Die Schlinge zieht sich weiter zu

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Allana

Die folgende Woche verlief recht unproblematisch. Was ein wahrer Segen war, hatten Jaime und ich doch noch immer keine Lösung für die aufkommende Problematik, die insbesondere Draco und Slughorn betraf, gefunden.
Ersterer schien über jedes beliebige Thema sprechen zu können, doch immer wenn ich vorsichtig versuchte das Gespräch auf seinen Auftrag zu lenken, schwieg er entweder oder wiederholte kryptisch, dass die Wahrheit zu gefährlich wäre.
Und Slughorn ... Dieser zog es vor, Jaime vortan zu ignorieren. Er schaute meinen Bruder nie direkt an, sondern ließ seinen Blick nur betont gleichgültig über sein Gesicht wandern, wenn Jaime sich meldete. Selbst wenn dieser etwas sagte, haftete Slughorns Blick anstelle von Jaimes Augen auf einem Punkt über seinem Kopf. Jedes Mal glaubte ich darauf Jaimes Zähne knirschen zu hören.
Man konnte also salopp sagen: Slughorn trieb Jaime an den Rand des Wahnsinns und Draco mich.
Über meine eigenen zynischen Gedanken musste ich tatsächlich kurz schmunzeln. Dann legte ich meinen Frühstücksteller zur Seite und schlug die Zeitung auf.  Bereits als ich die Überschrift des Titelblatts las, fingen meine Hände beinahe unmerklich zu zittern. Interview mit dem Auserwählten - Neue Wahrheiten gelüftet?
Ich wusste, dass Harrys einziges Interview letztes Jahr gewesen war. Damals hatte man es im Klitterer gedruckt, was eine Welle von Empörung, Zustimmung und Kritik verursacht hatte. Harry hatte von Voldemorts Auferstehung berichtet, den anwesenden Todessern und vor allem über Voldemorts Sohn - Jaime.
Das Interview war später auch im Tagespropheten gedruckt worden, allerdings waren hier die vorherigen Reaktionen ausgeblieben; Man hatte zwar eingesehen, dass Voldemort zurück war, jedoch hatten die wenigsten einen Gedanken an den "Sohn" verschwendet. Voldemort war real, das war offensichtlich, aber der "Sohn" blieb nur ein Gerücht, welches in den Ferien keine große Beachtung gefunden hatte. Nun aber offenbar doch.
Harry Potter, der Junge, der überlebte, wurde ein ganzes Jahr lang verleugnet und und hielt dennoch an der Wahrheit fest, welche er später in einem exklusiven Interview dem Tagespropheten mitgeteilt hat. Doch noch immer liegen Einzelheiten und Einzelpersonen im Dunkeln. Der Leiter der Aurorenabteilung hat nun angekündigt, Licht in das Unbekannte zu bringen und schlägt eine Untersuchung vor, um die Identität des Todessers zu ermitteln, der ebenfalls maßgeblich am Ritual beteiligt war und nur als "Sohn" erwähnt wurde. Ob dieser Name ein Code oder Titel war oder tatsächlich auf eine Verwandtschaft hindeutet, wurde noch nicht ermittelt.
Wenn Sie Informationen haben, wenden Sie sich an ...
Ich legte die Zeitung zur Seite. Man glaubte also, dass der "Sohn" ein Todesser war. Ob diese Information Jaime helfen würde oder nicht, wusste ich noch nicht, denn: Wenn in Hogwarts nach dem Dunklen Mal eines Todessers geahndet werden würde, hätte Jaime nichts zu befürchten. Doch wenn man auf andere Weise ermitteln würde, dass Jaime besagter "Sohn" war, würde er automatisch als Todesser und somit als Feind angesehen werden.
Wir mussten also nur hoffen, dass die Auroren nach dem Dunklen Mal Ausschau-
Ich fluchte, was bewirkte, dass sich mehrere Köpfe in meine Richtung drehten.
Draco besaß das Dunkle Mal. Auch wenn er mir seinen Unterarm bisher noch nicht gezeigt hatte, hatte Voldemort im Malfoy-Manor genug Andeutungen gemacht, die zeigten, dass Draco nun ebenfalls die charakteristische Schlange und der Totenkopf auf dem Arm gebrannt worden war. So würde auch er in das Visier der Ermittler rücken.
Ganz ruhig, sagte ich mir, doch das Gegenteil war der Fall: Meine Gedanken schwirrten in meinem Kopf herum, überschlugen sich, ein schreiender, tobender Sturm von Stimmen ... Vielleicht werden die Auroren ihre Suche nicht einmal auf Hogwarts beschränken, versuchte ich mich zu beruhigen, oder sie halten nach anderen Kriterien Ausschau oder untersuchen nur die Akten der Schüler, wenn es denn welche gibt oder ...
Was mochte in Jaimes Akte stehen? Waise, Parselmund, Slytherin? Und was hatte Umbrigde alles während ihrer Zeit auf Hogwarts über uns herausgefunden? Würden die Auroren sie womöglich ebenfalls befragen? Würden sie die Lehrer befragen? Slughorn? Dumbledore?
Ich warf meinem Bruder über die Haustische hinweg einen eindringlichen Blick zu, den er verwirrt blinzelnd erwiederte. Er hatte wohl den Tagespropheten noch nicht gelesen.
Ich gab ihm ein knappes Zeichen,  hastete dann unauffällig zu ihm und ließ mich neben ihm nieder. Die Zeitung hielt ich wie einen Schatz fest an mich gepresst.
Jaime runzelte die Stirn und musterte mich eingehend. ,,Hab ich was verpasst?" Er klang nicht ironisch, wie es sonst bei Fünfundneunzig Prozent seiner Kommentare der Fall war, sondern aufrichtig perplex. Als Antwort drückte ich ihm nur stumm die Zeitung in die Hand.
Während er die Überschrift des Artikels las, verwandelte sich sein eigentlich immer so distanzierter und reservierter Gesichtsausdruck für einen winzigen Augenblick in puren Schock. Doch nach einer Sekunde hatte er sich wieder gefangen. Nur die kleine Falte zwischen seinen Augenbrauen verriet seine - für mich - offenkundige Besorgnis.
Als er den Text zuende gelesen hatte, faltete er die Zeitung sorgfältig und griff nach seiner Teetasse. Er trank einen großzügigen Schluck, bevor er endlich zu sprechen begann: ,,Ich glaube ... so langsam haben wir ein Problem."

Seine Erben (2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt