Epilog

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„Sehr geehrter Sir Kenrik,

Calean und ich haben Amila von den Vogelfängern befreit, aber wollen noch weitere Kinder retten. Senden Sie uns niemanden hinterher.Mit freundlichen Grüßen, Gwinn"

(Zettel in Amilas Jackentasche)

✥✥✥

          Maze hob die Tür des Mädchenschlafsaals aus den Angeln, als er in das Zimmer platzte.
Der Raum war leer, bedachte man die fortgeschrittene Mittagsstunde. Die Mädchen waren im Unterricht oder am Essen. Seltene Wintersonnenstrahlen fielen durch das Fenster und erwärmten das Zimmer.

Einzig Amila und Garcy hatten sich auf einem Bett zusammen gekauert, wie eine Insel des Trübsaals zwischen dem Meer aus Licht.
Während Amila den Kopf hob, schlief Garcy unruhig im Schoß ihrer Freundin. Der Lärm weckte sie nicht auf, doch sie warf sich hin und her, wie eine Gefangene im Versuch sich zu befreien.

Maze biss sich auf die Unterlippe, doch sein kurzzeitiges schlechtes Gewissen, vertrieb seine Angst nicht. Technisch gesehen durfte er nicht hier rein, aber Miss Kent hatte eine Schwäche für ihn und wenn die Situation nicht so drängend wäre...
„Tut mir leid, aber ihr seid meine letzte Hoffnung!", flüsterte er, die Augen unstetig und glänzend. Er brauchte einen Moment, ehe er sie auf Amila fixierte.
„Ich weiß, du hast Schreckliches durchgemacht, aber ich muss wissen, ob Calean und Gwinn involviert waren. Elayn und ich können sie nirgends finden."

Elayn machte jedes Tier im Umkreis von zwei Städten nervös, ihn mit eingeschlossen.

Amila verstärkte sie ihren Beschützergriff um Garcy, die Lippen fest versiegelt. Trotzdem zog sie einen gefalteten Zettel aus ihrer Tasche und reichte ihn Maze. Sie hatte ihn dem Schulleiter vom Pult zurückgestohlen, als er sich nach einem Buch gebückt hatte.

Der Sucher überflog die hastig gekritzelten Zeilen erst einmal, dann noch einmal. Seine Miene wurde mit jedem Durchgang härter. Mit verkniffenem Mund gab er Amila das Schreiben zurück. Gedanken und Pläne stolperten in seinem Kopf durcheinander, wie Kinder auf einem Schulfest.
„Zeige das keinem. Sir Kenrik würde ausflippen, wenn Leute erfahren, dass weitere zwei Schüler verschwunden sind."

Amila nickte und Garcys Kopf rollte hin und her. Zwischen der Decke und den Kissen, sah sie kaum älter aus als das Mädchen in ihrem Armen. Sie war schmal gebaut, klein und ihre grünen Bänder waren die einzigen Farbtupfer in ihrer sonst dunklen Gestalt. Aber sie hatte intelligente Augen und jeder, der sie kannte, lernte ihre Ruhe fürchten.

Maze nickte ebenfalls. Mit einem letzten Blick auf das schlafende Kind verabschiedete er sich und machte sich auf den Weg zurück zu den Stallungen. Sir Kenrik würde nichts unternehmen, da war er sich sicher. Weder Gwinn noch Calean hielten einen so großen Wert für ihn, dass er das Leben eines anderen riskieren würde.

„Sag mir bitte, dass sie verschlafen haben und du sie mit deinem schrecklichen Gesang in den Speisesaal gejagt hast", begrüßte Elayn ihn von der Koppel der Schimmelstute aus. Sie wusste nur genauso viel, wie der Schulleiter ihnen berichtet hatte- wie Amila den Vogelfängern entwischt war. Welches Glück sie alle gehabt hatten.

Auch wenn sie in einem lockeren Tonfall gesprochen hatte, der Humor traf ihre braunen Augen nicht. Stattdessen führte sie das Reittier zum Rande der Koppel und erwartete ihn dort.

„Was sagen die Tiere?", erwiderte Maze trocken, kaum da er den Zaun erreicht hatte. Noch nie war Elayns Gabe so nützlich gewesen, wie in einem Stall voller Zeugen.

„Dass ein Pferd fehlt. Es sei mit Calean am Nachmittag in den Wald geritten und niemals zurückgekehrt", sie klopfte der Stute an den Hals, „Aber diese wundervolle Dame behauptete, dass spät abends einen fürchterlichen Lärm vor dem Gebäude gegeben habe. Als hätte sich jemand geprügelt."

Super. Jetzt auch noch ein Kampf.
Mit einem Stöhnen fuhr Maze sich mit beiden Händen über das Gesicht.
„Gwinn hat Amila einen Abschiedsbrief mitgegeben. Sie jagen den Vogelfängern hinterher und niemand soll ihnen folgen", gab er grob weiter, was er selbst in Erfahrung gebracht hatte.

Elayns Miene fiel in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Er verstand die Reaktion zu gut.
„Sie sind weggelaufen? Das wäre das erste Mal, das Calean freiwillig die Pferde alleine lässt. Oder Gwinn ihre Schwester."

„Das ist nicht das einzige Merkwürdige an der Sache", murmelte Maze hinter seinen Händen hervor und nahm sie wieder herunter. Gleißendes Sonnenlicht gab der Situation das unpassendste Ambiente. Es bohrte sich wie Nadeln in seine Netzhaut und ließ ihn blinzeln.
„Gwinn kann weder lesen, noch rechnen und vor allem nicht schreiben."

Die Worte hatten dasselbe Gewicht wie ein Sack Steine. Sie machten die junge Frau kurzzeitig sprachlos, ehe sie nacheinander die Fäden verknüpfte.
„Das heißt, der Brief ist eine Fälschung?" Elayn wechselte einen Blick mit der aufmerksam zuhörenden Schimmelstute.
Wer wusste schon, was für stumme Konversationen nebenher geführt wurden.

Eine fremde Entschlossenheit rollte über Maze hinweg.
„Das heißt, Amila ist eine von ihnen und wir müssen Gwinn und Calean zurückstehlen."

Elayn nickte. „Ich dachte, du kannst die Vogelfänger nicht orten?"

„Die nicht", stimmte Maze mit einem halben Schulterzucken zu, „Aber wie ich gehört habe, ist Caleans Schwester dazu in der Lage. Und die kann ich finden."

     ✥✥✥       

Dun.Dun.Dun. 
ENDE TEIL 1!!!

Jagd der Nebelflüsterer- Die VogelfängerWhere stories live. Discover now