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"Nein, nein nein nein Stegi! So ist das nicht passiert!" Hastig senkte mein Freund seine Stimme, damit nicht jeder in der Klasse uns zuhören konnte. Meine Erinnerungen waren das erste gewesen, wovon ich ihm heute erzählt hatte - jedenfalls das, was ich für meine Erinnerungen hielt - und Tim schüttelte immer entschiedener seinen Kopf: "Ich war hinter dir, als es passiert war, wirklich! Ich hab mit angesehen, wie dich die Wucht des Einschlags von den Füßen gerissen hat, keine Ahnung wieso dir dein Kopf etwas anderes vorgaukelt!"

"Ist ja gut, ich kann mich auch geirrt haben", hob ich schnell und beschwichtigend an. Himmel, Tim klang ja, als hätte ich ihn aus irgendeinem Grund vor den Pranger gestellt, so heftig wie er die Geschehnisse bestritt, die ich gestern nochmal durchlebt hatte! Jetzt schien es auch ihm aufzufallen, wie übertrieben seine Reaktion gewesen war, und er wandte scheu seinen Blick ab. "Sorry, ich wollte dich nicht anschreien..."

Kurze Zeit schwiegen wir, die Arme auf unserem Pult verschränkt und ohne unseren Gegenüber anzugucken, dann räusperte sich Tim leise: "Ich weiß heute echt nicht, wo mir der Kopf steht... Seit dem Frühstück habe ich so ein ungutes Gefühl, vielleicht hätte ich Zuhause bleiben sollen." Stimmt, er sah auch ziemlich blass aus. Kurz hoffte ich noch, dass er sich keine Erkältung oder etwas ähnliches zuzog, nachdem wir die zwei Wochen im Krankenhaus ohne jeden Kontakt zu Erregern und Bakterien verbracht hatten, dann hellte sich meine Stimmung ruckartig auf. "Aber sag bloß, du hast etwas bemerkt! Vielleicht kriegst du ja doch noch eine Superkraft! Das wäre mega cool!", feuerte ich ihn mit gedrückten Daumen an, aber er schüttelte traurig lächelnd seinen Kopf. "Nein, hab ich nicht. Vermutlich nur mit dem falschen Bein zuerst aufgestanden. Wenn ich besonders wäre, hätte ich das sicherlich früher bemerken müssen!"

Schade... Und dummerweise war meine Absicht wieder in die Richtung abgedriftet, dass mein Freund sich unterlegen und wertloser als diejenigen fühlte, die der Blitz heftiger als ihn erwischt hatte. Schnell schmiegte ich mich an ihn: "Du bist besonders! Für mich und alle, mit denen du befreundet bist! Dazu brauchst du nichts anderes, als du selbst zu sein!"

Tim seufzte ein wenig befreiter als zuvor und ließ mich machen, bis er leise schnaubte. "Superkräfte, eh? Hast du wieder zu viele Marvelfilme geschaut Dino?" Ich kicherte. Wenn er wüsste, wie richtig er damit lag! Tatsächlich hatte ich mir gestern noch einen der alten Spiderman Streifen angeschaut, einen meiner absoluten Lieblingsfilme trotz all der peinlichen Szenen, und hatte bemerkt, dass unsere Kräfte sich ziemlich ähnelten! Wir beide hatten den sogenannten Spinnensinn, nur dass ich weder Netze schießen, noch senkrechte Wände hochklettern konnte. Nicht, dass ich das ausprobiert hätte, natürlich! Aber diese Erkenntnis hatte mir echte Zuversicht gegeben, dass ich auch trotz der Veränderungen noch ich selbst war und mein Leben auf die Reihe bekommen würde!

