Kapitel 21: Das schwache Glied der Kette

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Langsam schritt sie auf die Strecke und liess Spike nicht aus den Augen. Dieser war wieder in seiner nervösen Art verfallen und zuckte nur noch herum. So könnte sie ganz sicher nicht ruhig mit ihm reden, sie bräuchte einen besseren Zeitpunkt. Also konzentrierte sie sich auf die Prüfung und übte seriös ihre Strecke. Den Standort der Felsen kannte sie mittlerweile in und auswendig und wusste auch, was sie tun musste, um ausweichen zu können. Genau konnte sie nicht sagen, wie sie das heraus gefunden hatte. Sie nahm einfach an, dass sich ihr Instinkt etwas mehr einmischte, obwohl sie das eigentlich nicht tun dürfte. Aber das war jetzt auch egal, Hauptsache, sie bestehen die Prüfung.

Die Gazelle kam immer näher, alles um sie herum war nur ein Rauschen und sie fokussierte nur ihr Zielobjekt, doch als sie glaubte, den Stoff zwischen die Zähne bekommen zu haben, spürte sie einen Ruck, der sie nach hinten zog und kippte um. Schon wieder war sie nicht schnell genug gewesen und hing fest. Diese Aufgabe am Schluss der Strecke war ja auch zu dumm. Spike hatte davon nicht einmal etwas mitbekommen, sondern sah nur auf den Boden und war in Gedanken versunken. Mühsam erhob sie sich und musste sich durchstrecken, ehe sie wieder laufen konnte. Als sie bei ihm ankam, nahm er sie immer noch nicht wahr, weswegen sie ihn am Bein anstiess und er erschrak. "Ach, du bist es." "Wer sollte es denn sonst sein?" "Ja.", antwortete er nur zerstreut, "Fang einfach mit dem Üben an." "Ich habe schon damit angefangen." "Oh, dann hast du es gut gemacht." Scarlet seufzte nur und liess ihn einfach in Ruhe. Mit ihm konnte sie heute nicht mehr weiter reden. Zu schade. Er wusste ganz sicher etwas.

Am Schluss des Trainings hatte sich Spike immer noch nicht gerührt und sie konnte ihn auch nicht dazu bringen. Also liess sie ihn einfach zurück und traf alleine wieder auf Dennis, der auch nicht besser drauf war als sie. "Und?", wurde sie gefragt. "Er weiss etwas, will es aber nicht sagen. Bei dir?" "Er hat immer wieder gehört, dass Leute aus Teams fast nie zu sehen sind, mehr aber nicht." "Das ist aber immerhin schon etwas. Jetzt wissen wir, dass auch andere Schüler das machen." "Wie machen wir jetzt weiter?" "Wie wäre es... Wenn wir genau auf die Personen achten." "Sollen wir etwas stundenlang vor dem Fahrstuhl stehen und beobachten, wohin sie fahren?" "Perfekte Idee!" "Warte, das war nur ein Witz!" "Und eine echt tolle Idee." Er seufzte nur und verdrehte die Augen. "Ist es aber nicht etwas auffälig, wenn wir die ganze Zeit dort stehen?" "Wieso? Die achten doch nicht darauf, wer dort alles ist." "Gut, aber sollten wir nicht endlich wieder etwas mit Sam machen?" "Nur noch heute. Versprochen!"

"Schon wieder Nachhilfe?" Sam sah sie enttäuscht an, worauf wieder dieser gequälte Blick auf Dennis' Gesicht erschien. "Keine Sorge, wir üben sehr viel und dann können wir zusammen etwas unternehmen.", versprach er. "Ist schon gut. Wenn ihr meint, dass es so richtig ist.", murmelte sie nur. Dennis und Scarlet wechselten ein paar Blicke und verabschiedeten sich von ihr. Die zwei hatten doch Nachhilfe gar nicht nötig. Sie wusste, dass sie schon fast soweit wären, die Prüfung zu machen. Wenn hier jemand Nachhilfe brauchte, dann war es sie selbst. "Was schaust du so deprimiert rein?", kam es von der Seite. Jacky musterte sie genau und lächelte sie dann an. "Ach, ich glaube nur, dass Dennis und Scarlet nichts mehr mit mir machen wollen. Ständig haben sie Ausreden." "Die wissen aber nicht, was sie verpassen! Zum Glück hast du ja noch mich und Jay als Freunde." Sam musste einfach lächeln und nickte. "Und da du jetzt wieder gut gelaunt bist, können wir endlich zu Jay gehen. Der dreht sonst noch durch, wenn wir ihn zu lange alleine lassen.", flüsterte er den letzten Satz, als ob jemand hier wäre, der das nicht hören durfte, und lief voraus.

