Kapitel 6

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Ich hatte die Kellnerin so weit, dass sie mir bereitwillig in den Vorraum der Toilette folgte. Wir knutschten ein bisschen und meine Hände hatten ihren Platz an ihrem ebenfalls sehr wohlgeformten Hintern gefunden. Ich war nun von einem angenehmen Ende des Abends überzeugt - bis ich plötzlich eine Faust im Gesicht hatte und die Frau von mir weggezogen wurde. Ein bulliger Typ schaute mich wütend an. Ich konnte mich gerade noch so aufrecht halten und spürte wie Blut aus meiner Nase sickerte. Der Typ brüllte mich an: "Und jetzt siehst du zu, dass du zurück nach oben zu deinen Leuten gehst - und wehe du schaust meine Freundin auch nur nochmal an!" Dass auch sie ihren Anteil an der Geschichte hatte, ignorierte der Kerl vollkommen. Wenn die Kellnerin hier häufiger arbeitete, dann hatte sich der erneute Besuch der Bar hiermit dann wohl erledigt... Schade eigentlich!

Ich war am oberen Ende der Treppe angekommen, da hatte ich auch schon Robyns Blick auf mir. Die hatte mich doch vorhin schon so komisch angeschaut, als ich mich nach und nach der Kellnerin angenähert hatte... Sie kam mit undeutbarer Miene im Gesicht auf mich zu: "Was hast du denn gemacht? Bist du dem Freund der süßen Kellnerin begegnet oder was?" Warum wusste diese Frau eigentlich immer sofort Bescheid??? "Lass mal sehen", meinte sie ruhig und griff nach meinem Kopf. "He, stillhalten. Nee warte, setz dich lieber erstmal hin", sagte sie dann und schob mir einen Stuhl unter. Erleichtert ließ ich mich darauf fallen. Dann ließ ich sie machen. Robyn: "Also die Nase ist glaube ich ok, blutet nur noch ein bisschen. Aber deine Naht ist aufgegangen, die wird neu gemacht werden müssen." Ich stöhnte: "Na super, ein Nahtset hast du nicht zufällig dabei oder? Kann das noch warten, bis ich zuhause bin? Wie schlimm ist es?" Robyn: "Also ein Nahtset jetzt nicht, aber Steristrips könnte ich dir anbieten, da hab ich ne Packung in der Tasche. Und Wundsäuberung und so hätten wir hier ja noch", fügte sie dann mit einem Blick auf den beiseitegestellten Notfallrucksack hinzu. Ich zuckte mit den Schultern. Sofern die Wunde jetzt nicht fürchterlich aussah, müssten es eigentlich auch Klammerpflaster tun. Und sonst schaute ich halt zuhause nochmal drauf. Aber warum hatte sie die Steristrips denn überhaupt dabei? Das wunderte mich jetzt schon...

"Hast du in deiner Wundertasche auch nen Spiegel? Dann kann ich das eben hier machen", fragte ich sie dann. "Nee, nee, lass mich das mal lieber machen. So beeindruckt ich von deinen besoffenen Nahtkünsten auch bin, aber Spiegel halten und Klammerpflaster am eigenen Kopf anbringen gestaltet sich glaube ich doch noch ein bisschen schwieriger, oder? Vor allem bei dem Licht hier." "Kannst du das denn überhaupt?", hakte ich nach. Eigentlich lag das ja nicht im Rahmen einer Sanitätertätigkeit. Andererseits hatte sie die Strips dabei, also wusste sie wohl wahrscheinlich auch, wie sie sie benutzte. Auch wenn mich das eh wunderte. Sie riss mich aus meinen Gedanken: "He, bist du noch da? Klar kann ich das, hab genug Übung. Aber wenn du willst, kann ich auch gern nen Arzt ranholen. Oli guckt eh schon so irritiert rüber." Ich schüttelte schnell den Kopf. Noch mehr Aufmerksamkeit wollte ich eigentlich nicht. Und wenn sie sagte sie hatte Übung... Woher auch immer die kam. Ich konnte ja zuhause nochmal draufschauen und notfalls doch ne Naht draufsetzen.

Nach ein paar Minuten war sie fertig und wischte mir noch die letzten Blutreste vom Gesicht. Sie reichte mir dann doch einen Spiegel - ich war positiv überrascht vom Ergebnis. Sie räumte dann auf, während ich mich wieder unter die Kollegen traute. Der ein oder andere schaute, als wollte er was sagen, am Ende bekam ich aber keinen Kommentar mehr zu hören. Darüber war ich ganz dankbar, war mir die Situation doch eh schon etwas peinlich. Was ein Start in den neuen Job... Eine Stunde später verabschiedete ich mich nach Hause, nicht dass der Typ noch zurückkam und außerdem war ich müde. Ich bedankte mich noch bei Jules für die Idee und Organisation - trotz der Verarsche zu Beginn. Musste man als neuer Kollege halt mal durch. Am Ende schlief ich also leider allein im Gästezimmer meiner Schwester.

Zwei Tage später hatte ich mich bereits im Rettungsteam eingelebt und bis auf so ca. 5 Kollegen auch alle zukünftigen Arbeitskollegen getroffen. Von den 5 aber war eine eh im Mutterschutz, die würde ich so bald nicht zu Gesicht bekommen. Es war jetzt Freitag. Heute würde ich auch meinen ersten Dienst in der Notaufnahme antreten. Den ein oder anderen Kollegen hier hatte ich aber auch schon bei der Übergabe von Patienten getroffen.

