Kapitel 2

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Ich hatte überhaupt keine Chance Trevor zu sehen. Er wurde bereits vor meinem Eintreffen in der Polizeistation in Untersuchungshaft überstellt.

Die Cops starrten mich an, als ob ich eine Verdächtige war. Ich musste in ihrem Verhör, unzählige Fragen über mich ergehen lassen. Irgendwann hatte ich so Kopfschmerzen, dass ich einfach wieder nach Hause wollte. Unvorstellbar wie sich mein Bruder fühlen musste, mit der Aussicht für viele Jahre nicht wieder die Freiheit zu sehen. Es war sicher besser für ihn zu schweigen. Die Polizisten versuchten mich absichtlich in Widersprüche zu verwickeln und ich bereute, ihnen freiwillig und naiv Antworten zu geben. Ich hatte ja nichts zu verbergen, dachte ich, denn ich war unschuldig und ich hatte nichts mit der Sache zu tun.

Meine Gesprächspartner sahen das jedoch anders. Besonders die Rolle der Mitwisserschaft und der weiteren Bandenmitglieder, schienen sie nicht loszulassen. Beim Wort Bandenmitglieder musste ich lachen, so irreal war die Vorstellung, dass mein Bruder mitten in einer Bande steckte. Ich musste an die Lucky-Luke Comics denken, die wir als Kinder heimlich unter der Bettdecke gelesen hatten. Mein Bruder wollte immer Lucky Luke sein- niemals einer von den Daltons, in ihren hässlichen schwarz-gelben Streifenanzügen.

„Finden Sie den Mord an einem Polizisten etwa amüsant?", blaffte mich der große und etwas stabilere Cop an, welcher wie ein Tiger im Zimmer umherlief. Entweder war er überarbeitet und auf Koffein, oder er wollte mich mit diesem Verhalten absichtlich nervös machen.

Meine Miene erstarrte: „Natürlich nicht. Verzeihen Sie, Sir.", erwiderte ich schlagartig.

Ich hasste diese Art von Unterstellungen, welche einen sofort in Schwierigkeiten bringen konnten.

„Verstehen Sie doch", sagte ich, „das ist alles so vollkommen absurd für mich. Mein Bruder ist Journalist. Er hat den bekannten Artikel in der New York Times geschrieben, zur Veruntreuung der Spendengelder bei der Benefizgala in Las Vegas. Erinnern Sie sich an den Fall?"

Dieser Artikel war immer das Aushängeschild von Trevor gewesen. Investigativ recherchiert und letztendlich in einer der besten Zeitungen veröffentlicht, die man sich als Journalist wünschen konnte. Der ganze Skandal wurde medial im ganzen Land wahrgenommen und sogar noch künstlich aufgebauscht. Es traf sich gut für die Medien, dass ein namenhafter Politiker seine Finger im Spiel hatte. Doch mein Bruder war es, der den Anstoß und die Rechercheergebnisse dazu lieferte, auch wenn es am Ende allen egal war, wer den ursprünglichen Artikel geschrieben hatte und die Bezahlung gerade einmal zwei Monatsmieten entsprach. Lächerlich, wenn man daran dachte, wieviel Publicity und Aufmerksamkeit die ganze Sache gebracht hatte. Einige Tage lang gab es landesweit gar kein anderes Thema in den Medien.

„Mein Bruder hat sich der Wahrheit verschrieben, sein Handeln war dem der Polizei nicht ganz unähnlich. Er hat recherchiert und ermittelt, um der Welt die wahren Verbrecher zu zeigen.", erklärte ich.

„Die Polizeiarbeit ist nicht mit dem Journalismus zu vergleichen. Das ist eine Frechheit. Wir suchen keine Skandale oder Sensationen, sondern widmen uns dem Schutz der Menschen und der Durchsetzung der Gesetze. Gesetze, die ihr Bruder nicht anerkennt. Menschen, deren Leben ihrem Bruder nichts wert sind.", sagte der zweite Polizist.

„Mein Bruder ist kein Mörder.", rief ich trotzig, wie ein kleines Kind.

„Ihr Bruder ist viel mehr als nur das.", rügte mich der Polizist unfreundlich.

Tränen stiegen mir in die Augen und ich versuchte sie zu verdrängen. Ich würde sicher nicht hier heulen. Diese Anschuldigungen waren ohne Beweise. Man konnte meinen Bruder nicht so einfach wegen Mordes verurteilen. Es würde einen Prozess geben und es mussten Beweismittel vorgelegt werden. Es würde sich hoffentlich noch herausstellen, dass er unschuldig war.

„Das muss erst bewiesen werden", sagte ich gefasst, aber mit wässrigen Augen.

„Wir wissen dass das schwer zu akzeptieren ist. Aber Sie können mir glauben, dass die Beweislage erdrückend ist. Auf Grund der laufenden Ermittlungen darf ich Ihnen leider keine Angaben über die genaue Art des Belastungsmaterials machen.", sagte der Cop.

