Sieben

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„Ihr solltet diese Stunde mit eueren Bildern fertig werden. Wer es nicht schafft bei dem bewerte ich das Bild, sowie es bisher ist", teile ich der Klasse mit.

Natürlich beklagen sich einige, dass sie mehr Zeit brauchen, aber ich gehe nicht darauf ein. Ich kann sie schließlich nicht das ganze Schuljahr an einem Bild arbeiten lassen, weil sie ständig reden, nicht da sind oder nur Blödsinn machen. Das ist dann nicht mein Problem.

Wie immer im Kunstunterricht hole ich meinen Block hervor und blättere die Seiten durch. Einiges sind nur bedeutungslose Skizzen, andere Zeichnungen zeigen Helen und ein paar wenige einige Freunde, die mich gebeten haben, sie zu zeichnen. Nachdenklich kaue ich auf dem Ende meines Stifts herum und überlege mir, was ich heute malen könnte. Ich bringe keinen klaren Gedanken zustande und fange einfach mit ein paar Strichen an und sehe was daraus wird.

Heute arbeiten alle konzentriert. Hin und wieder werden mir die fertigen Werke auf's Pult gelegt. Mina scheint heute kein Interesse daran zu haben, mich um meine Meinung zu fragen, was mir ganz recht ist. Sie ist für meinen Geschmack viel zu neugierig und stellt zu viele Fragen über Dinge, die sie nichts angehen.

Als die Stunde vorbei ist blicke ich auf meine Zeichnung und muss bemerke erst jetzt, dass ich Leslie gezeichnet habe. Ich habe mich so sehr auf das Zeichnen konzentriert, dass ich nicht mal darüber nachgedacht habe, wen oder was ich gemalt habe. Leslie lächelt mich von dem Papier aus verschmitzt an. Eine blonde Haarsträhne hat sich aus ihren Pferdeschwanz gelöst und sie sieht perfekt aus. Schnell klappe ich den Block zu. Es sollte besser niemand sehen, dass ich sie gemalt habe. Das würde nur zu Gerüchten führen. Teenager lieben es Dinge zu verbreiten und auszuschmücken. Das sollte nicht passieren. Ich habe es die ganze Woche geschafft Leslie aus dem Weg zu gehen und das würde unweigerlich dazu führen, dass sie ein Gespräch mit mir sucht. Zum Glück wird das nicht passieren. Ich sollte in Zukunft besser vorsichtiger sein und neutrale Dinge zu Papier bringen.

Ich warte bis alle ihre Blätter abgegeben haben und verstaue sie dann alle in einer Mappe, die ich später mit nachhause nehmen werde, um sie dort in Ruhe zu bewerten. Es ist jedes Mal aufs Neue spannend zu sehen, was meine Schüler gemalt haben. Manchmal erwische ich mich sogar dabei, wie ich versuche mir vorzustellen, woran sie gedacht haben, als sie dieses Bild gemalt haben. Helen findet das ganze langweilig. Bisher habe ich es nicht geschafft sie dafür zu begeistern. Ihr fehlt einfach das Verständnis für Kunst und ein wenig Fantasie. Ihr ist es lieber Dinge zu fotografieren und sie dabei ästhetisch aussehen zu lassen.

Ich schlendere durch den Schulflur an einigen Schülern vorbei, die mich freundlich grüßen. Plötzlich taucht Marc auf und berührt mich am Unterarm.

„Es ist echt schwer dich anzutreffen", sagt er spaßig und lacht ein wenig.

„Findest du?"

Ich habe es nicht darauf angelegt Marc aus dem Weg zu gehen, aber habe ich trotzdem nicht oft gesehen.

„Ja."

„Hm ich war einfach ziemlich beschäftigt", sage ich. „Was willst du denn von mir?"

Er spricht mich ganz sicher nicht an, weil er mit mir über das Wetter plaudern möchte. Ich kann mir schon denken, was er von mir will.

„Hast du am Freitagabend Zeit? Ich würde dich gerne zum Essen einladen?"

„Tut mir leid Marc, aber ich bin in einer Beziehung", höre ich mich sagen, ehe ich über die Worte nachdenken konnte.

„Oh okay", meint er ein wenig enttäuscht.

„Tut mir leid."

„Ist schon okay. Ich habe es einfach nicht gewusst."

„Ich muss jetzt wirklich los, die hier im Lehrerzimmer ablegen", sage ich und deute auf die Kunstmappe.

Irgendwie hoffe ich, dass er es nicht gleich überall herum erzählen wird. Ich glaube zwar nicht, dass die Kollegen mich darauf ansprechen werden, aber aus irgendeinem Grund stört es mich, dass Leslie es erfahren könnte. Da mich dieses Gespräch länger als gedacht aufgehalten hat, muss ich mich beeilen auf dem Weg ins Lehrerzimmer. Dort angekommen lege ich die Mappe auf meinen Platz, aber da ich die Hände so voll habe, landet mein Block auf dem Boden und ein paar lose Blätter auch.

„Mist", fluche ich leise.

„Ich helfe dir", höre ich Leslie sagen.

Schon kniet sie neben mir auf dem Fußboden und hilft mir beim aufsammeln. Schnell hebe ich meine Zeichnungen auf und verstaue sie wieder dort, wo sie hingehören. Leslie reicht mir ein paar.

Dann passiert es, wir greifen beide gleichzeitig nach dem letzten Blatt und unsere Finger berühren sich. Langsam schaue ich auf und unsere Blicke treffen sich. Leslie und ich blicken uns einen Augenblick lang in die Augen. Mein Herz fängt an schneller zu schlagen und in meinem Bauch kribbelt es.

„Ähm..", bringe ich hervor und ziehe meine Hand schnell weg.

Leslie nimmt das Bild und sieht es sich an. Ein Lächeln erscheint auf ihren Lippen. Ich versuche herauszufinden finden, wieso sie so grinst und dann sehe ich es. Oh nein, muss sie gerade dieses Bild aufheben. Ich werde rot und schaue schnell weg.

„Das sieht toll aus", meint sie ebenfalls etwas peinlich berührt und reicht es mir.

Na super, Annalena. Ich schaffe es aber auch immer mich in peinliche Situationen zu bringen. Ein Talent auf das ich nicht besonders stolz bin. Leslie hätte das niemals sehen sollen. Wie soll ich ihr denn je wieder unter die Augen treten. Verdammt.

„Tut mir leid", nuschele ich unverständlich und stehe rasch auf.

Ich lasse das Bild von ihr schnell in dem Block verschwinden und nehme dann meine Sachen. Ich muss hier so schnell wie möglich weg, bevor Leslie anfängt Fragen zu stellen, die ich nicht beantworten kann. Ich weiß ja selbst noch nicht einmal,  wie ihr Gesicht auf meinem Papier gelandet ist.  Wahrscheinlich habe ich unterbewusst an sie gedacht.

„Ich muss los", bringe ich noch hervor und bin dann weg.

Draußen im Flur atme ich tief ein und aus. Was soll ich jetzt nur machen? Ich kann Leslie doch nicht ewig aus dem Weg gehen. Immerhin habe ich zugestimmt sie auf die Klassenfahrt nach London zu begleiten. Wie es aussieht werde ich morgen mit ihr darüber reden müssen. Bis dahin muss ich mir dringend etwas überlegen, um das ganze zu erklären.

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