10: Mädchen gegen Mädchen

851 27 17
                                    

Marvin:
Nachdenklich beobachtete ich Lijana, die am Seitenrand auf der Bank saß und uns sehnsüchtig beim Schwitzen  zusah. "So immer zu zweit einen Handball holen und dann einwerfen", hallte die Stimme von unserem Sportlehrer Herr Zaundeck durch die Halle. Alle stürmten in den Geräteraum und schnappten sich die Handbälle. Wie man sich nur so auf Handball freuen konnte? Für mich unverständlich. Ich hatte nämlich panisch Angst vor fliegenden Bällen und freute mich natürlich darauf mich vor allen wieder zum Affen zu machen und mir dumme Kommentare über Schwule anhören zu dürfen. Hoffnungsvoll zählte ich kurz durch und merkte schnell, dass bereits jeder seinen Partner gefunden hatte. Ein breites Grinsen bildete sich auf meinen Lippen. Erfolgreich gedrückt! Ich lief unbemerkt zu Lijana rüber und ließ mich neben sie auf die Bank fallen. "Erfolgreich gedrückt", berichtete ich und grinste sie an. Doch ich bekam keine Reaktion. Ihre blauen Augen starrten stur gerade aus. Ich spürte, dass sie innerlich gerade gegen ihr Schicksal ankämpfte. Anfangs war sie hauptsächlich gelangweilt gewesen, jetzt steckte so viel Sehnsucht in ihrem Blick. Vorsichtig legte ich meine Hand auf ihre Schulter und hoffte sie würde reagieren, doch sie schien so in ihrer Trauer versunken zu sein, dass sie die Wirklichkeit erst gar nicht mehr wahrnahm. "Lijana", flüsterte ich. Sie zuckte erschrocken zusammen und schaute mich mit feuchten Augen an. "Wollen wir kurz rausgehen?", bot ich ihr an, diesen Ort, der sie emotional mitzunehmen schien, verlassen zu können. Sie nickte und stand wortlos auf und verließ sie Sporthalle. Ich hab Herr Zaundeck ein Zeichen, dass ich nach ihr schauen werde und folgte ihr. Kein Sportunterricht! Draußen vor der Tür hatte sie sich auf die unterste Stufe der Treppe gesetzt und kämpfte gegen ihre Gefühle an. Ich ließ mich neben sie auf die Stufen fallen und legte meinen Arm tröstend um sie. "Willst du darüber reden?", fragte ich sie nach ein paar Minuten, nachdem sie sich langsam wieder beruhigt hatte. Ich spürte, dass ihr die Situation eigentlich unangenehm war, trotzdem nickte sie. "Du musst aber nicht. Nur wenn du es auch wirklich willst", stellte ich klar. "Vor dem Unfall hab ich Handball gespielt", schluchzte sie. Auch wenn ich nicht verstehen konnte, wie man Spaß an fliegenden Bällen hatte, schien dieser Sport für sie ein besondere Bedeutung zu haben. "Meine beiden großen Brüder spielen beide Handball, sehr erfolgreich hier in Kiel beim THW Kiel, weswegen ich auch hier hin", fuhr sie fort. "Also liegt es bei euch in der Familie", schätzte ich und lächelte sie an. Sie nickte. Sie holte tief Luft bevor sie weiterfuhr. "Ich war kurz davor gewesen auf ein Handballinternat zu wechseln, weil ich genauso erfolgreich werden wollte wie sie", erklärte sie. "Und dann kam der Unfall", äußerte ich meine Vermutung, während sie schluchzend in Tränen ausbrach. Ich zog sie in meine Arme und sie weinte bitterlich los. "Alles ist gut. Lass deinen Gefühlen freien Lauf", sprach ich beruhigend auf sie ein. Sie sollte sich für ihre Wunden nicht schämen. Es dauerte einige Minuten bis sie