E I N S

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Pepper:

Ich wache mitten in der Nacht auf, draußen ist es stockdunkel. Ich habe keine Ahnung, was mich geweckt hat. Ein Blick auf den Digitalwecker verrät mir, dass es erst halb zwei ist. Ich stehe auf und ziehe mir einen kuscheligen Morgenmantel über, während ich mich versichere, dass Tony schläft. Dann tapse ich in die Küche um die Kaffeemaschine in Gang zu werfen, als ich plötzlich innehalte. Sind das Schritte? Ich lausche angestrengt. Ja, eindeutig. Tony ist es nicht, er poltert meistens durch die Villa wie ein übergewichtiger Elefant auf Drogen. Ich atme tief ein und versuche, nicht auszuflippen. In Tonys Büro befinden sich die Bildschirme mit den Life-Übertragungen der Überwachungskameras. Ich beschließe, mich bei meinem Freund nochmal für die pastellblauen, flauschigen Socken zu bedanken, die er mir letztes Weihnachten angedreht hat, denn so schleiche ich geräuschlos durch die Gänge. Im Büro stürze ich mich auf die vielen kleinen Bildschirme und gehe sorgfältig alle Übertragungen durch. Küche, Wohnzimmer, Keller, Eingangsbereich... Da! Ich konzentriere mich auf das Kamerabild, dass die Haustür zeigt. Es ist eindeutig nicht Tony darauf zu sehen. Ich sehe eine kleine Gestalt, Eins Fünfundsechzig vielleicht, mit einem violetten Kapuzenpulli, dunklen Leggings und einem Paar Turnschuhen. Sie streift die Kapuze ab und ich erkenne neben langen, dunklen Haaren ein blasses Mädchengesicht. Ich schätze sie auf maximal neunzehn – und ungefährlich. Also verlasse ich meine Überwachungszentrale und steuere zielstrebig auf den Vorraum zu. Sie steht noch immer dort, die Hände in den Pulli geschoben und verlagert ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen. „Darf ich fragen, was du hier machst?", durchbreche ich die Stille. Erschrocken zuckt ihr Blick zu mir, dann entspannt sie sich sichtlich. „Oh, Hi Pepper", begrüßt sie mich und ich lege überrascht den Kopf schief. „Kennen wir uns?", frage ich. „Bis jetzt noch nicht, nein. Ich bin Caitlin Riggs." Ich schüttele verwirrt den Kopf. „Sagt mir nichts, tut mir leid." Sie zieht die Augenbrauen hoch und fixiert einen Punkt hinter mir. „Du hast ihr nichts von mir erzählt? Sorry, Tony, aber manchmal bist du ein wandelndes Klischee." Ich drehe mich um und tatsächlich, da steht Tony, im Schlafanzug und mit verwuschelnden Haaren und starrt müde unseren Gast an. „Was machst du hier, Cat?", fragt er erschöpft. „Mom und ich hatten Zoff. Also bin ich ausgezogen. Ich nehme an, dass du mir den Schlüssel nicht ohne Grund geschickt hast." Ich massiere sanft meine Schläfen, um mich selbst zu beruhigen. Ich habe das Gefühl, gleich zu platzen. Tony wird der drohenden Gefahr gewahr und sagt schnell: „Warum nimmst du dir nicht einfach ein Zimmer bei uns und wir reden morgen darüber?" Caitlin nickt. „Ich wette, du hast sowieso zu viele." Mit diesen Worten zischt sie ab und lässt meinen Freund und mich allein. „Sag mir bitte nicht, dass sie ist, was ich denke", wende ich mich an ihn. „Was denkst du denn?", fragt er vorsichtig. „Wie viele Jahre habe ich für dich gearbeitet, Tony? Wie oft hättest du mir sagen können: ,Ach ja, so nebenbei, ich habe eine TOCHTER?' ", platzt es aus mir heraus. „Spätestens nach New York, als wir wussten, dass es hält zwischen uns, warum hast du es nie auch nur erwähnt?" Ich atme tief ein und setze zu einem neuen Vorwurf an, aber mir fällt nichts mehr ein und ich lasse die angestaute Luft wieder entweichen. Zum vermutlich ersten Mal in seinem Leben fällt Tony kein dummer Spruch ein, mit dem er die Situation retten könnte. Ich kneife die Augen fest zusammen, um mich zu sammeln, dann öffne ich sie wieder und frage mit matter Stimme: „Wie alt ist sie eigentlich?" „Sie wird im Jänner neunzehn", gibt Tony eifrig Auskunft. „Außerdem hat sie einen Highschool-Abschluss." „Zu dem du wahrscheinlich nie erschienen bist", ergänze ich trocken. Er nickt. „Warum will sie eigentlich bei dir einziehen?", frage ich. „Wann hast du sie das letzte Mal gesehen?" „An ihrem fünften Geburtstag", gibt Tony zu. Ich reiße die Augen auf. „Hast du seither nie Kontakt zu ihr gehabt?" „Ich habe ihr Postkarten geschickt." Nicht überzeugt verschränke ich die Arme vor der Brust. „Ich habe auch nie nur eine aufgegeben", kontere ich. „Ich hab' sie selbst zur Post gebracht", murmelt er verlegen. Das überrascht mich. „Hör zu, Pep, ich weiß, dass das für dich ein Schock ist und so, aber können wir nicht morgen darüber reden? Ich bin todmüde." Ich nicke unwillig und folge ihm zurück ins Schlafzimmer. „Eins noch", werfe ich ein, „Wer ist Caitlins Mutter?" Doch Tony Stark ist schon selig im Land der Träume. Ich seufze und schnappe mir mein Smartphone. Caitlin Riggs. Vermutlich ist Riggs der Nachname ihrer Mutter, also jage ich ihn durchs Internet. Mir werden einige Artikel über ein Model namens Bethany Riggs angezeigt, die in Tonys Beuteschema passen würde. Ich öffne einen von ihnen und werde von der Ablichtung eines aufgetakelten Blondchens mit aufgespritzten Lippen, ungefähr Mitte vierzig schockiert. Im darunter folgenden Bericht wird Bethanys pompöser Untergang beschrieben, der offenbar durch Drogenorgien eingeleitet und von öffentlichen Besäufnissen besiegelt wurde. Tatsächlich finde ich sogar etwas über ihre Tochter, die zwar namentlich nicht genannt wird, die Bethany aber auf die Frage eines Paparazzos hin als „egoistischen, selbstbezogenen Problem-Teenie" beschreibt. Ich seufze. Das kann ja heiter werden.

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