Es klingelte vor und nachdem sich meine noch recht sensiblen Ohren wieder beruhigt hatten, hörte ich noch etwas anderes. Hastige Schritte, schon so nahe, dass die dazugehörige Person gleich unseren Klassenraum erreichen würde. Waren wir nicht vollständig gewesen? Doch, alle saßen erstaunlich pünktlich auf ihren Plätzen und schwatzten, niemand sonst schien den Neuankömmling bisher zu hören. Ihre Köpfe drehten sich erst verwundert zur Tür, als der Mann bereits im Rahmen stand, seinen Anzug richtete und die Schultern selbstbewusst zurückstreckte.

War das der Typ von der Regierung, den Tobi angekündigt hatte? Im Krankenhaus war jedenfalls niemand aufgetaucht, der uns testen oder ausfragen wollte. Doch der Kerl, der jetzt die Reihen nach vorne zum Lehrertisch durchschritt und der alternden Frau vertraut die Hand schüttelte, sah auch nicht gerade wie ein Mitarbeiter von so hoher Stelle aus, von seiner pikfeinen, schwarzen Kleidung mal abgesehen. Jedenfalls hatte ich noch nie einen Politiker im Fernsehen erlebt, der einen so krass kurzen Sidecut trug wie er. In meiner Vorstellung waren die dort oben alle mindestens fünfzig Jahre alte Opas, hatten alle die selbe unspektakuläre Frisur und erzählten stinklangweiliges Zeug! Er war irgendwie das komplette Gegenteil! Ich schätzte ihn auf höchstens fünfundzwanzig, aber vielleicht war sogar das noch zu hoch gepokert. Wirklich schwer zu sagen, vor allem durch den Anzug... Zumindest wirkte er bisher sympathisch, hoffentlich würde er diesen Eindruck nicht wieder kaputt machen! Gespannt stützte ich meinen Kopf auf die Hände und wollte noch eilig meine Sinne aussenden, um zu lauschen was er mit unserer Lehrerin erzählte, als er sich auch schon an unsere ganze Klasse wandte und auf Ruhe wartete. Alle wurden augenblicklich still. Was würde er wohl sagen oder von uns verlangen?

"Guten Morgen liebe Schüler, mein Name ist Rafael Eisler und ich wurde hierher geschickt, weil ihr in den letzten zwei Wochen besondere Kräfte entwickelt habt. Kräfte, die von der Regierung als Gefahrenquellen eingestuft wurden! Einige können sie mit Sicherheit noch nicht ganz begreifen und meine Aufgabe lautet nun, einen unkontrollierten Ausbruch dieser zu verhindern, koste es was es wolle und egal mit welchen Mitteln!"

Tim und ich schauten uns verblüfft an. Was war das denn für eine Ankündigung?! Wir wurden als Gefahren eingestuft? Hieß das etwa, dass wenn einer über die Stränge schlug, sofort alle belangt werden konnten, eventuell sogar eingesperrt um weiteres Unheil zu verhindern? Überall startete jetzt das unruhige Geflüster, als Herr Eisler plötzlich anfing zu lächeln: "Was die Regierung will, ist ja schön und gut, aber sobald ich diesen Raum betreten hatte, ist mir etwas anderes klar geworden! Ihr seid keine Gefahren. Ihr seid Jugendliche, denen diese Kräfte genauso fremd und vielleicht auch unheimlich sind wie Außenstehenden. Ihr tragt nun eine riesige Verantwortung mit euch herum, die euch niemand abnehmen kann und der nur wenige andere Menschen überhaupt gewachsen wären. Euch als Monster darzustellen, ist nicht richtig. Euch so zu behandeln noch viel weniger! Deshalb möchte ich meine Aufgabe hier gerne abändern. Ich will an dieser Schule mit allen Schülern zusammen eine Atmosphäre erschaffen, in der ihr euch nicht rechtfertigen müsst für das, was euch widerfahren ist, und jüngere Klassen keine Angst vor euch entwickeln! Für die nächsten drei Monate werde ich deswegen an eurer Schule bleiben, einige Unterrichtsstunden besuchen und auch leiten und euch ansonsten gerne als Ansprechpartner dienen. Eure Lehrerin sagte mir, dass ich vielleicht ein eigenes Büro im Haus bekommen könnte und-..."

