Prolog

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Ein schrecklicher Schrei zerriss die Luft. Eine Reihe uniformierter und schwerbewaffneter Männer zog durch die Straße an der verkohlten Ruine eines Hauses vorbei. Hinter diesen Resten duckte ein Kind. Über seine Stirn rannen große Schweißperlen der brennenden Hitze und der Angst, die ihn umklammerte. Er hatte sich gerade noch rechtzeitig verstecken können. Sein Körper zitterte und seine Augen waren weit aufgerissen. Ryu atmete schwer und schnell, als ob er zu ersticken drohte.
Was ist hier los? Was ist hier los?
Er umklammerte seine dünnen Beine fester. Noch eben war er beim Training gewesen. Und nun stand sein Zuhause in Flammen. Der Schrei hörte sich vertraut an. Ryu wurde vom Gestank des brennenden Holzes und der Leichen überwältigt. Er spürte eine Übelkeit in sich aufsteigen. Er übergab sich. Langsam hob er seinen Kopf aus der Ruine heraus. Er sah vor lauter Rauch kaum was. Es war wie eine schwarze dichte Wolke, die alles um sich herum verschlang.
Der Junge stieg vorsichtig aus seinem Versteck hinaus. Er hörte das Knacken und Knistern des Feuers. Plötzlich ertönte ein lauter Knall. Ryu fühlte, wie es sein Trommelfell beinahe zerriss. Er stürzte sich zu Boden und hielt sich die Arme vor den Kopf. Es folgte ein weiterer Knall. Bei jedem Kanonenschuss spürte Ryu den Boden beben. Tränen rannen über seine Augen und vermischten sich mit dem Dreck der Erde.
Ich muss meine Eltern finden! Wo sind sie?
Er versuchte sich aufzurappeln, doch stolperte und wankte gerade noch rechtzeitig zu der nächsten Mauer, um sich zu stützen. Alles war verwüstet. Die Häuser waren so zertrümmert, dass er nicht einmal wusste, wo er sich in seinem Dorf befand. Er taumelte mit zitternden Beinen weiter. Sein Herz pochte so schnell, dass er es bis in seine Kehle fühlen konnte. Seine Hände waren kalt wie Eis und schwitzten. Ryu versuchte sich die Schüsse zu Feuerwerk vorzustellen. Das Feuer waren bunte Lichter. Der Gestank kam von einem Lagerfeuer. Er stellte sich ein Fest vor. Durch die Straßen zogen die Clanbewohner in geschmückten Trachten und sangen Lieder. Sie lagen nicht auf dem Boden zerstückelt oder verbrannt. Sie schrien nicht vor Qualen. Ryu bog wankend um eine Ecke.
»Junge!«, hörte er ein schwaches Krächzen. Ryu drehte langsam und voller Entsetzen seinen Kopf zur Seite. Sein Herz setzte einen Schlag aus und er fühlte erneut eine Übelkeit in sich aufsteigen. Hinter einem umgeworfenen Fass mit Obst, sah er einen Krieger, der sich mühsam an die Wand gelehnt hatte. Sein unteres rechtes Bein fehlte und hatte stattdessen einen blutüberströmten Stummel. Doch er schien noch zu leben. Er stöhnte vor Schmerzen und Ryu sah, dass seine Brust von drei Löchern zerfetzt war. Der Krieger hustete und keuchte. Ryu lief zu ihm und kniete sich nieder. Er schaute in sein Gesicht und nicht auf das Grauen was sich darunter befand.
»Was ist hier passiert?«, brachte er mit einem kraftlosen Hauchen von sich, »Wo sind meine Eltern?«
Der Krieger hob schwach seine blutverschmierte schmutzige Hand. Ryu nahm sie. Sie war kalt wie Eis. Der Junge schluckte. Dieser Mann lag im Sterben.
»Deine Eltern-«, brachte der Mann hervor und hustete Blut, »Der Versammlungsplatz- es sind die Truppen der Prinzessin!«
Ryu verstand nicht, was er meinte. Der Mann hustete erneut und lehnte seinen Kopf langsam zurück.
Er schloss seine Augen. »Finde sie, Ryu! Du musst es...ihnen...sagen...«
Ryu spürte, wie das Blut in seiner Hand erstarrte. Er nahm eine Bleiche und Kälte an, die Ryu bis ins Mark traf. Er lies schnell die Hand los und schrie. Vor seinen Augen drehte sich alles und seine Sicht verschwamm. Er stand auf und wankte rückwärts.
»Mama! Papa!«, schrie er mit tränenüberströmtem Gesicht. Er begann zu rennen. Er rannte so schnell, dass er das Gefühl hatte, abzuheben. Die brennenden Häuser, die Leichen, das Blut zog an ihm vorbei. Nur noch eine Ecke.
Er begann zu lächeln. Gleich wird er sie wieder sehen. Gleich werden sie ihn umarmen und in Sicherheit bringen. Sie werden sich freuen, ihn am Leben zu sehen. Dann würden sie seinen Bruder suchen und alles würde gut werden.
Es ist nur ein Alptraum! Nur ein Alptraum!
Er schoss durch den dichten Rauch hindurch.
»Mama! Pa-«, er brach ab.
Es traf ihn wie ein Schlag ins Gesicht.
Plötzlich umgab ihn Stille.
