N E U N Z E H N

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Marco sieht mich einfach nur an. Dann schüttelt er den Kopf und öffnet die Tür vollständig. „Komm erst mal rein, Caitlin." Aber weil ich mich wie gelähmt nicht vom Fleck rühre und ihn einfach nur anstarre, kommt er nach draußen und schiebt mich an den Griffen ins Innere. In seinem Zimmer stellt er mich in eine Ecke. „Ich hole dir einen Pullover von meiner Schwester, sie müsste bei ihrem letzten Besuch etwas dagelassen haben", erklärt er und verschwindet wieder aus dem Raum. Ich weiß noch, dass er mir beim letzten Mal von seiner Schwester Alessia erzählt hat, die in Europa studiert. Es kommt mir vor wie mindestens Wochen, tatsächlich ist es aber erst zwei Tage her. Zu viel ist in den letzten Stunden passiert.

„Hier, das müsste dir passen." Marco reicht mir einen dunkelgrünen Oversize-Pullover und eine weite Baumwollshorts. „Eine längere Hose, die über den Gips geht, hat sie nicht da", meint er entschuldigend. „Zieh dich um, ich hol dir in der Zwischenzeit ein Handtuch für deine Haare." Erst jetzt merke ich, dass meine braunen Wellen in nassen Strähnen in meinem Gesicht und Nacken kleben und eine tropfende Spur von der Eingangstür zu Marcos Zimmer hinterlassen haben. Ich öffne den Mund und ein gekrächztes „Danke" entweicht meinen Lippen. Er nickt nur und wendet sich zum Gehen. Ich warte, bis er die Zimmertür hinter sich schließt, bevor ich mich aus meinem durchnässten T-Shirt und der Jogginghose schäle.

„Also, Cat, du beruhigst dich mal und dann erzählst du mir, was passiert ist." Meine Haare sind notdürftig getrocknet, mit zahlreichen Verrenkungen habe ich mein Gipsbein aus der Jogginghose befreit und mit die Shorts übergezogen, und der Pullover ist weich und warm und hat einen ähnlichen Duft wie Marco. Dieser drückt mir ein orangefarben verpacktes Bonbon in die Hand, das ich sofort auspacke und mir in den Mund schiebe. Die gewohnte Tätigkeit beruhigt meine zitternden Fingern und langsam beruhigt sich mein Herzschlag wieder.
Für einige Minuten herrscht Stille, in der ich meine Gedanken zu sortieren beginne. Daran, dass mir mein gedankenloser Auftritt vor Marcos Haus peinlich wird, merke ich, dass Klarheit wieder die Überhand in meinem Kopf hat.

Was passiert ist? Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass meine Mutation etwas anders aussieht als gedacht.

Hätte ich meine Entdeckung zuerst Tony oder Banner oder Pepper oder irgendjemandem von S.H.I.E.L.D. mitteilen sollen? Definitiv. Aber in meiner Panik hat mich mein Bauchgefühl instinktiv zu einer Person gelenkt, die nicht schon mit übernatürlichen Wesen zu tun gehabt hat, jemand, der sich genauso fühlen würde, wie ich es gerade tue.

„Ich ... ich habe etwas entdeckt", stammele ich schließlich und atme zittrig ein. Marco kniet sich vor den Rollstuhl hin und packt mit seinen Händen meine Schultern. „Ganz ruhig, Ragazza. Lass dir Zeit." „Ich glaube, ich kann es gar nicht beschreiben", murmele ich und senke den Blick. „Es ist - ich glaube, nein, ich bin mir ziemlich sicher, dass es mit meiner Mutation zu tun hat."
Marcos Schokoladenaugen halten meine fest. „Rede weiter", bittet er, doch ich spüre, dass er trotz der oberflächlichen Ruhe langsam angespannt wird. „Ich weiß gar nicht, wie es passiert ist", beginne ich zögerlich. „Ich – ich glaube, ich muss es dir zeigen, ich weiß nicht, wie ich es nennen soll." Unsicher beiße ich auf meine Unterlippe und blicke ich in sein besorgtes Gesicht. „Versprich mir, dass du nicht ausflippst, weil ich sonst auch durchdrehe, eigentlich habe ich keine Ahnung, warum ich noch so verhältnismäßig ruhig bin. Und setz dich am besten auf dein Bett, damit du etwas Abstand zu mir hast." „Cat-", setzt er an, doch ich unterbreche ihn. „Bitte, Marco. Ich brauche dich jetzt." Also gibt er sich geschlagen und nimmt im Schneidersitz auf seinem Bett platz, leicht nach vorne gebeugt und den Kopf auf die rechte Hand gestützt.

Ich sehe mich in seinem Zimmer nach einem geeigneten Versuchsobjekt um. „Ist das ungefährlich?", meldet sich Marco wieder. „Ich glaube schon", murmele ich, während ich einen Kugelschreiber auf seinem Schreibtisch ins Auge fasse. „Zumindest ist die letzten drei Male nichts passiert." Ich blicke auf. „Siehst du den Kulli auf deinem Tisch?"
Ich warte sein etwas verwirrtes Nicken ab, dann schließe ich die Augen und suche nach dem kleinen Ball in meinem Brustkorb, der mit einem sanften Brummen erwacht. Eigentlich ist das Gefühl ganz angenehm, warm und entspannend, entscheide ich. Ich spüre, wie ich meinen Körper verlasse und öffne die Augen.
Mein Körper sitzt mit geschlossenen Augen im Rollstuhl, während Marco auf dem Bett seinen etwas beunruhigten Blick zwischen Kugelschreiber und mir hin und her huschen lässt. Nacheinander fokussiere ich mich auf den Kugelschreiber und meine rechte Hand, dann ziehe ich und kehre zurück in meinen Körper, wo ich die Augen öffne.

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