Tim stubste mich an und nickte in Tobis Richtung. Ich folgte seinem Blick unauffällig und hätte beinahe mit Prusten angefangen, als ich ihn sah. Unser Kumpel sah aus, als hätte ihn soeben der zweite Blitz innerhalb eines Monats erwischt! Stocksteif saß er da, mit aufgerissenen Augen und Mund und nicht eine Sekunde konnte er von Herrn Eisler weggucken. Kannte er ihn etwa irgendwoher? Oder steckten da andere Gefühle dahinter?

An seinem erschrockenen Zusammenzucken und rot anlaufenden Ohren wusste ich, dass der Mann Tobis Blicke bemerkt haben musste. Eilig flog mein Blick wieder nach vorne, um seine Reaktion darauf einzufangen. Doch Herr Eisler lächelte immer noch so herzlich wie zuvor, das Gegaffe schien ihm rein gar nichts auszumachen. Besser noch! Er zwinkerte Tobi plötzlich anzüglich zu! Oh mein Gott, das war gerade nicht wirklich passiert, oder?! So wie meine Kinnlade herunterklappte nach dieser Aktion, so kippte mein Kumpel mit einem lauten Poltern von seinem Stuhl. Die Klasse lachte auf und unter tausend Entschuldigungen setzte Tobi sich hastig wieder an sein Pult, jetzt bemüht, den Blickkontakt nach vorne dringlichst zu vermeiden. Herr Eisler wandte noch ein paar letzte, abschließende Worte an uns, ehe er sich aufmachte, um noch die anderen Klassen zu besuchen.


"Der Typ war zuerst echt gruselig, aber dann der Plottwist und auf einmal hattest du das Gefühl, dass er mit dir als Kumpel redet, anstatt von oben herunter! Genial! Und hast du seine Augen gesehen? In denen könnte man glatt versinken, wenn man nicht aufpasst!"

"Mh-hm!", stimmte Tobi vor uns seiner besten Freundin Pauline verträumt zu, während Tim und ich uns hinter seinem Rücken feixend angrinsten. Tobi war verliebt! Eiskalt! Und dann auch noch in einen erwachsenen Mann, den wir schon in drei Monaten nicht mehr wiedersehen würden! Er hatte zwar eindeutig zurück geflirtet, aber ich glaubte fast, dass das ein Traum für unseren Kumpel bleiben würde. Bestimmt war er nicht auf diesem Wege an einem von uns interessiert...

Ruckartig stoppte ich mitten im Gang. Meine Sinne hatten Alarm geschlagen! Ich musste irgendetwas ungewöhnliches gehört haben, aber da ich so abgelenkt gewesen war, konnte ich nicht sagen was. Angestrengt runzelte ich meine Stirn und konzentrierte mich bemüht. Woher war das gekommen?

"Stegi? Alles gut, kommst du nicht mit?"

"Psst Timmi, ich brauch eben mal Ruhe", wies ich ihn an und lauschte weiter. Alles ruhig, soweit ich das wahrnahm. Viele schnatternde Leute, so wie immer. Gerade als ich kopfschüttelnd weitergehen wollte, fand ich doch, wonach ich gesucht hatte! Husten, Röcheln, Schuhe die verzweifelt gegen eine Wand traten und scharrten. Blitzschnell sortierten meine Sinne die Informationen als Gesamtbild zusammen und ich rannte los! Jemand brauchte dringend Hilfe!

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Zweites Shipping incoming? ;)

Mein Praktikum ist vorbei und jetzt habe ich nochmal einen freien Monat, um zu entspannen und wieder mehr zu schreiben, bevor das Studium beginnt! Ich versuche die Zeit gut zu nutzen und wenn möglich die FF fertig zu schreiben und zu veröffentlichen, bevor ich wieder zu viel Stress um die Ohren habe.

We are Heroes! (#Stexpert)Hikayelerin yaşadığı yer. Şimdi keşfedin