"Da seid ihr ja endlich!", rief Jay erleichtert und kletterte vom Baum hinunter. "Was hast du auf dem Baum gemacht?", fragte sie verwirrt. "Ich bin doch ein Eichhörnchen." "Das ist schon klar, aber wieso warst du in deiner Menschengestalt dort oben?" Jay sah zum Ast hoch und dann wieder zu ihr. "Na ja, als Mensch wird man nicht so leicht von Greifvögeln oder Katzen erwischt.", antwortete er schliesslich. "Wir haben darüber gesprochen, hier wird dich niemand fressen wollen.", erinnerte Jacky ihn. "Man kann sich ja nie ganz sicher sein." "Eigentlich schon, aber wir machen ja kleine Schritte." Aufmunternd klopfte er ihm auf die Schulter, wobei Jay jedes mal zusammen zuckte. Jacky versuchte ständig, ihn zu ändern, aber er hatte noch nichts erreicht. "Wirst du jetzt auch eigentlich von deinem Team verstossen?", fragte Jay sie plötzlich. "Nein, wieso?" "Du bist immer öfters bei uns, was absolut nicht schlimm ist!", fügte er schnell hinzu. "Scarlet und Dennis verstossen mich nicht, sie selber müssen einfach etwas mehr trainieren, weil es noch nicht so gut funktioniert." "Sind sie wirklich so schlecht." "Also... in Wirklichkeit weiss ich das nicht so genau und erwartet hätte ich es auch nicht, aber wieso sollte ich ihnen nicht vertrauen?" Jay sagte nichts mehr und nickte nur aus Vorahnung. "Hört zu, mein Team ist nicht wie euer! Wir sind ehrlich zueinander und würden niemanden ausgrenzen!" "Das mag vielleicht am Anfang so sein, aber es gibt immer ein schwaches Glied in der Kette, wenn du verstehst." "Und irgendwann muss es aussortiert werden.", stimmte jetzt auch Jacky ihm zu, "Deswegen dürfen wir uns das nicht gefallen lassen!" "Nein! Dennis und Scarlet würden so etwas nie tun und um euch das zu beweisen, werde ich sie von den Trainingsplätzen holen!"

Ohne eine Antwort abzuwarten, rannte sie los. Zum einen wollte sie nur weg von ihnen, zum anderen floh sie auch von ihrer Verunsicherung. Es konnte einfach nicht wahr sein, dass Dennis und Scarlet sie anlügten. Sie waren nicht ansatzweise so wie die anderen Teams. Schon bald kam der Wald in Sicht, in dem Dennis seine Prüfungsstrecke hatte und hoffte, die strengen Worte seines Helfers zu hören, doch es war ganz still. Der Wald war leer. Langsam befürchtete sie, dass Jacky und Jay Recht hatten, doch sie machte sich Mut und sagte sich einfach, er wäre bei Scarlet und eilte zur Grenze. Doch auch da wurde sie wieder enttäuscht. Konnte das wirklich stimmen? War sie zu schwach für ihr Team? Ihre Augen wurden wässrig, als sie sich zu beruhigen versuchte. Es musste doch eine andere Erklärung geben. So etwas könnten sie ihr niemals an tun. Kraftlos sank sie auf die Knie und gab sich Mühe, nicht komplett die Fassung zu verlieren. Sie konnte nicht zu schwach sein, sie durfte einfach nicht zu schwach sein.

***

Unsicher trat Clovis auf die Türe zu, jetzt wusste er, wie Spike sich immer fühlte. Und es war kein angenehmes Gefühl. Ein paar Mal atmete er langsam aus und klopfte an. Als endlich das "Herein!" ertönte, zögert er vorerst noch und trat dann ein. Einmal war er schon hier drinnen gewesen und seitdem hatte sich nichts verändert. An den Wänden hingen noch die gleichen Portraits von Personen, die er nicht kannte, aber vermutete, dass es frühere Rektoren waren. Am Ende des Raumes befand sich der grosse, hölzerne Tisch auf dem der alte Computer war und dahinter in seinem Sessel sass Rektor Roberts, von dem er genau betrachtet wurde. "Guten Tag.", sagte Clovis halb nuschelnd, da ihm sonst nichts anderes einfiel. Immernoch musterte er ihn, bis er den Kopf leicht anhob und ihn direkt ansah. "Du bist grösser geworden, seitdem du das letzte Mal hier warst. Aber es ist auch schon eine Zeit lang her. Was ist denn das Problem?", wurde er direkt gefragt.

"Es geht um den ersten Auftrag, den sie meinem Team zugeteilt haben. Der, mit der besten Bewertung." "Ihr habt ausgezeichnete Arbeit geleistet, wo ist da das Problem?" "Es ist so; keiner von uns glaubt, diese Bewertung wirklich verdient zu haben." "Vielleicht seht ihr das so, aber ich habe nur positive Rückmeldungen bekommen. Ihr unterschätzt euch einfach." "Aber nur Naturtalente schaffen es, so eine hohe Bewertung zu kriegen und nicht einmal der grösste Teil von ihnen kriegt das hin." Es musste irgendeinen bestimmten Grund geben. "Deswegen ist es umso bemerkenswerter, dass ihr so gut abgeschnitten habt. Hör zu, du solltest die Sache nicht so sehr hinterfragen, es wird doch schon stimmen, wenn es nach unserem System geht. Ausserdem ist es nicht so überraschend, wenn dein Bruder ein Naturtalent war. Das liegt in der Familie." 'Von wegen.', dachte er, sagte es aber nicht laut. Er wollte nicht noch unhöflich werden. "Hast du sonst irgendetwas, das du mich fragen willst?" "Nein, das war's. Ich hätte nichts mehr. Dann gehe ich wieder." "Sicher. Mit solchen Bewertungen bekommt ihr bestimmt einen Auftrag nach dem anderen. Bei irgendwelchen Problemen kannst du zu mir kommen." "Danke." Weiteres sagte er nicht mehr und verliess das Zimmer. Irgendetwas an diesem Gespräch war komisch gewesen. Jedenfalls war er nicht überzeugt, eher verunsichert, ob er überhaupt noch jemandem vertrauen kann.

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Halloho!^^ Kapitel 21 wäre auch mal fertig und die Geschichte hat schon 2'900 Reads und 170 Votes erreicht!:D Vielen vielen Dank und hoffentlich wird es euch weiterhin so sehr gefallen!

LG Dragonfly

TierseelenWhere stories live. Discover now