Den Rest des Gespräches nahm ich nur noch durch einen Schleier von zurückgehaltenen Tränen war. Ein dumpfes Pochen in meinem Kopf dämpfte die Stimmen im Raum und meine Anwesenheit war nur noch körperlich zu spüren. Immer wieder kreisten meine Gedanken um die Schuldfrage. Trevor war kein schlechter Mensch. Er hatte immer hohe Ambitionen und Ideale gehabt. Er hatte sich für seine Ziele und für den Journalismus eingesetzt. Dieser Mensch, den ich mein ganzes Leben kannte, konnte doch kein Mörder sein, oder? Ich driftete immer wieder in meinen zerstörerischen Gedankenstrudel ab und hin und wieder nickte ich stumm. Eine halbe Stunde später wurde ich dann entlassen, da ich offensichtlich nichts hilfreiches mehr beitragen konnte.

Niedergeschlagen verlies ich das Polizeirevier. Ich beschloss am nächsten Tag meinen Bruder zu besuchen, da die Befragung mit den Cops viel mehr Zeit in Anspruch genommen hatte, als ich erwartet hatte. Außerdem stand ich kurz davor zu heulen und versuchte mit dem Ärmel meines Pullovers meine Augen trocken zu wischen. Ich weiß nicht wann ich mich das letzte Mal so leer gefühlt hatte. Ich kam mir vor wie in einem Vakuum, welches alles was ich zu wissen glaubte, aus meinem Kopf sog. Die Leere wurde nun von dunklen Gedanken gefüllt und Szenen drängten sich meinem Kopf auf, in denen mein Bruder einen Menschen erschoss. Ich schüttelte mich, um diese Vorstellungen zu verdrängen. Ich wollte nur noch nach Hause.

Draußen ging bereits die Sonne unter und tauchte die Straßen in dieses irreale leuchtende Herbstlicht. Man konnte fast dabei zusehen, wie die Sonne verschwand und sich immer mehr Schatten breit machten. Irreal, das war genau das Gefühl, welches von meinem ganzen Körper Besitz ergriff, als wäre ich eine dritte unbeteiligte Person, die von Außen die Geschehnisse analysierte.

Die Besuchszeit war jetzt bereits vorbei. Nach dieser Einvernahme auf dem Polizei-Revier, sah es wohl eher danach aus, als ob ich froh sein müsste, wenn ich meinen Bruder überhaupt zu Gesicht bekommen konnte. Ich hatte noch immer Kopfschmerzen, denn das waren alles viel mehr Informationen, als ich ertragen konnte. Ich musste ihm irgendwie einen Anwalt organisieren. Allerdings musste ich dazu überhaupt erst einmal mit ihm reden. Er wüsste sicher was zu tun ist, hoffte ich.

Als ich aus dem Bus stieg, welcher an meiner Straßenkreuzung bei den Reihenhäusern mit den Apartments hielt, war die Sonne endgültig untergegangen.

Im schwachen Licht der Straßenlaterne, die viel zu weit von meinem Eingang entfernt stand, suchte ich krampfhaft meine Schlüssel. Ich hatte keine Ahnung wie man als Frau, so viele Sachen in einer kleinen Handtasche unterbringen konnte, aber es gelang mir immer ausgezeichnet. Ich war immer für alle Fälle gewappnet. Nur meine Hausschlüssel, konnte ich nie finden, ohne dass ich fast den halben Inhalt auf dem Mauervorsprung entleeren musste. Ich war mir sicher, die Passanten würden über dieses Chaos lachen und darüber, dass ich so unfähig war, den Schlüsselbund nicht einfach im Nebenfach zu verstauen. In Wirklichkeit bemerkten sie mich wahrscheinlich überhaupt nicht. Ich sah mich nach allen Seiten um und konnte kaum jemanden auf der Straße ausmachen.

Stattdessen sah ich einen schwarzen Porsche, welcher in der Nähe parkte. Fasziniert von der Schönheit des Wagens, hielt ich kurz die Luft an. Das Auto war einfach perfekt. Es war schwarz wie die Nacht, glänzend und so grazil geformt, dass es aussah als hätte jemand per Hand die Erhebungen gestaltet und ausgeformt. Das Auto musste ein Vermögen kosten. Ich konnte mir nicht vorstellen, was dieses Auto in meiner Straße zu suchen hatte, denn hier wohnten nicht unbedingt die vermögenden Menschen. Die Miete war mittelmäßig und die Apartments waren in einem einigermaßen guten Zustand, aber mehr als die Mittelschicht wohnte hier nicht. Die Wohnung war bezahlbar und das Viertel war auch ganz nett, aber niemand hier konnte sich einen solchen Wagen leisten.

Die Neugier machte sich in mir breit. Da niemand zu sehen war, schlich ich mich noch näher zum Wagen hin, um ihn zu betrachten. Wann sah man schon einen waschechten Porsche vor seinem Haus? Ich wollte ihn anfassen, um nur kurz dieses Gefühl auszukosten und mir vorzustellen, dass dieses Auto mir gehören würde. 

Cashed Out (Amber und Clay)Where stories live. Discover now