Flucht aus Winterfell

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So würde es enden.
Am Fuß der Mauern von Winterfell, in einer hohen Schneewehe, deren Dasein sie bei diesem Wetter nur vermuten konnte.
Sansa sog die eisige Luft ein und Schneeflocken verklebten ihr die Nase. Sie konnte durch den dichten Schneefall und die Dunkelheit nicht bis zum Boden sehen.
Das war einerseits schlecht, denn sie konnte nur hoffen, dass der Schnee sich hoch genug türmte, um ihren Sturz soweit zu mildern, dass ihr Brans Schicksal, oder der Tod erspart blieb.
Das war andererseits gut, weil es bedeutete, dass die Wachen sie nicht sehen konnten, wenn sie sich aufrappelte und auf den Wald zulief.
Vor ihren Füßen war nur Schwärze. Sie atmete ein letztes Mal ein, schloss die Augen und sprang.

***

Sansa hatte in ihrem kargen Zimmer gesessen und versucht, sich auf eine Stickerei zu konzentrieren, die sie nur angefangen hatte, um die Zeit totzuschlagen. In Winterfell war sonst nichts für sie zu tun gewesen. Draußen wäre sie wahrscheinlich Ramsey, oder einer seiner Gespielinnen über den Weg gelaufen, was Sansa, wenn irgend möglich, hatte vermeiden wollen. Sie waren wie die Hunde, die sie so sehr zu lieben schienen und würden die leiseste Aufregung an ihr erschnüffeln.

Welche Wahl war ihr geblieben? „Es muss immer ein Stark auf Winterfell sein." Die Worte ihres Vaters hatten ihr noch im Herzen nachgeklungen.
Aber sie wußte, was dem blonden Mädchen angetan worden war. Einige Tage zuvor war es von Ramsey und Myranda, der Tochter des Zwingermeisters, und ihren Hunden durch den Wald gehetzt worden. Das Mädchen war das Wild gewesen. Was genau sich dort abgespielt hatte, hatte Sansa nicht erkennen können, als sie das Treiben von den Burgmauern aus beobachtete, aber sie hatten nur die Haut der jungen Frau zuückgebracht, und die Hunde waren voller Blut gewesen.
Das Wappen der Boltons zeigte nicht von ungefähr einen gehäuteten Mann und Ramsey gab sich alle Mühe, dem Banner gerecht zu werden.
Sie hatte geahnt, was für ein Leben ihr an seiner Seite bevorstand. Und am Leben würde er sie nur solange lassen, wie er sie brauchte, um einen rechtmäßigen Erben von Winterfell mit seinem Namen zu zeugen.
Danach würde sie selbst von Myranda durch den Wald gejagt werden, die Hunde mit gefletschten Zähnen und triefenden Lefzen auf ihren Fersen, während Ramsey sich an dem Schauspiel ergötzte.

Sie hatten sie bereits eingesperrt, denn ihr war verboten worden, die Burg zu verlassen.
Allein der Anwesenheit Petyr Baelishs war es zu verdanken gewesen, dass sie sich wenigstens innerhalb der Mauern ohne Einschränkung hatte bewegen dürfen. Auch diese kleine Freiheit hätte man ihr nach der Abreise Littlefingers genommen, der nach King's Landing gerufen worden war, die Sieben mochten wissen, warum.
Ramsey hatte bereits durchblicken lassen, dass er es angemessen fände, wenn seine Braut sich ganz ohne Ablenkung auf die Hochzeit und die folgende Nacht vorbereiten könne, was nichts anderes hieß, als dass er vorhatte, sie in ihrem Zimmer einzusperren.
Es hatte in dieser Nacht geschehen müssen und sie hoffte, dass ihr Helfer sie nicht verraten hatte und auf sie warten würde.