sich langsam wieder beruhigte und sich die Tränen mit dem Handrücken aus dem Gesicht wischte. "Sorry, dass ich so eine Heulsuse bin", entschuldigte sie sich. "Weinen ist was ganz natürliches", versicherte ich ihr, dass ich sie deswegen nicht verurteilen werde. Sie zwang sie ein leichtes Lächeln auf. Immerhin lächelte sie wieder. Einige Minuten saßen wir schweigend da. "Was machen wir beiden Hübschen jetzt?", wechselte ich das Thema. "Sollten wir nicht vielleicht", überlegte Lijana und schaute Richtung Tür. Ich schaute besorgt in ihre Richtung. Sie wollte da wirklich wieder reingehen? "Ich muss mich meinem Schicksal stellen", seufzte sie. Ich war beeindruckt von ihrer Stärke. Auch wenn sie dachte sie wäre schwach, sie war alles andere als schwach. "Ok, dann gehen wir da beide jetzt rein und stellen uns unseren Ängsten", sagte ich optimistisch und stand auf. Sie schaute mich fragend an. Dabei zog sie verwirrt die linke Augenbraue nach oben. Sie sah echt lustig aus, sodass ich mir das Lachen nicht verkneifen konnte. "Was?", beschwerte sie sich. "Lach mich bitte nicht aus, aber ich hab Angst vor fliegenden Bällen", erklärte ich ihr und hatte selbst Mühe ernst zu bleiben. "Du verarscht mich", meinte sie kopfschüttelnd und öffnete die Tür zur Halle. Mittlerweile war das Aufwärmen beendet und sie übten gerade Torwürfe auf ein Tor, in welchem ein Kasten stand. Ausgerechnet stand dieses Tor direkt neben der Tür. Meine Muskeln spannte sich ängstlich an. "Komm du Angsthase, ich pass schon auf", meinte Lijana und zog mich mit sich mit. Aus dem Seitenwinkel beobachtete ich ängstlich den Ball, während ich Lijana hinter das Tor folgte. Ich sah gerade wie Abby Anlauf nahm, hochsprang und den Ball Richtung Tor feuerte. Sie verfehlte jedoch das Tor und der Ball raste auf mich zu. Schreiend versteckte ich mich hinter Lijana, die blitzschnell reagierte und gekonnt den Ball mit einer Hand fing. Alle schauten beeindruckt in ihre Richtung, während ich mich langsam wieder entspannte. "Ich hab doch gesagt ich passe auf", lachte Lijana und boxte mir leicht in die Seite. Abby kam gehässig grinsend auf uns zu. Ich wette sie hat absichtlich vorbeigeworfen. "Kleiner Tipp, man sollte schauen wohin man wirft. Du hast den Ball zu früh losgelassen, deswegen ist er dir aus der Hand gerutscht und hat das Tor verfehlt", analysierte Lijana ihren Wurf. "Klugscheißern, aber selbst Unterricht schwänzen", konterte Abby und schaute Lijana herausfordernd an. Ich wusste, dass Abby Handball spielte. Kein Wunder, dass sie so angepisst war, dass Lijana sie verbessert hatte. Ich grinste leicht schadenfroh. „Jetzt grins nicht so dumm", mischte sich nun auch Moritz ein und legte schützend seinen Arm um seine Freundin. Ich spürte wie ich mich langsam in seinen blauen Augen verliere. „Marvin! Gib dieses scheiß Arschloch auf und verliere jetzt ja nicht die Fassung", redete ich auf mich selbst ein. „Was auf einmal so vorlaut?", giftete Abby Lijana an. „Was willst du?", presste diese unter ihren Lippen hervor. „Ein Duell! Mädchen gegen Mädchen. Jetzt hier", flötete Abby. Ich warf Lijana einen sorgenvollen Blick zu. Sie spielt doch nicht etwa mit dem Gedanken. „Ok! Was ist die Aufgabe?", wollte