Mit dem Fahrrad radelte ich zur Klinik. Ich musste mir dringend ein Auto anschaffen - oder endlich eine Wohnung finden, die näher an Klinik und Rettungswache lag - diese ständigen langen Touren aus der Vorstadt machten mich wahnsinnig! Vorzugsweise letzteres. Hätte nämlich den zusätzlichen Vorteil, dass ich endlich bei meiner Schwester rauskam. Auch wenn ich zu Anfang eher positiv überrascht war, hatte ich doch schon nach 5 Tagen echt keine Lust mehr auf den Stress. Thea war eben doch nicht so die einfachste und mäkelte an kleinsten Kleinigkeiten herum. Vor allem wenn ich an irgendwas Schuld war. Bernd war fast nie da und wenn doch, fand man ihn meist vor dem Fernseher, der meist auf dem Sportsender lief. Und die Kinder erst... Ich sag nur eines, ein Sack Flöhe wäre leichter beisammen zu halten und vor allem zu kontrollieren. Ständig waren sie an meinen Sachen und verteilten diese im Haus. Wenn ich Glück hatte, fand Thea sie wieder und krittelte, dass ich nicht immer "meinen Scheiß" liegen lassen solle. Mit Pech waren sie jedoch unauffindbar, so vermisste ich z. B. meinen Rasierer bereits seit dem zweiten Tag, sodass ich nun gezwungenermaßen mit einem Drei-Tage-Bart rumlaufen musste. Sah aber tatsächlich ganz schick aus. Ich hatte mal gehört, die Frauen stünden darauf - wer weiß, vielleicht würde ja ne hübsche Krankenschwester drauf abfahren... Oder ne junge Patientin? Mir wäre es recht.

Mittlerweile war ich an der Klinik angekommen und machte mich nach einem kurzen Gruß an Gisela, die Frau an der Annahme, die auf positive Weise ein Rad abhatte, auf den Weg in die Umkleide. Dort schlüpfte ich in eine neue Jeans und ein Hemd. Darüber kam der steife weiße Kittel. Wenn es nach mir ginge, würde ich ganz darauf verzichten. Ich mochte mich überhaupt nicht im Klischee des Gottes in weiß. An meiner alten Klinik hatte ich deshalb meist OP-Kleidung getragen. Hier durfte ich das nicht, um den Klinikleiter zu zitieren: "Ein junger Arzt wie Sie sollte auch Klasse zeigen, wenn die Patienten Ihnen vertrauen sollen." Na dann. Ich war neu, ich würde mich halt fügen. Vielleicht bekam ich ihn ja irgendwann einmal umgestimmt, ich würde ihn auf jeden Fall dahingehend bearbeiten!

In der Notaufnahme angekommen, sah ich mit einem Blick auf den Wartebereich schon Arbeit auf mich zukommen. Nahezu jeder Stuhl war besetzt. Ich konnte zwei Schnittwunden, ein bis zwei orthopädische Probleme und einmal erheblichen Pickelbefall erkennen. Keine wirklichen Verletzten. Ich seufzte und ließ mir von Gisela die Aufnahmebögen inklusive der von ihr vorgeschlagenen Reihenfolge geben. Demnach durfte ich mich zunächst um einen alten Herrn mit starken Bauchschmerzen kümmern. Diese entpuppten sich als dringend operationsbedürftig, ein Teil seines Darms schien nicht mehr zu arbeiten. Als nächstes ein Kind mit Bienenstich, auf den es leicht allergisch reagierte. Ich gab eine passende Salbe mit, nichts sonderlich dramatisches. Eine der Schnittwunden entpuppte sich dann als akuterer Notfall, denn diese fing im Wartebereich plötzlich wieder erheblich zu bluten an. Die betroffene Koch-Azubine war plötzlich blass wie ein Laken und drohte mir zu kollabieren, worauf ich sie schnell in Schocklage auf der Liege hatte. Das Nähen der sehr tiefgehenden Armwunde erforderte dann mein ganzes medizinisches Können. Als ich nach einigen Stunden auch beide orthopädischen Probleme nach dem Röntgen mit einem Salbenverband entlassen konnte, hatte ich eine kurze Verschnaufpause. Bis sich ein Polytrauma ankündigte: Mensch gegen PKW.

Schockraum vorbereiten, die Teams der entsprechenden Fachrichtungen ranholen, alles Routine. Worauf ich nicht vorbereitet war, war das Alter der Patientin, die mir von Alex und Karin übergeben wurde. Da lag ein Mädchen, höchstens 16. "Maja Oeltjen, 15, wurde von PKW erfasst, überrollt und ein paar Meter mitgeschleift, bis der Fahrer reagieren konnte." Die folgende Aufzählung an Verletzungen und Erstmaßnahmen, die getroffen wurden, ließen nichts Gutes vermuten. Ich ließ kurz den Blick schweifen. Im Augenwinkel erblickte ich Robyn, ihr Hautcolorit ähnelte der Wand hinter ihr. Was machte die denn hier?

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Noch was zum Nachdenken über die Silvesternacht 😉 Wünsche allen einen guten Rutsch und melde mich vermutlich erst Neujahr wieder 😂

ASDS - Et hätt noch immer jot jejange - Neuer Job in KölnWhere stories live. Discover now