Vor zwei Tagen war ihr von der alten Frau, die ihr bei den notwendigsten Verrichtungen als Kammerdienerin half, unvermittelt eine Botschaft zugeraunt worden. „Der Wolfswald wartet in der Nacht. Der Norden erinnert sich." Mehr hatte keine von ihnen zu sprechen gewagt.
Diese kurzen Sätze, waren alles gewesen, was Sansa benötigt hatte. Sie bedeuteten, dass er bereit wäre und auf sie warten würde.
Der Wolfswald lag hinter dem Nordtor und das war in der Regel nicht besonders gut bewacht. Trotzdem war ihr bewußt geworden, dass sie die Burg nicht auf diesem Weg würde verlassen können. Als sie ihren Plan besprochen hatten, hatte keiner von ihnen daran gedacht.
Offenbar verließ er sich darauf, dass sie einen Weg nach draußen finden würde, weil sie die Burg seit ihrer Kindheit kannte.

Nicht weit vom Nordtor entfernt, stand der marode Turm, von dem einst ihr Bruder gestoßen worden war. Sie hatte vor gehabt, vorzugeben, die Krypta aufsuchen zu wollen, sollte sie jemandem begegnen, wäre aber dann statt hinab, nach oben gestiegen. Ein schmaler Durchgang führte dort auf die Wehrmauer. Dort kannte sie eine Stelle neben dem Tor, wo der Wind den Schnee zu einem Hang aufzutürmen pflegte, und die sich hoffentlich dazu eignete, hinabspringen.
Sollte ihr das gelungen sein, müsste sie nur noch die langen Meter bis zum Wald zurücklegen, so schnell sie konnte. Sobald sie die Bäume erreicht haben würde, wäre sie in Sicherheit. Zumindest, wenn sie nicht die Hunde brächten und wenn er tatsächlich auf sie warten würde.
Er sollte sie fortbringen, nach White Habour und dann weiter über das Meer, bis zu der schon zu ihren Lebzeiten legendär gewordenen „Mutter der Drachen". Sie war Sansas einzige Hoffnung darauf, den Norden zurückzugewinnen und die Boltons aus ihrem Zuhause zu vertreiben, anstatt von Ramsey auf mannigfaltige Arten mißhandelt und schließlich von seinen Hunden zu Tode gehetzt zu werden. Dann wären Winterfell und der Name Stark endgültig verloren und mit ihm der Norden.

Sie hatte voller Unruhe die letzten Stunden des Tages vergehen lassen; ihre Stickerei hatte eher wie etwas ausgesehen, was Arya hervorgebracht haben mochte, nicht wie eine ihrer sonstigen feinen Arbeiten.
Es war kurz vor Neumond, weshalb man kaum eine Hand breit sehen konnte. Seit Stunden hatte es geschienen, als würde der Schneefall zunehmen und in der Burg war es ruhig gewesen.
Sie hatte fest gehofft, dass ihr vermeintlich zukünftiger Ehemann die Nächte vor seiner Eheschließung nutzen würde, um sich ausgiebig mit Myranda zu vergnügen.

In dem Glauben, die Zeit richtig einzuschätzen, hatte sie rasch die wärmste Kleidung angelegt, die sie hatte finden können. Darüber hinaus hatte sie nichts mitzunehmen gehabt, denn sie besaß nichts. Die kläglichen Reste ihres Schmucks hatte sie ihrem Komplizen als Bezahlung und zur Deckung der Kosten gegeben, die die Reise verursachen würde.

Sansa hatte vorsichtig ihre Tür geöffnet, ganz langsam, um ein Knarren zu vermeiden. Dann hatte sie den Kopf durch den Spalt gesteckt und den Flur hinauf und hinab gespäht. Zu ihrem Glück hatte der Gang verlassen im Halbdunkel da gelegen.
Als wäre es in keiner Weise ungewöhnlich, dass die Lady von Winterfell um kurz nach Mitternacht in voller Reisekleidung durch die Burg spazierte, hatte sie die Schultern gestrafft und sich auf den Weg gemacht.
Tatsächlich hatte sie den Turm ohne Probleme erreicht und, soweit sie es hatte beurteilen können, auch ohne gesehen zu werden. Ihr Herz schnell in ihrem Hals geschlagen.
Sie war über die kaputte Holztreppe nach oben gestiegen, hatte sich durch den schmalen Durchlass gezängt und war an der Mauer entlang gehuscht, bis zu der Stelle, an der sie geplant hatte, nach unten zu springen.

