Ich habe ihn verlassen, jetzt sterbe ich.

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Rückblende: vor dreieinhalb Jahren- Ana

Obwohl Taylor über die Fähigkeit verfügt, seine eigenen Gedanken und Gefühle, während der Arbeit, auszublenden, kann ich seine Bestürzung und seine sorgenvollen Blicke, an diesem Morgen, deutlich spüren. Er hat die letzten, schmerzlichen Minuten zwischen Christian und mir mitbekommen und weiß, dass ich Höllenqualen leide.

Als wir endlich an meiner Wohnung ankommen, begleitet er mich noch nach oben. Schweigend stellt er meine Sachen im Flur ab, dreht sich mit hängenden Schultern zu mir und seufzt. Das Glänzen in seinen Augen, schnürt mir die Kehle zu. Vorsichtig wischt er mir mit dem Daumen eine Träne von der Wange, senkt seinen Kopf und küsst mich auf die Stirn. „Leben Sie wohl, Ana.", dann geht er.

Unfähig mich zu bewegen, starre ich ihm voller Verzweiflung nach. Ich will ihm hinter her laufen, ihn bitten mich wieder mitzunehmen, zu Christian. Ich will nicht alleine sein, hier in dieser kalten Wohnung, die mir so fremd geworden ist. Ich will nicht ohne ihn sein, Christian. Und doch renne ich nicht zu Tür, sonder schleppe mich in mein Zimmer, zu meinem Bett. Und da breche ich zusammen. Christians Verlust lässt meinen Körper so schwer erscheinen, dass ich keine Kraft mehr aufbringe, mich auszuziehen. Ich rolle mich unter der Decke zusammen und ergebe mich meinem Schicksal. Was habe ich nur getan? Christians leidender Blick verfolgt mich. Der Schmerz bohrt sich tief in mein Innerstes und verursacht so starke körperliche Krämpfe, dass es sich anfühlt, als reiße mir jemand bei lebendigem Leibe das Herz heraus. Ich schreie, weine, schlinge meine Arme um mich und winde mich unter der Marter. Aber jeder Kampf ist zwecklos. Gegen diesen mächtigen Gegner, habe ich nichts entgegen zu setzen. Also gebe ich jeden Widerstand auf und lasse ihn in mir wüten.

Irgendwann vergeht dieser Tag und es folgt ein neuer und auch der vergeht und der nächste.

Lethargisch starre ich an die Decke und fühle die sich in mir ausbreitende Leere. Ich esse nichts und trinke nichts und ich schlafe auch nicht. Das Klingeln und Klopfen an meiner Tür ignoriere ich. Ich mache kein Licht, Ana ist einfach nicht mehr da.

Ich bin nicht in der Lage mich zu bewegen. Mein Körper ist zu geschwächt. Aber das ist nicht schlimm. Bald ist es vorbei. Es kann nicht mehr lange dauern, denn ich fühle nichts mehr. Alles ist dunkel und tot.

Dann kommen Kate und Elliot zurück und mit ihnen Christian. Mit letzter Kraft schleppe ich mich in Kates Zimmer und verstecke mich in ihrem Schrank. Ich höre Christian in meinem Zimmer nach mir suchen. Als er mich nicht findet, schreit er vor Wut und schlägt gegen die Wand. Möbel werden umgestoßen und eine Scheibe geht zu Bruch. Er brüllt Kate und Elliot an, sie sollen ihm sagen, wo sie mich versteckt haben. Oh Gott, arme Kate. So habe ich Christian noch nie erlebt. Was will er nur? Ich kann ihm nicht das geben was er braucht und er mir auch nicht. Mein Schluchzen kann ich nicht länger unterdrücken und verkrieche mich in der hintersten Ecke des Schrankes, in der Hoffnung, nicht gehört zu werden. Der Lärm, der auf mich einstürzt, halt schmerzhaft in meinen Ohren. Ich halte mir Ohren zu und beiße mir, um nicht zu schreien, die Unterlippe blutig. Mein Blickfeld wird immer kleiner und dann wird alles schwarz um mich herum.

Und so findet mich Kate, Stunden später. Elliot muss gegangen sein, denn niemand stürzt, nach ihrem entsetzten Schrei, als sie mich zusammengekauert, in ihrem Schrank erblickt, ins Zimmer. Ohne zu überlegen kriecht zu mir und zieht mich schluchzend in die Arme. „Oh, Ana. Da bist du ja. Ich habe mir solche Sorgen gemacht. Geht es dir gut?", dabei streicht sie mir die strähnigen Haare aus dem Gesicht. „Oh Gott!", entfährt es ihr, als sie mein Gesicht betrachtet. Ihrem Gesichtsausdruck nach, muss ich entsetzlich aussehen. „Ich rufe einen Arzt. Warte, bin sofort zurück." Kate windet sich unter mir hervor und will aus dem Schrank kriechen, aber ich halte sie am Arm zurück. „Nein Kate, nicht.", flehe ich sie an. „Bitte nicht."

