickte traurig drein.

«Schoki...das hier ist jetzt unser Zuhause. Willst du wirklich zurück und mich alleine lassen, unter all diesen Menschen ?»

Elias schob beleidigt die Oberlippe nach vorne.

«Du und Raúl werdet in London eine ganz schöne und gute Schule besuchen, damit du später in ein gutes Studium eingeführt wirst.»

«Nö. Ich will nicht studieren. Ich will zurück zum Süßwarenladen von Señor Gonzalez.»

Nun verschränkte auch Elias die Arme vor der Brust.

«Na gut. Dann lass mich doch alleine. Und ich dachte, wir wären ein Team.»

Er schnaubte auf und wollte sich gerade erheben, da warf ich mich ihm in die Arme und umarmte ihn.

His At NightWhere stories live. Discover now