Lijana wissen und verschränkte siegessicher die Arme vor der Brust. „Jeder fünf Sieben Meter. Wenn du gewinnst lassen wir dich in Ruhe", zwinkerte Abby. Nein! Nein! Nein! Niemals! Ich griff nach Lijanas Arm. „Das ist eine Falle", raunte ich ihr zu. „Ich mach die schon fertig", meinte Lijana siegessicher. Das war alles andere als eine gute Idee. Wenn sie jetzt wieder diesen Ball in die Hand nimmt, dann wird sie wieder in ihr Loch zurückrutschen. Das kann ich nicht zulassen. „Ich geh ins Tor", grinste Moritz frech. Noch schlechter! Ich war wegen Moritz oft bei seinen Spielen in der Halle gewesen. Damals, als wir noch Freunde gewesen sind. Bevor ich mich in ihn verliebt habe. Bevor ich diesen verdammten Fehler gemacht habe und mich ihm anvertraut habe. Bevor er Abby kennengelernt hatte. Bevor er sich zu einem homophoben Arschloch entwickelt hatte. Aber eins wusste ich, er ist verdammt gut. Das kann was werden. „Willst du anfangen?", fragte Abby. Doch Lijana ließ Abby den Vortritt. Ich lief währenddessen zu Herr Zaundeck. Er muss was unternehmen. „Sie können das doch nicht einfach dulden", sprudelte es aus mir heraus. „Wieso denn nicht? Beide waren einverstanden, außerdem können die anderen dann mal sehen, wie man wirklich Handball spielt", antwortete mein Sportlehrer. Ich funkelte ihn böse ab. Dann muss ich eben Lijana abhalten. Abby lief siegessicher an die Siebenmeter Linie vor. „Moritz wird absichtlich alle von Abby reinlassen", prophezeite ich. „Dann muss ich eben auch alle machen", antwortete Lijana fokussiert. Was hatte sie vor? „Du weißt nicht wie gut er ist", stammelte ich. „Ich hab bereits gegen meinen großen Bruder, Olympiasieger und mittlerweile auch Weltmeister Siebenmeter geworfen. Da schaff ich Moritz mit links", grinste Lijana. Ihre Augen leuchteten förmlich, während sie diesen Ball in der Hand hielt. „Aber..", stammelte ich aussichtlos. „Ich hab noch nie einen Siebenmeter in einem Spiel verworfen", antwortete sie und zwinkerte mir zu. „Können wir Herr Zaundeck", schleimte Abby. Dieser pfiff auf Kommando in seiner Pfeife. Abby täuschte kurz an und warf den Ball an Moritz vorbei. Lijana hatte Moritz Bewegung genau beobachtet und grinste. „Schau zu und lern", zwinkerte sie und lief zur Linie vor. Sie stellte ihr links Bein nach vorne. Ob das gut geht? Hat sie überhaupt schon einmal mit Prothese geworfen? Doch diese Frage erübrigte sich, als Lijana den Ball an Moritz Kopf vorbei ins Tor zog. Dieser konnte nur verdattert hinter sich ins Netz schauen. Ich atmete erleichtert aus. Ich wette mein Herz ist gerade stehengeblieben. Hab ich das Schlucken gerade wirklich gesehen? Hatte Abby gerade wirklich beeindruckt geschluckt? „Siehst du", grinste Lijana. Sie strahlte über das gesamte Gesicht. Ihre Augen leuchteten. Sie schien von einem Moment auf den anderen total glücklich zu sein. Nun war Abby an der Reihe auch ihr Zweiter saß. Mein Herz pochte als Lijana wieder an die Linie vorging. Auch sie traf. 2:2. Auch den Dritten und Vierten brachten beide im Tor unter. Moritz war sichtlich angefressen noch keinen Ball gehalten zu haben. Jetzt kam es zum entscheidenden Wurf.

Until I met youHikayelerin yaşadığı yer. Şimdi keşfedin