***

Durch den dichten Schneefall war nichts zu erkennen. Der Wald lag ruhig, irgendwo da hinten in der Tiefe der Nacht. Es war kalt. Kalt und nass und finster. Sie hatte sich nach einem kurzen Moment der Benommenheit gezwungen, die Augen zu öffnen, aber es machte kaum einen Unterschied. Sie sah nichts. Sie blieb noch einen Augenblick unbeweglich und lauschte, ob Schritte zu hören waren. Nichts, alles blieb ruhig.

Sansa kämpfte sich aus dem Schnee, so leise sie konnte, bis sie wieder festeren Boden unter ihren Stiefeln spürte. Die dicke Wolle ihrer Kleidung zog sie nach unten und sie verhedderte sich in ihrem Umhang, als es ihr fast gelungen war, aufzustehen. An ihrem Nacken schmolzen Eiskristalle und Wasser lief ihr in den Kragen. Sie schauerte. Doch sie biß die Zähne zusammen und endlich war es geschafft. Sie stand frei vor der hohen Mauer von Winterfell, die nun ihr einziger Orientierungspunkt war.
Von hier lief sie los, hinein in das Schneegestöber und die Schwärze, in die Richtung, in der sie den Wald vermutete - und ihn.
Obwohl sie im Norden aufgewachsen war, hatte sie Ritten, oder gar Wanderungen durch den Schnee nie etwas abgewinnen können. Während Arya und ihre Brüder durch die Wälder streiften, oder voller Übermut ihre Pferde durch den Schnee rund um Winterfels trieben, hatte Sansa lieber im Warmen gesessen und Lieder von Rittern und schönen Jungfrauen gelesen. Oder sie hatte Kleider genäht und bestickt, die sie mit ihren jungen Jahren für einer Hofdame würdig hielt.
Jetzt verfluchte sie sich dafür, denn sie hatte vollkommen die Orientierung verloren und wußte nicht, wie sie sie zurückgewinnen konnte. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als immer weiter zu laufen, in der Hoffnung dort anzukommen, wo sie hin wollte.
Ihr Atem klang laut in ihren Ohren und mehr als einmal vermeinte sie, das Schnaufen und Schnüffeln der Hunde hinter sich zu hören.
Aber wenn sie sich umdrehte, war da nichts als Stille und Schwärze.

Unvermittelt stieß sie gegen etwas Hartes. Sie konnte nicht verhindern, dass sich ein kleiner Schrei der Überraschung von ihren Lippen löste, erkannte aber im selben Augenblick, dass es ein schmaler Stamm war, der ihre Flucht so aprupt aufgehalten hatte.
Der erste Baum des Wolfswaldes. Hinter ihr war noch immer alles ruhig.
Sie ging jetzt langsam und tastete sich vorsichtig weiter.
Sansa hatte nicht die geringste Ahnung, wo sie sich hinwenden sollte, oder wo genau er wartete.
Der Schnee fiel hier nicht mehr so dicht, aber die Finsternis war undurchdringlich.
Plötzlich legte sich ein Arm von hinten um ihre Schultern und presste ihr eine behandschuhte Hand auf den Mund. In diesem Moment waren die geschnarrten Worte, die darauf folgten der schönste Laut, den sie sich vorstellen konnte: „Pscht, kleiner Vogel. Ich bin's.".

Vom Feuer geküsst }}FanFiction{{ Game of ThronesWhere stories live. Discover now