Ungläubig starrte er auf das Schlachtfeld vor sich. Unmengen von Blut tränkten das dunkle Grass, dass in der Schwärze der Nacht wie ein See wirkte.
Vor ihm lagen seine Eltern.
Auf furchtbarste Art ermordet.
Ryu sank langsam auf die Knie. Sein Mund öffnete sich, aber es kamen nur undeutliche Laute heraus. Er fühlte, wie ihm der Boden unter den Füßen weggerissen wurde und die Welt um ihn herum in Tausende Scherben zersprang.
Er streckte seine Hand aus und berührte den Kopf seines Vaters. »Papa?«, fragte er und seine Stimme brach ab. Er tippte ihn wiederholt an. Keine Reaktion.
Ryus Blick wanderte langsam von seinem Vater zu seiner Mutter. Ihre Augen waren weit aufgerissen und erstarrt. Sie spiegelten blankes Entsetzen wider. Ihre Gesichtszüge waren vor Angst verzerrt. Man hatte ihr die Kehle durchgeschnitten. Aber erst nachdem man sie gezwungen hatte, zu sehen, wie ihr Mann zuerst ermordet wurde. Sein Körper war mit Stichen durchlöchert.
Ryu begann zu schreien. Er fiel mit seinem Oberkörper nach vorne und übergab sich erneut. Die Welt um ihn herum drehte sich. »Warum!? Warum?!«, er begann mit den Fäusten in die steinige und sandige Erde zu schlagen. Das ist nicht echt! Das darf es nicht!
Er merkte nicht wie seine Hände blutig wurden. Alles, was er spüren konnte, war eine schwere Leere, die sich in ihm ausbreitete. Seine Trauer wurde zu Wut und wieder zur Trauer. Er begann zu schluchzen. Plötzlich hörte er ein leises Wimmern. Ryu fuhr auf. Vor ihm stand sein kleiner Bruder. Sein helles Haar, war jetzt grau vom Schmutz.
»Ryu«, schniefte er, »Was ist mit ihnen? Warum hören sie uns nicht?«
Ryu war unfähig zu antworten. Er stand mit wackelnden Füßen auf und packte Jiro am Arm. Sein Bruder durfte keine Sekunde länger dieses Grauen ertragen. Er zerrte und schleifte ihn durch den Clan. Er wusste nicht in welche Richtung er ging. Sie mussten raus. Hier herrschte der Tod.
»Es wird alles gut«, flüsterte er zu Jiro, doch mehr zu sich selbst. »Es wird alles gut«, wiederholte er. Und wieder. Und wieder.
Plötzlich wurden er und Jiro umgeworfen. Aus Ryus Jackentasche fiel ein kleiner goldener Drache, den er immer bei sich trug. Ein Schlag traf Ryu am Kopf. Ryu öffnete benommen die Augen und sah eine verschwommene Gestalt. Es war ein Soldat. Er hatte eine blutverschmierte Rüstung an. Sein Blick war leer und kalt. Er zog sein Schwert und richtete es auf seinen Bruder. Jiro schrie ängstlich auf und versuchte verzweifelt wegzukriechen, doch der Soldat packte ihn am Kragen.
»Dreckiges DragonClan Pack!«, donnerte seine Stimme. Er setzte mit seiner Klinge an, da warf sich Ryu auf ihn. Dabei fiel sein linker Arm auf das Schwert.
Ein explosionsartiger Schmerz fuhr durch Ryus Körper und er schrie auf. Er fühlte die Klinge in sein Fleisch dringen.
Der Soldat versuchte ihn abzuwerfen, doch Ryu klammerte sich fest an ihn und spuckte ihm ins Gesicht. Der Mann fluchte laut und versuchte sich zu befreien.
Damit schnitt er die Klinge immer tiefer in Ryus Arm. Ryu sah das Blut aus einer riesigen Wunde ununterbrochen fließen. Sein Arm fühlte sich dumpf und taub an. Er spürte, wie ihn die Kräfte verließen. Dem Mann gelang es schließlich den Jungen abzuwerfen und er trat ihm kräftig in den Bauch. Ryu keuchte unter Schmerzen. Für einen Moment bekam er keine Luft. Seine Sicht verschwamm und er begann seltsame Flecken zu sehen.
Er schloss die Augen und es passierte... nichts. Kein Todesschlag folgte mehr. Stattdessen hörte Ryu ein lautes matschiges Geräusch. Er öffnete schwach seine Augen.
Seine Sicht war doppelt und er erkannte nur, wie der Mann zu Boden sank. Hinter ihm stand ein Ryu unbekanntes Mädchen mit einem Schwert in der Hand. Sie hatte dunkles Haar und funkelte ihn mit einem Auge an. Das andere schien im Schatten verborgen zu sein, doch als sie ihr Gesicht zu ihm wendete, meinte er zwei verschiedene Augenfarben erkennen zu können. Er versuchte etwas über seine Lippen zu bringen, doch er war zu schwach.
Er fiel zurück und sah nur noch den schwarzen Nachthimmel, der begann hell aufzuleuchten. Er vernahm Rufe und viele Schritte, aber seine Augen schlossen sich. Das letzte, was er sah, was das verschwommene Gesicht des Mädchens, das ihn gerettet hatte.
War das... ein Engel?

The Fate Of The Dragon Warrior - The Hunt BeginsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt