Kapitel 1

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Ich stand gerade unter der Dusche, als ich den Anruf bekam, dass mein Bruder wegen Mordes verhaftet wurde. Vor Schreck rutschte mir fast das Handy aus der Hand. Hastig stellte ich das Wasser ab und wickelte mich in mein großes Badetuch. Ich hinterließ eine Spur von feuchten Fußabdrücken auf den weißen Fliesen, als ich das Badezimmer verlies und mich im Wohnzimmer wie ein nasser Sack auf die Couch warf.

Ich hatte damit gerechnet, dass mein Bruder irgendwann Schwierigkeiten bekommen würde, allerdings hatte ich mir darunter immer etwas vollkommen anderes vorgestellt. Trevor hatte schon immer eine Vorliebe dafür gehabt, seine Nase in Dinge hineinzustecken, die ihm nichts angingen. Und als ob das nicht schon genug gewesen wäre, konnte er es nie dabei belassen. Er wollte immer ganz genau wissen, wie die Welt funktionierte.

Ich konnte mich an Abende erinnern, wo mein Bruder neben mir saß, vor ihm ausgebreitet dutzende Listen, Namen und Papiere. Manchmal half ich ihm dann, seinem ganzen Material eine Ordnung zu verschaffen. Wir erstellten kleine Übersichten von Personen und deren Netzwerke, analysieren die Wahlprogramme und die aktuellen Entwicklungen in der Politik. Mir war immer klar, dass die Arbeit als Journalist nicht ganz ungefährlich war. Besonders mit dem Ehrgeiz meines Bruders, eine echte Story zu verkaufen. Er konnte sich nie mit den kleinen Fischen zufrieden geben. Er wollte immer etwas schreiben, was die Menschen zum Nachdenken über die Politik bringen sollte. Er war ambitioniert Schwachpunkte und leere Versprechungen aufzudecken. Viele Jahre verbrachte er damit, nicht nur die Netzwerke und das Umfeld von Politikern zu observieren, sondern zu einem gewissen Grad auch an deren Leben teilzuhaben. Er besuchte Veranstaltungen und redete mit Kontakten aus der Wirtschaft und dem Privatleben. Ich dachte, dass das sein Leben wäre: Journalismus und Politik. Die Art von Schwierigkeiten, die ich mir für ihn vorstellen konnte, waren Unterlassungsklagen oder skandalöse Aufdeckungen, die auf beiden Seiten viel Ärger und Missgunst hervorrufen konnten.

Und dann eines Tages, hörte er einfach auf mit seiner Arbeit, schrieb immer weniger und wühlte immer seltener in seinen Unterlagen. Ich sah ihn kaum noch und er redete davon, seinen Job an den Nagel zu hängen. Ich dachte an ein typisches Burn Out und riet ihm, einfach mal zu entspannen. Ich hatte mir keine großen Gedanken darüber gemacht. Bei seiner Arbeitsweise schien das nur die logische Konsequenz zu sein. Jetzt wurde er verhaftet. Mein Kopf fühlte sich leer an. Was war in der Zwischenzeit geschehen?

Ich lauschte der Stimme am Telefon: Trevor wurde vorgeworfen einen Polizisten getötet zu haben. Über den genauen Tatvorhergang wusste man nicht viel, denn mein Bruder hüllte sich in eisernes Schweigen. Angeblich gab es eine Schießerei im Rahmen eines Überfalles auf eine Tankstelle. Der Gedanke, dass mein Bruder jemanden überfallen würde, war absurd. Das hatte er überhaupt nicht nötig. Mit jeder Minute wurde die ganze Geschichte bizarrer. Das Wort Polizistenmord hallte in den unendlichen Tiefen meines Gehirns wieder, wie ein Echo. Als ob nicht schon ein normaler Mord schlimm genug gewesen wäre, aber bei einem normalen Mord, hätte ich vielleicht an Notwehr gedacht oder an eine ausweglose Situation. Dass es sich dabei um einen Polizisten handelte, schien seine Schuld automatisch zu besiegeln und machte Ausreden unmöglich. Welche Gründe gab es schon, einen Polizisten zu töten? Jemanden der sein Leben dafür einsetzte, damit andere in Sicherheit leben konnten.

Ich versuchte jedes Wort und jedes Detail in meinen Kopf einzuspeichern, damit ich keines der kleinen Puzzlestücke übersehen konnte. Damit ich nichts vergessen konnte, was vielleicht in irgendeiner Weise wichtig war. Insgeheim hoffte ich darauf, dass mein Bruder unschuldig war, doch das miese Gefühl in meinem Bauch, lies mich ernsthaft daran zweifeln. Es war schon ziemlich unrealistisch rein zufällig in einen solchen Sachverhalt verwickelt zu werden. Selbst wenn er unschuldig war, musste es einen Grund dafür geben, dass ausgerechnet er verhaftet wurde. Man wurde ja nicht einfach so, wegen Mordes verhaftet. Dieser Mord muss also wirklich stattgefunden haben und mein Bruder musste zugegen gewesen sein. Sollte das nur Zufall gewesen sein?

Ich seufzte auf und bekam sofort ein schlechtes Gewissen. Wäre es nicht normal gewesen, sofort für seinen Bruder einzustehen und für seine Unschuld zu plädieren? Das Schlimme war, dass ich mir tatsächlich vorstellen konnte, dass er mit dieser Sache etwas zu tun haben könnte. Natürlich wollte ich es trotzdem nicht wahr haben. Die Frage war doch aber, wie gut man die Menschen in seinem Leben wirklich kannte. Und ich hatte das Gefühl, dass mein Bruder und ich uns schon vor langer Zeit unmerklich voneinander entfernt hatten. Würde ich ihm einen Mord zutrauen? Nein, nicht dem eifrigen Journalisten, den ich kannte. Aber ehrlich gesagt hatte ich keine Ahnung, in welche Richtung er sich in der letzten Zeit entwickelt hatte. Vielleicht hatte auch alles mit seinen Recherchen zu tun. Ich wusste nicht einmal, zu welchem Thema er zuletzt recherchiert hatte. Ich seufzte. Ich hatte ihn zu lange aus den Augen verloren. Ich hätte wahrscheinlich einfühlsamer sein müssen, ihm mehr Fragen stellen sollen. Ich hätte es nicht einfach hinnehmen dürfen, dass er sich immer seltener bei mir meldete. Doch hinter her, war man immer schlauer. Jetzt war es meine Sache, Licht in diesen Vorfall zu bringen und meinem Bruder beizustehen.

Cashed Out (Amber und Clay)Where stories live. Discover now