„Warum Ana? Du brauchst einen Arzt. Du bist total dehydriert. Wie lange bist du hier schon alleine, drei, vier Tage? Lass mich raten, so lange hast du auch nichts gegessen und getrunken oder?" Ich schüttele nur den Kopf und ziehe sie wieder zu mir. „Nicht Kate."

„Gut, ich rufe keinen Arzt. Aber dann kommst du jetzt aus meinem Schrank und ich koche dir einen Tee und mach dir etwas zu Essen." Ich nicke und Kate schließt mich wieder fest in ihre Arme und wiegt mich hin und her. Sie fragt mich nicht was passiert ist und ich sage nichts. Sie fühlt es einfach, schweigt und weint mit mir und teilt mit mir meinen Schmerz.

Ich weiß, dass ich mich in großer Gefahr befinde, mein Leben und auch noch den Rest meines Selbst zu verlieren, wenn ich jetzt aufgebe. Im tiefsten Inneren ahne ich, dass es für mich nur eine Möglichkeit gibt, zu überleben. Aber will ich leben? Das kann ich hier und jetzt, in Christians Nähe, nicht heraus finden. Alles erinnert mich an ihn, selbst Kate und diese Wohnung. Also muss ich gehen, ihn und alles was mich mit ihm verbindet, hinter mir lassen.

Nach einer heißen Dusche, sitze ich eine halbe Stunde später, unter einer dicken Decke eingemummelt, im Wohnzimmer auf der Couch. Kate hatte in der Zwischenzeit bei Elliot Entwarnung gegeben, ihn aber gebeten, dies in Christians Gegenwart nicht zu erwähnen.

Nun sitzt sie neben mir und hält meine Hand. Während des langen Gespräches, eigentlich Monologs, da nur ich rede und Kate zuhört, schütte ich ihr mein Herz aus. Ich erzähle ihr von den Geschehnissen der letzten gemeinsamen Nacht mit Christian, dass es mir das Herz zerreißt ihn verlassen zu haben, dass er mich gebeten hat, bei ihm zu bleiben und ich mir nun nicht mehr sicher bin, dass Richtige getan zu haben. Ich versichere ihr, dass ich mir darüber bewusst bin, dass er mir nicht gut tut und ich ihm nicht das geben kann, was er braucht. „Aber wie soll ich das meinem Herzen erklären?", frage ich sie ohne auf eine Antwort zu warten. „Kate, ich liebe ihn und es zerreißt mir das Herz, ihn gehen lassen zu müssen. Ich kann mir ein Leben ohne ihn nicht mehr vorstellen und allein der Gedanke, dass er sich hier irgendwo in Seattle auffällt und ich nicht zu ihm kann, macht mich wahnsinnig. Ich muss fort Kate, meine Tasche packen und verschwinden, wenigstens für ein paar Wochen. Ich brauche einen klaren Kopf, um mir zu überlegen, wie es weitergeht und wie mein Leben ohne ihn weiter gehen soll. Das kann ich hier, in seiner Nähe nicht. Bitte, du musst mir helfen." Schweigen, langes Schweigen.

Wie gebannt starre ich Kate an und warte auf ihre Reaktion. Mit offenem Mund sieht sie mich fassungslos an und in ihren Augen sammeln sich Tränen. „Ok", sagte sie mit bebender Stimme. „Warum hast du mich nicht angerufen? Ich wäre doch sofort zurück gekommen? Ich kann es nicht fassen, dass du die ganze Zeit alleine warst. Dieser Arsch!", fluchte sie. „Kate bitte, lass es.", bedränge ich sie und drücke ihre Hand. „Ok, ok, ich krieg mich schon wieder ein, aber du musst zugeben, dass ich dich vor ihm gewarnt habe.", antwortet sie aufgebracht. Dann schließt sie die Augen und atmet einmal tief durch. „Du weißt dass ich alles für dich tun würde, auch dir bei dieser blöden Idee, unter zu tauchen, zu helfen. Ich bin zwar anderer Meinung, was das Weglaufen betrifft, denn das hat noch nie geholfen, aber vielleicht bekommst du so wieder einen klaren Kopf. Aber nur für ein paar Wochen, klar? Dann kommst du zurück. In der Zwischenzeit kümmere ich mich hier um alles. Mach die keine Sorgen. Wir haben allerdings ein Problem.", dabei deutet sie mit ihrem Kopf zum Fenster. „Da unten steht ein schwarzer Audi. Solltest du nur einen Schritt aus der Tür machen, hast du Taylor auf den Fersen. Und ich nehme mal an, du möchtest nicht, dass Christian weiß, wohin du verschwindest?" Kate sieht mich fragend an. Ich schüttele schnell den Kopf. „Gut, auch dafür werden wir eine Lösung finden. Jetzt gehst du erst einmal ins Bett."

***

Ich hoffe, Ihr leidet mit Ana.

Da ich im Urlaub war und so lange nichts hochgeladen habe, gibt es heute zwei Kapitel. Viel Spaß und LG

Marit

Shades of grey - Bittersüße EinsamkeitWhere stories live. Discover now